DFB-Elf gegen Österreich:Boatengs neue Konstanz

Bayern Muenchen v Chelsea - Jerome Boateng

Obenauf: Jérôme Boateng

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Jérôme Boateng galt lange als talentierter Verteidiger, dem in entscheidenden Momenten irrwitzige Fehler unterlaufen. Seit einem halben Jahr spielt der 24-Jährige beim FC Bayern auffallend sicher. Durchaus möglich, dass Boateng in der Nationalmannschaft einen Startplatz ergattert.

Von Thomas Hummel

Wenn Jérôme Boateng spricht, klingt das nicht so, als müsste man vor ihm Angst haben. Er ist noch nie laut geworden in der Öffentlichkeit, Attacken gegen Mit- oder Gegenspieler sind nicht bekannt. Mit seinem unverkennbaren Berliner Einschlag spricht er selbst nach einem kribbligen Kampf auf dem Spielfeld in einer Tonlage, als hätte er die Partie gerade gelangweilt vom Sofa aus beobachtet.

Wenn Jérôme Boateng zum Mannschaftsbus des FC Bayern München schlurft und dabei ein paar Sätze in Mikrofone und Kameras sagt, ist es bisweilen schwer vorstellbar, dass es sich um denselben Mann handelt, der zuvor auf dem Rasen zuständig für rigorose Verteidigungsarbeit war. Dass dieser gutmütig wirkende Kerl der gleiche ist, der zuvor die gegnerischen Stürmer konsequent aus dem Weg geräumt hat.

Vielleicht hat auch das ruhige, bedächtige Auftreten des 24-Jährigen in den vergangenen Jahren bewirkt, dass man seine Leistungen auf dem Platz immer noch etwas kritischer sah. Ist Deutschland nicht das Land der beinharten Abwehrleute? Der Kohlers, Wörns, Försters und Liebrichs? Wie soll jemand, der spricht, als müsse er sich vor Schüchternheit unter Mutters Rockzipfel flüchten, diesen harten Job verrichten? Ist doch klar, dass er immer dann patzt, wenn es darauf ankommt!

Wilde Grätschen im Strafraum

Jérôme Boateng hat immer noch mit dem Ruf zu kämpfen, er sei zwar ein hoch talentierter Verteidiger, der aber im entscheidenden Moment völlig überflüssige Fouls begeht oder mit einem irrwitzigen Fehler ein Gegentor verschuldet.

Das begann in seinem ersten Länderspiel 2009 in Moskau, wo er mit Gelb-Rot vom Platz flog. Im Pokalfinale 2012 gegen Borussia Dortmund grätschte er wieder einmal wild im Strafraum, in der vergangenen Saison sah er Rot in der Champions League gegen Bate Borissow - und sorgte mit einem (allerdings sehr unglücklichen) Eigentor gegen Bayer Leverkusen für die einzige Niederlage in der Bundesliga-Saison. Wenn Bayern mal wieder hoch überlegen war, hofften die Anhänger nur, dass der Boateng nicht doch noch Mist baut.

Und dann gewann der FC Bayern München das Triple aus Liga, Pokal und Champions League. Auch und gerade wegen Jérôme Boateng. Vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Österreich sagte Bundestrainer Joachim Löw: "Ich habe seine Entwicklung sehr positiv gesehen im letzten halbes Jahr. Er hat sich eindeutig verbessert in manchen Bereichen." Dass er in der Innenverteidigung statt Per Mertesacker oder Mats Hummels einen Startplatz erhält, ist durchaus möglich.

Wie der Wandel genau geschah? Es wirkte fast so, als wäre die Hinausstellung gegen Borissow der heilsame Schock gewesen für Boateng. Damals leistete er sich eine eingesprungene Grätsche an der Mitteilinie und sah Rot. Trainer Jupp Heynckes übte danach harsche Kritik an seinem Verteidiger, weil sich kurz zuvor Holger Badstuber schwer verletzt hatte und der FC Bayern einen guten Boateng dringender denn je benötigte. Der reagierte - und leistete sich keinen Aussetzer mehr. Auch in der neuen Saison unter Pep Guardiola ist Boateng neben dem seltsam fahrigen Dante die Konstante in der bayerischen Abwehr.

