Kult-Zapfhahn auf dem Oktoberfest:Der Wechsel läuft und läuft und läuft

Kult-Zapfhahn auf dem Oktoberfest: Jürgen Zirch ist Braumeister und Besitzer eines ganz besonderen Zapfhahns.

Jürgen Zirch ist Braumeister und Besitzer eines ganz besonderen Zapfhahns.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Wenn ein Schankkellner auf der Wiesn einen guten Wechsel hat, dann hütet er ihn wie einen Schatz. Brauer Jürgen Zirch hat einen ganz besonderen Zapfhahn geerbt: Durch ihn sind in den vergangenen 35 Jahren schon mehr als fünf Millionen Maß Bier geflossen - und das schneller als bei manch anderem.

Von Johannes Waechter

Nicht einer seiner alten Kollegen stand mit der Witwe und den Verwandten am Grab, als der Hornauer Hans, langjähriger Schankkellner auf der Wiesn, im Mai 2007 auf dem Münchner Ostfriedhof beerdigt wurde. Nur Jürgen Zirch war gekommen, der mit ihm im Augustiner-Zelt an der Schänke 4 gearbeitet hatte, hinten links bei der Damentoilette. In Gedanken waren viele andere Münchner Schankkellner allerdings ebenfalls dabei. Bloß trauerten sie nicht unbedingt dem Verstorbenen nach, der sich immer für den besten seiner Zunft gehalten hatte und nicht sonderlich beliebt gewesen war.

Nein, sie überlegten, wo wohl sein berühmter Zapfhahn sei. Jener Bierwechsel, wie die Zapfhähne auch genannt werden, von der Firma Stolz & Reindl, der nie spritzte und so sagenhaft gut lief, dass der Hornauer Hans die großen Fässer mit dem Augustiner Edelstoff noch etwas schneller leer bekam als seine Kollegen. "Nach dem Tod vom Hans haben mich viele gefragt, ob ich seinen Wechsel noch hätte", erzählt seine Frau Gertraud. "Da waren sie ganz scharf drauf. Um den Wechsel haben ihn alle Schankkellner beneidet."

Weil der Hornauer Hans ein rauer, nicht besonders großzügiger Mann war, dachten nicht wenige, er würde seinen Zapfhahn mit ins Grab nehmen. In seinen letzten Jahren auf der Wiesn hatte er sich allerdings mit dem dreißig Jahre jüngeren Zirch angefreundet. "Wir haben uns gleich am Anfang einmal recht gestritten, sodass wir fast gerauft hätten", erzählt Zirch. "Das fand er gut. Danach hat er mich respektiert."

Als Hornauer an Krebs erkrankte und das Ende kommen sah, beschloss er, seinen Wechsel dem jungen Kollegen zu vererben. "Das ist er", sagt Zirch und legt einen golden schimmernden Zapfhahn auf den Tisch. "Der Hornauer-Wechsel. Einer der besten Bierwechsel, die in den vergangenen Jahrzehnten auf der Wiesn im Einsatz waren." Er zeigt auf eine eingravierte Inschrift: "Hornauer Hans 30.3.1971." In diesem Jahr hat Hornauer seinen Zapfhahn zum ersten Mal ins Fass geschlagen, bis 2004 dürfte er mit ihm über fünf Millionen Maß gezapft haben. An einer anderen Stelle hat Zirch seinen eigenen Namen eingraviert. "Jürgen Zirch Mai 2007", steht da, als Vorsichtsmaßnahme gegen Diebstahl oder Verlust. "Wenn ein Schankkellner einen guten Wechsel hat, dann hütet er den wie einen Schatz", sagt Zirch.

Nun mag man sich fragen, was an einem Zapfhahn so begehrenswert sein soll, dass man ihn klauen oder einer trauernden Witwe abschwatzen möchte. Die Antwort weist auf einen Umstand hin, der die Wiesn vielen Besuchern sympathisch macht und längst zum Markenkern des Fests gehört: Allen Veränderungen zum Trotz gibt es dort einige Ecken, an denen die alte Biertradition noch lebendig ist.

