Gauting:Von der Hölle in den Märchenwald

Gregor Weber kam gerade aus Afghanistan zurück. Jetzt kann er wieder seinen Lieblingsort genießen, einen Waldrand

Gerhard Fischer

Autor Gregor Weber an seinem Lieblingsplatz

Autor Gregor Weber an seinem Lieblingsplatz Gauting Autor Gregor Weber an seinem Lieblingsplatz am Ortsrand von Gauting in Richtung Buchendorf.

(Foto: STA Franz X. Fuchs)

Gregor Weber war gerade mehr als drei Monate in Afghanistan. Er war als Pressefeldwebel im Lager Kundus, in dem die deutschen Soldaten stationiert sind. Weber lebte in Angst, wie alle anderen auch, in Angst vor einem Anschlag der Taliban. In dieser Zeit dachte er häufig an seine Frau und seine beiden Kinder, natürlich, sie sind für ihn das Wichtigste auf der Welt. Es klingt in diesem Zusammenhang vielleicht läppisch, aber manchmal, da dachte er auch an den Waldrand in Gauting, an eine Stelle, an der er sich besonders wohl fühlt und die ein riesiger Kontrast ist zu dem, was er in Kundus erlebt hat. Der Waldrand ist eine heile Welt, Afghanistan ist die Hölle, vor allem für die Menschen, die dort seit Jahrzehnten in Angst leben: die Einheimischen. Seit mehr als 30 Jahren herrscht Krieg, mal mehr, mal weniger.

Man muss sich den Weg zu diesem Waldrand so vorstellen: Man taucht am Ortsrand von Gauting - in der Schrimpfstraße, wo Weber wohnt - in den Forst Kasten ein. Gregor Weber tut das meistens mit seinem Hund, der Kaspar heißt und schon recht alt ist; der aber vermutlich wie sein Namensvetter, der Brandner Kaspar, dem Gevatter Tod ein paar Jahre abgeluchst hat. Dann läuft man einige Zeit im Wald, gelangt schließlich in eine Art Hohlweg, nein, es ist eher ein Baumtunnel. "Im Winter ist der richtig verschneit", erzählt Weber, "dann hängen auch Eiszapfen von den Bäumen. Es ist ein Märchenwald, ein Winter-Wonderland." Weber hat den Baumtunnel viermal fotografiert, einmal im Winter, einmal im Sommer, einmal im Herbst, einmal im Frühling.

Am Ende des Baumtunnels tritt man wie durch eine Pforte hinaus auf einen Weg, links ist noch Wald, rechts ist noch Wald, aber vor einem ist die Weite: ein abgeerntetes Maisfeld, dessen Reste in die Höhe stehen wie eine kurze Stoppelfrisur auf dem Kopf eines Menschen, zwei Gärtnereien am Horizont, Buchendorf mit seiner Kirche, dem Zunftbaum und dem Wirtshaus. Bayerische Idylle. "Als ich zum ersten Mal hier war, vor mehr als vier Jahren, da schlug dann auch noch um Punkt sieben Uhr morgens die Kirchturmglocke", sagt Weber. Er habe zu seiner Frau gesagt: "Wenn ich mich umdrehe, kommt die Bayern-Touristik und trägt das alles weg, weil sie die Kulisse woanders brauchen."

Und dann erzählt er, was hier so angebaut wird ("Rüben, Kartoffeln, Mais") , wer hier so wohnte ("der Achternbusch, der schrieb in Buchendorf"), und dass man bei optimalen Bedingungen sogar die Alpen sehen könne. Außerdem sagt er, dass er hier manchmal einen Ball wirft - für den Hund. Aber Kaspar apportiert gar nicht. Weber grinst, als er davon erzählt. Er findet das nämlich lustig: einen eigenwilligen, alten und manchmal faulen Hund zu haben. Er mag ihn sehr. "Kaspar hat hier das große Los gezogen", sagt Weber. Bevor die Familie nach Gauting zog, wohnte sie in Berlin. Der Hund hat es hier sicher schöner.

Gregor Weber ist in einem Dorf im Saarland aufgewachsen. Später wurde er Schauspieler, er war Ermittler im Saarland-Tatort, erst zusammen mit Jochen Senf, später mit Maximilian Brückner. Der Kommissar Stefan Deininger war eine kuriose Figur. Auffallend war vor allem ein hässlicher Schnurrbart, der bis an die Kinnpartien reichte. Weber und Brückner mussten vor ein paar Jahren gehen, es gab deswegen sehr viel Ärger.

Gregor Weber ist dann Schriftsteller geworden, er schrieb einen Krimi über die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Das Thema ließ ihn nicht mehr los. Deshalb flog er jetzt nach Kundus. Dazu muss man wissen, dass Weber Reservist der Bundeswehr ist; dass er mehrere Übungen mitgemacht hat in den vergangene Jahren. Nun wird er ein Sachbuch schreiben über seine Zeit in Afghanistan. "Ich kann schreiben, was ich will", sagt er, "nur Dinge, die der militärischen Geheimhaltung unterliegen, darf ich nicht verraten". Das könnte Menschenleben gefährden.

Es gibt viele Themen, die ihn bewegen, wenn er an Afghanistan denkt. Zum Beispiel: War die Bundeswehr überhaupt mental vorbereitet auf einen Einsatz wie in Afghanistan? War die deutsche Gesellschaft darauf vorbereitet? Die Politiker? Weber ist skeptisch. "Die Politiker verstehen nicht, was da vorgeht, oder haben nicht den Mut, das zu erklären", sagt er.

Er spricht dann über Westerwelle und Awacs, Infanterie und Journalisten, die er begleitet hat. Er redet und redet und vergisst sein Gegenüber. Aber das ist egal. Es ist ja alles interessant, was er sagt.

Über seine Angst spricht er zunächst nicht, man muss ihn danach fragen. Am Morgen vor dem Abflug, erzählt er dann, sei er mit seiner Frau noch einmal spazieren gegangen. "Puh, das war schon ein komisches Gefühl". In Kundus habe er die Angst weitgehend weggeschoben. Man sei sonst nicht handlungsfähig. Aber die Angst sitzt tief. "Das Stresshormon Cortisol baut sich schon in der Vorbereitung vor dem Einsatz auf und bleibt dann die ganze Zeit hoch", erklärt er, "der Cortisol-Gehalt sinkt erst Wochen nach der Rückkehr wieder". Dort, in Afghanistan, sei man ständig in einem flucht- und kampfbereiten Modus. "Ich habe in den dreieinhalb Monaten nie durchgeschlafen", sagt Weber. Es ist ihm gottlob nichts Schlimmes passiert, nicht bei den Erkundungsfahren, nicht im Feldlager Kundus. Es gab dort keinen Raketenalarm.

Man lernt viel, wenn man so etwas erlebt hat. Vor allem aber wird man auch demütig und dankbar. Gregor Weber deutet auf den Wald. "In Afghanistan kann in jedem Gehölz einer sitzen, der dann raus springt und dich erschießt", erklärt er. Weber macht eine Pause. Dann sagt er: "Es ist ein Riesengeschenk für uns, dass es hier nicht so ist."

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