Bedürfnis nach Sicherheit

"Ich bin einfach ruhiger am Ball geworden. Ich will auch nicht jeden Ball sofort wieder erkämpfen, sondern warte ab, bin nicht mehr so ungestüm. Ich habe wieder einen Schritt nach vorne gemacht, bin aber noch lange nicht am Ende", erklärte Boateng unmittelbar nach dem Triple-Gewinn im Juni. Im Bayern-Trainingslager zur neuen Saison am Gardasee stellte er klar, dass seine Ziele nur die höchsten sind: "Mein Ziel ist es, bei der Weltmeisterschaft innen zu spielen." Seine Zeit auf außen, wo er bei der WM 2010 (links) und der EM 2012 (rechts) zum Einsatz kam, soll endgültig vorbei sein.

Dort, in der Innenverteidigung der Nationalmannschaft, herrschen derzeit unruhige Zeiten. Es hagelte förmlich Gegentore in den vergangenen Länderspielen: 4:4 gegen Schweden (Innenverteidigung Mertesacker, Badstuber), 4:2 gegen Ecuador (Mertesacker, Westermann), 3:4 gegen die USA (Mertesacker, Höwedes) und zuletzt 3:3 gegen Paraguay (Mertesacker, Hummels). Gegen die Südamerikaner kam Boateng beim Stand von 2:3 für Mertesacker ins Spiel, und plötzlich sah es viel besser aus. "Er hat sehr gut umgesetzt, was ich von ihm gefordert habe", erinnerte sich Löw, "er war bei den Gegenspielern auch in der gegnerischen Hälfte dran, hat sie bei Ballbesitz sofort unter Druck gesetzt. Er hat da die richtigen Lösungen gefunden."

Während nun also Badstuber nach mehreren Knieoperationen bis zur WM im kommenden Sommer wohl kein Thema sein wird, während Mats Hummels immer wieder Probleme offenbart, sein offensives Abwehrspiel aus Dortmund auf die Sicherheitsvariante unter Löw umzustellen, driftet Boateng auf einer Welle des Selbstvertrauens. Der Bayern-Verteidiger scheint mal dran zu sein. Per Mertesacker ahnt offenbar schon die Gefahr und verteidigt sich nun auch verbal gegen die Kritik an der Innenverteidigung: "Ich denke, dass allen auf dem Platz klar sein muss, dass wir zusammen verteidigen müssen. Ich finde es nicht angebracht, dass immer nur die Viererkette beschimpft wird, wenn es mal blöd läuft", sagte der Profi vom FC Arsenal in der Welt: "Dass manchmal ganz andere Handlungen auf dem Platz Auslöser für etwas sind, wird oftmals übersehen."

Suche nach der richtigen Balance

Insgesamt steigt das Bedürfnis bei den Nationalspielern gerade auf den defensiven Positionen nach mehr Sicherheit im Spiel. Bundestrainer Joachim Löw liebt die offensive Haltung, dominantes Agieren und stellt bisweilen lieber einen angriffslustigen Profi mehr auf. Dennoch glaubt sich Löw auf dem richtigen Weg. "Wir müssen die richtige Balance finden, aggressiver, intensiver gegen den Ball arbeiten. Das beginnt ganz vorne."

Der Bundestrainer berichtete von einer Statistik, nach der seine Spieler beim 3:3 gegen Paraguay viel mehr gelaufen seien als beim 2:1-Sieg in Frankreich im Februar. Dort aber hätten die Profis doppelt so viele Sprints absolviert. Löw setzt deshalb darauf, dass seine Mannschaft das Verteidigen auch mit seiner offensiveren Aufstellung kann, wenn sie nur richtig auf dem Platz agiert und intensive Laufarbeit verrichtet, wenn der Gegner den Ball hat. Für das Spiel gegen Österreich verspricht er dennoch nicht 90 Minuten ohne Gegentor, sondern: "Wir schießen auf jeden Fall mehr Tore als wir bekommen." Ob er da bereits den formstarken Jérôme Boateng als Innenverteidiger eingeplant hatte?

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