Natürlich sind in den meisten Zelten längst moderne Zapfanlagen in Betrieb. Das Bier wird, wenig romantisch, in Tanks gelagert und mit Hilfe von Kohlendioxid durch unterirdische Leitungen zu den Schänken gepresst. Dennoch sind die alten Zapfhähne vom Oktoberfest nicht wegzudenken. Beim Anzapf-Ritual, mit dem das Fest eröffnet wird, schwingt der Oberbürgermeister nach wie vor den Schlegel und haut einen Zapfhahn ins Fass. In zwei Wiesn-Zelten, der Augustiner-Festhalle und der Fischer-Vroni, kommt das Bier wie vor hundert Jahren aus dem Holzfass, auch auf der Oidn Wiesn herrscht Holzfass-Pflicht.

Um die Maßkrüge so schnell füllen zu können, dass die Gäste nicht warten müssen, brauchen die Schankkellner dort gut funktionierende Zapfhähne. Nur werden die großen Literwechsel seit Jahrzehnten nicht mehr hergestellt. Das ist der Grund, warum gute Wechsel wie der vom Hornauer Hans so begehrt sind. Taucht mal einer bei Ebay auf, kann er für bis zu 1500 Euro weggehen.

Besonders verzwickt wird die Lage dadurch, dass Wechsel nicht gleich Wechsel ist. Man kann zwei Bierwechsel von derselben Firma vor sich haben, die sich äußerlich aufs Haar gleichen - und der eine läuft, der andere nicht. Obwohl der Mechanismus einigermaßen simpel ist, ein Rohr mit einem Verschluss in der Mitte, beharren erfahrene Schankkellner darauf, dass jeder Zapfhahn einen eigenen Charakter habe und dass man diesen kennenlernen müsse, um das Bier zügig und ohne zu viel Schaum aus dem Fass zu bekommen. Doch auch wenn sich die Qualität eines Wechsels erst in der Praxis zeigt, herrscht Einigkeit darüber, dass die Wahrscheinlichkeit, auf einen guten Wechsel zu treffen, bei zwei Herstellern am größten ist.

Da wäre zum einen der Münchner Karl Ambach, der von den Zwanzigerjahren bis zu seinem Tod im Jahr 1944 Zapfhähne herstellte; einige seiner Wechsel sind bis heute im Gebrauch. Außerdem die Firma Stolz & Reindl, wo 1972 die letzten 100 Wechsel gegossen wurden. Dann war Schluss, mangels Bedarf.

Der Schankkellner als heimlicher Herrscher

Zu Stolz & Reindl ging auch Hans Hornauer, als er sich Anfang 1971 nach seinen ersten Jahren als Schankkellner endlich einen vernünftigen Wechsel kaufen wollte. "Die Firma war in der Senftenauer Straße", erklärt sein damaliger Kollege Helmut Huber. "Man ging ins Büro und bekam für 58 Mark einen großen Literwechsel. Viel Geld war das - wir haben damals ja nur 70 Mark verdient in der Woche." Huber und Hornauer hatten Anfang der Sechzigerjahre bei Paulaner als Brauer begonnen; nebenbei arbeiteten sie, wie viele Kollegen, in den Festzelten und Biergärten. Man begann als Ganterbursche, der die schweren Holzfässer aufstellt, und arbeitete sich dann über den Maßkrugwascher zum Schankkellner hoch. "Anfangs hat der Hornauer ein rechtes Glump gehabt, mit einem langen Hahn, wo du immer drangestoßen bist", erklärt Huber. Mit dem neuen Wechsel von Stolz & Reindl war auf einmal alles anders.

