Berlinerin in US-Todeszelle:Verbrechen unwahrscheinlich

Debra Milke

Seit 23 Jahren sitzt die Berlinerin Debra Milke in der Todeszelle. Jetzt soll sie frei kommen.

(Foto: dpa)

Seit 23 Jahren sitzt die Berlinerin Debra Milke in einer US-Todeszelle, weil sie angeblich den Mord an ihrem Sohn in Auftrag gab. Sogar ihre Henkersmahlzeit hat sie schon ausgesucht. Doch nun soll sie gegen Kaution freikommen - wegen "verstörender" Verfahrensfehler.

Von Anne-Nikolin Hagemann

Ein halbes Leben hinter Gittern. Ein halbes Leben den eigenen Tod vor Augen: Als die gebürtige Berlinerin Debra Milke in den USA wegen der Ermordung ihres Sohnes zum Tode verurteilt wurde, war sie 25 Jahre alt. Heute ist sie 49 - und wohl bald frei. Vielleicht schon an diesem Wochenende.

Gegen eine Kaution von 250.000 Dollar könne die Tochter eines US-Soldaten und einer Deutschen das Gefängnis vorläufig verlassen, entschied ein Gericht im Bundesstaat Arizona an diesem Donnerstag (Ortszeit). "Die Beweise reichen nicht aus, und die Wahrscheinlichkeit ist nicht groß genug, dass die Angeklagte die ihr zu Last gelegten Verbrechen begangen hat", begründete die Richterin ihre Entscheidung. Das Berufungsverfahren soll Ende September weitergehen. Die Angeklagte, die unter Auflagen freikommen soll, darf den Bundesstaat Arizona nicht verlassen.

Milke war 1990 verurteilt worden, weil sie ein Jahr zuvor zwei Männer zum Mord an ihrem damals vier Jahre alten Sohn angestiftet haben soll. Einziger Beweis für ihre Schuld war die Aussage eines Polizisten, dem gegenüber sie angeblich ein Geständnis abgelegt hatte. Milke hatte dies stets bestritten, von dem Verhör existiert weder eine Tonbandaufzeichnung noch ein unterschriebenes Protokoll. Der Polizist war zu dem Zeitpunkt, wie erst später bekannt wurde, bereits mehrfach durch Lügen unter Eid aufgefallen. Im vergangenen März hatte ein Berufungsgericht das Urteil nach jahrelangen Bemühungen der Anwälte Milkes widerrufen und die Staatsanwaltschaft daraufhin erneut Anklage erhoben.

Die Kaution hinterlegt hat laut US-Medienberichten Debra Milkes Mutter. Für die krebskranke Frau endet damit ein Albtraum: Seit Jahren kämpft sie für die Freilassung ihrer Tochter, mit der sie seit Monaten nicht einmal mehr telefonieren durfte. Hilfe erhält sie von teils prominenten Unterstützern, die nun auch die Kautionssumme bezahlt haben sollen. "Wir sind überglücklich", teilte Milkes Mutter im Namen der Familie am Freitag mit. Die Schauspielerin Uschi Glas, die sich seit Jahren für Debra Milke einsetzt, sagte, sie sei schon immer von deren Unschuld überzeugt gewesen. Die anstehende Freilassung sei "ein ganz, ganz großer Gewinn".

Anfang 1998 schien es schon einmal so, als sei alle Hoffnung verloren: Die Hinrichtung nahte unausweichlich, Milke hatte bereits ihre Henkersmahlzeit ausgesucht. Erst in letzter Sekunde konnten ihre Verteidiger eine Verschiebung erwirken.

"Verstörende" Verfahrensfehler

Über Jahrzehnte hatten die Anwälte für eine Aufhebung des Todesurteils gekämpft und dabei etliche Verfahrensfehler aufgedeckt, die der zuständige Berufungsrichter später als "verstörend" bezeichnen sollte: Weder Jim Styers noch Roger Scott, die Debra Milkes Sohn Christopher erschossen haben sollen und sich vor Gericht gegenseitig belasteten, wollten gegen sie aussagen; Milkes früherer Mitbewohner Styers betont bis heute, dass sie unschuldig sei. Das Einzige, was Debra Milke in Verbindung mit dem Tod ihres Kindes gebracht hatte, war die Aussage von Detective Armando Saldate.

Am 3. Dezember 1989 verhörte Saldate Roger Scott, bei dem später Schizophrenie diagnostiziert wurde. Scott nannte in einer seiner vielen Versionen des Tathergangs Debra Milke als Anstifterin. Daraufhin holte Saldate diese zum Verhör. Allein. Ohne Zeugen, ohne Tonband. Die Aufzeichnungen, die er gemacht haben will, vernichtete er angeblich direkt nachdem er seinen Bericht geschrieben hatte. Darin stand, dass Milke gestanden habe, den Mord an ihrem Sohn in Auftrag gegeben zu haben.

Vor Gericht stand Aussage gegen Aussage. Die der geschiedenen, alleinerziehenden Mutter - Ex-Mann und Vater beide Alkoholiker - gegen die des erfahrenen Polizisten und geübten Zeugen. Die Jury glaubte Saldate. Was niemand außer der Staatsanwaltschaft wusste: Der Detective hatte bereits viermal unter Eid gelogen. In einem Disziplinarverfahren hieß es, Saldates "Ehrlichkeit, Kompetenz und Zuverlässigkeit" stünden infrage.

Ende September wird Saldate wohl wieder vor Gericht aussagen. Allerdings kennen ihn die anderen Prozessteilnehmer nun besser als beim ersten Mal.

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