Radioaktivität in Fukushima:Strahlende Ungewissheit

Lesezeit: 4 min

Wassertanks an der Atomruine: Selbst Japans bisher industriefreundliche Atomaufsichtsbehörde NRA kritisiert massiv die Zustände in Fukushima (Foto: Bloomberg)

Undichte Tanks, brüchige Schweißnähte, Wärmebildkameras statt exakter Messgeräte. Der Umgang mit den gewaltigen Mengen radioaktiver Stoffe aus dem havarierten Atomkraftwerk Fukushima-1 ist so lax, dass ein deutscher Experte den Besuch der Anlage absagt: Das Vorgehen der Japaner macht ihm Angst.

Von Christopher Schrader

Eines immerhin gilt als gesichert: In den kommenden Tagen wird Tepco, die Betreiberin der zerstörten Kernkraftwerke in der Anlage Fukushima-I, aller Voraussicht nach immer wieder neue Lecks an den Wassertanks melden müssen. Die Firma fängt nämlich jetzt erst damit an, die fast 1000 Stahlzylinder, die hinter den zerstörten Reaktoren stehen, einigermaßen konsequent zu überwachen. Statt zehn Mitarbeitern sollen ab sofort 60 die Tanks kontrollieren, berichtet die japanische Tageszeitung Asahi Shimbun. Sie gehen auf vier statt zwei Patrouillen pro Tag, umrunden die Stahlzylinder einzeln, statt an ihnen vorbeizueilen, und vermessen jede Pfütze auf mögliche Radioaktivität.

Ansonsten aber gibt es wenig gesichertes Wissen darüber, was Tepco in der Anlage macht. Deutsche Experten, auch solche, die enge Kontakte nach Japan besitzen und immer wieder Hilfe angeboten haben, klagen über mangelnde Informationen. "Es ist doch unglaublich, wie wenig man darüber erfährt, was die mit dem gewaltigen Mengen Wasser anstellen wollen", sagt etwa der Physiker Lothar Hahn, der ehemalige Geschäftsführer der Beratungsfirma Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS). Ein anderer Experte hat angesichts der Zustände in Fukushima gerade seine Pläne aufgegeben, die Anlage demnächst zu besuchen. Der Umgang der Japaner mit den gewaltigen Mengen radioaktiver Stoffe macht auch ihm Angst.

Radioaktive Strahlung
:Vom Röntgen bis zum Super-GAU

Menschen sind überall und ständig radioaktiver Strahlung ausgesetzt. Doch die natürliche Radioaktivität im Mauerwerk des eigenen Heims ist nicht zu vergleichen mit der Strahlung aus einem havarierten AKW. Eine Grafik verschafft einen Überblick.

Täglich müssen 700 Kubikmeter kontaminiertes Wasser entsorgt werden

Die Tanks sollten von Anfang an ein Provisorium sein. Weil in Fukushima bei drei Reaktoren die Kerne geschmolzen sind, fließt das Kühlwasser regelmäßig hoch radioaktiv belastet aus den Gebäuden zurück. Zugleich drückt Grundwasser durch die vermutlich leckgeschlagenen Fundamente hinein und wird dort ebenfalls kontaminiert. Etwa 700 Kubikmeter pro Tag müssen die Betreiber daher entsorgen. In einer leidlich funktionierenden Reinigungsanlage entziehen sie dem Wasser 99,99 Prozent des darin enthaltenen strahlenden Cäsiums. Knapp die Hälfte des Wassers wird dann wieder zur Kühlung benutzt, der Rest fließt in die Tanks und wartet dort auf eine weitere Aufarbeitung. 281.000 Kubikmeter haben sich so bereits angesammelt, teilt Tepco mit Stand von diesem Dienstag mit.

Bisher sind Arbeiter und Management offenbar eher lax mit den Tanks umgegangen. Etwa 300 der Behälter sind aus Ringen genieteter Stahlplatten zusammengesetzt, zwischen denen Gummidichtungen stecken. Im Gegensatz zu geschweißten Blechen gilt dieser Aufbau als weniger geschützt gegen Leckagen. Rund um die Tanks gibt es Auffangbecken, die ihren Inhalt über Absperrhähne in Entwässerungskanäle entlassen können. Offenbar waren die Hähne weder verplombt, noch gab es Regeln oder Protokolle, wann sie geöffnet werden können. Als Tepco am 19. August vermelden musste, dass aus einem der Tanks 300 Kubikmeter strahlendes Wasser verschwunden waren, verkündete die Firma als erste Maßnahme, nun würden alle Hähne verschlossen.