"Es heißt, er habe eine Bohrung vorgenommen, damit mehr rausläuft", sagt Huber. Tatsächlich befinden sich hinten im Hornauer-Wechsel zwei Löcher, außerdem wurden am hinteren Rand zwei kleine Dreiecke herausgefeilt. Solche Modifikationen probieren viele Schankkellner aus, wobei schon kleinste Details große Auswirkungen auf den Bierfluss haben können - positiv wie negativ.

Anscheinend bohrte Hornauer intuitiv genau an der richtigen Stelle und kitzelte so die entscheidenden paar Prozent heraus, die seinen Wechsel den meisten anderen überlegen machte. Zuerst zapfte er damit im Winzerer Fähndl, dann in der Augustiner-Festhalle. "Der Hornauer war ein Reißer, ein echtes Arbeitstier", sagt Huber. So gingen bei ihm bald mehr Maß über den Tresen als bei vielen anderen. "Er hat das als seine Berufung angesehen", sagt seine Frau Gertraud. "Mit Sicherheit hat er sich für den besten Schankkellner auf der Wiesn gehalten."

Es war die Zeit, als die Schankkeller die heimlichen Herrscher der Bierzelte waren. An den Schänken standen Männer wie der Hörmann Hans, der Weiß Emil und der sagenumwobene "Biwi", der 289 Maß aus einem 200-Liter-Fass herauszuholen vermochte. Alles Querköpfe, raue Gesellen, die sich von niemandem etwas sagen ließen, nicht von den Gästen, nicht vom Wirt und schon gar nicht von Politikern wie dem damaligen Kreisverwaltungsreferenten Peter Gauweiler, der es sich 1984 zur Aufgabe machte, gegen schlecht eingeschenkte Maßkrüge vorzugehen und seine Prüfbeamten durch die Zelte schickte.

Gertraud Hornauer erzählt, dass der CSU-Politiker sogar einmal selbst im Augustiner-Zelt erschien, um die Schänken zu inspizieren. "Da war mein Mann wahnsinnig wütend, als er nach Hause kam", erinnert sie sich. "Anscheinend hatte der Herr Gauweiler zu ihm gesagt, dass er seinen Wechsel am liebsten aus dem Verkehr ziehen würde, weil das Bier da viel zu schnell durchlaufen würde."

Gauweiler zum Trotz ist der Hornauer-Wechsel auch dieses Jahr wieder auf der Wiesn im Einsatz. Vor Beginn des Oktoberfests spült Jürgen Zirch den Zapfhahn eine halbe Stunde mit dem Gartenschlauch durch, er schmiert ein wenig Hahnenfett auf den Kegel, das ist der drehbare Verschluss des Wechsels, um ihn geschmeidig zu machen, und legt den Wechsel über Nacht in den Kühschrank, damit er die Temperatur des Bieres annimmt. Dann ist er einsatzbereit.

Mit ein bis zwei Schlägen wird Zirch den Hornauer-Wechsel ins Fass hauen, und es kommt oft vor, dass er den Hahn danach nicht mehr schließt, bis der große 200-Liter-Hirschen nach 12 bis 13 Minuten leer gelaufen ist. Kommt mal ein Promi an seine Schänke, um für die Pressefotografen ein Fass anzuzapfen, holt Zirch einen seiner Reserve-Zapfhähne heraus - den Hornauer-Wechsel darf niemand anfassen. "Wenn der Kegel mal auf den Boden knallen sollte, ist der ganze Wechsel wertlos", sagt Zirch.

Um die 50 Fässer leert Zirch jeden Tag, und während er Maß um Maß herausholt, denkt er gelegentlich an seinen Freund, den Hornauer Hans, der mit Leib und Seele Schankkellner war. "Er selbst kann nicht mehr auf der Wiesn sein. Aber sein Wechsel ist immer noch da. Irgendwie lebt er noch, der Hans", sagt Zirch. So lange das Bier durch seinen Zapfhahn läuft, ist der Hornauer Hans auf der Wiesn unsterblich.

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