Rund um die Tanks mit radioaktiv verseuchtem Wasser gibt es Auffangbecken (Foto: dpa)

Dabei stellte sich auch heraus, dass es in den Tanks offenbar keine Kontrolle des Füllstands gegeben hatte. In dem lecken Behälter war der Wasserpegel schließlich um ganze drei Meter gefallen. "Da müsste man doch entsprechende Messgeräte installieren", sagt Joachim Knebel vom Karlsruher Institut für Technologie. Stattdessen hat Tepco offenbar mit Wärmebildkameras den Inhalt kontrolliert. Dass sie nun genauere Instrumente einbaut, bezeichnet die Firma in einer Information für die Öffentlichkeit als "radikale Maßnahme". Außerdem wolle man die genieteten Tanks durch geschweißte ersetzen.

Menge der Radioaktivität lässt sich nur schätzen

Wie viel Radioaktivität aus dem leckgeschlagenen Tank entkommen war, lässt sich höchstens schätzen. Messungen am verbliebenen Wasser zeigten, dass das restlichen Cäsium nur noch wenige Prozent ausmachte; der größte Anteil kam von anderen strahlenden Isotopen im Tank: Stoffe wie Tritium oder Strontium. Gemessen werden diese Mengen in der Einheit Becquerel: Ein Becquerel entspricht einem radioaktiven Zerfall pro Sekunde. Nach Informationen der World Nuclear Association müsste daher mit den 300 Kubikmetern eine Strahlungsmenge entwichen sein, die 60 Milliarden Zerfälle pro Sekunde auslöst. Zunächst aber hatten die Messtrupps sogar noch 400-mal höhere Werte ermittelt. Das lag offenbar daran, dass sich die radioaktiven Partikel aus dem Wasser auf dem Boden angereichert hatten, als das Wasser versickerte oder verdunstete.

Ähnlich dürfte der neue Rekordwert entstanden sein, den Tepco am vergangenen Wochenende meldete. An einem weiteren Tank maßen die Kontrolleure die Dosis von 1800 Millisievert pro Stunde. Das ist nicht ohne Weiteres mit der Mengenangabe vergleichbar, weil die Dosis auf die Wirkung für Menschen abhebt. Hätte ein Arbeiter diese Strahlung ungefiltert abbekommen, wäre er nach einer Stunde strahlenkrank und nach vier Stunden tot gewesen; Strahlenanzüge bieten aber guten Schutz. Vermutlich hatten sich auch hier radioaktive Partikel angereichert, als das Wasser sich langsam verflüchtigte. In beiden Fällen dürften die betroffenen Tanks langsam und lange geleckt haben - ein Zeichen mangelhafter Kontrolle.

Um den Inhalt der Tanks eines Tages wieder loszuwerden, plant Tepco derweil eine weitere Reinigungsanlage. Sie soll verschiedene Verfahren anwenden, um etwa 60 strahlende Stoffe aus dem Wasser zu entfernen. Es kann zum Beispiel erhitzt werden, bis es verdampft, dann würden radioaktive Schwebpartikel in einer Art Bodensatz zurückbleiben. Außerdem können die Teilchen chemisch verändert und ausgefällt oder an Substanzen gebunden werden, die sich aus dem Wasser filtern lassen.

Doch erstens funktioniert die von Tepco bestellte Anlage nicht richtig. Die Technik ist bisher vor allem in kleinem Maßstab erprobt worden, nicht im industriellen Maßstab. Im Juni aber entdeckten Arbeiter auch hier Lecks; offenbar hatten sich Löcher in einer Schweißnaht gebildet. Inzwischen ist laut Angaben der Betreiberfirma klar, dass das ALPS genannte System erst später in diesem Monat wieder einsatzbereit sein könnte. Geplant ist, 500 Kubikmeter pro Tag zu behandeln, nur etwa hundert mehr, als an kontaminiertem Wasser neu in die Tanks kommt.

Selbst wenn die Anlage wieder funktioniert, wird sie aber nicht das strahlende Tritium aus dem Wasser entfernen können, eine radioaktive Variante von Wasserstoff. "Am Ende", befürchtet Lothar Hahn, "werden die Japaner die Reste einfach verdünnen und in den Pazifik leiten."

© SZ vom 03.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ MagazinEin Jahr nach dem Atomunfall in Fukushima
:Wie sagen wir es unseren Nachfahren?

Atommüll strahlt ewig. Deshalb müssen Forscher Warnschilder ersinnen, die auch in 10.000 Jahren noch unmissverständlich sind. Ein Jahr nach der Katastrophe von Fukushima-1 wird diese Aufgabe wichtiger denn je.

Von Alexandra Lau und Roland Schulz

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: