Einziges SPD-Direktmandat in Bayern:Milbertshofen, rote Insel im schwarzen Meer

Einziges SPD-Direktmandat in Bayern: Ruth Waldmann (M.) feiert mit Genossen im Bürgerbüro der SPD in der Belgradstraße.

Ruth Waldmann (M.) feiert mit Genossen im Bürgerbüro der SPD in der Belgradstraße.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die SPD muss sich in ganz Bayern mit nur einem Direktmandat begnügen, das Ruth Waldmann in Milbertshofen erkämpft hat. Dass im Münchner Stimmkreis 104 überproportional viele Arbeiter und Ausländer wohnen, hat den Genossen wohl ebenso geholfen wie die Unterstützung eines berühmten Schwabingers.

Von Beate Wild

Wahlsonntag, kurz nach 23 Uhr: Im Schwabing ist der Jubel so laut, als hätte der FC Bayern gerade schon wieder das Triple gewonnen. Es sind zwar auch die Roten, die hier feiern, die Schreie aber kommen nicht von der Leopoldstraße, sondern aus dem Bürgerbüro der SPD in der Belgradstraße. Ruth Waldmann, Kandidatin im Stimmkreis Milbertshofen, ist soeben als einzige direkt gewählte Abgeordnete der Sozialdemokraten in den bayerischen Landtag eingezogen.

Der Stimmkreis 104 im Münchner Norden erstreckt sich über die Stadtteile Milbertshofen, Am Hart, Schwabing-West, Schwabing-Nord, das Olympiadorf sowie Teile von Neuhausen und Nymphenburg. Ruth Waldmann hat hier 33,8 Prozent geholt, sie gewann knapp vor Mechthilde Wittmann von der CSU (32,3 Prozent). Ist Milbertshofen also ein gallisches Dorf in einem Bayern, das fest in CSU-Hand ist? Eine rote Trutzburg im schwarzen Freistaat? Oder nur ein Zufallstreffer?

Plattenbauten, Industrieanlagen, Gewerbeflächen und der Olympiapark - das fällt einem Münchner als erstes ein, wenn er an Milbertshofen denkt. Der Stadtteil liegt im Norden Münchens, zwischen dem gutbürgerlichen Schwabing und dem sozialen Brennpunkt Hasenbergl. Es ist unbestritten: Milbertshofen ist nicht das mondäne München, von dem man in Reiseführern und Urlaubsprospekten liest. Hier wohnen etwa 75.000 Menschen, vor allem Arbeiter. Der Ausländeranteil liegt hier bei 37,5 Prozent, in ganz München beträgt er 23,4 Prozent.

Im Olympiadorf, das 1972 extra zur Beherbergung der Athleten gebaut wurde und viele an eine Plattenbausiedlung erinnert, wohnt nach Angaben der Stadt die Mittelschicht "mit einem hohen Anteil an akademisch gebildeten Angestellten und Beamten". In Neuhausen und Nymphenburg wohnen vor allem Familien und Angestellte. Die bürgerliche Mitte.

Den SPD-Ortsverband gibt es seit mehr als 100 Jahren

Und dann ist da noch ein Teil von Schwabing. Schwabing, das ist für viele Münchner kein Stadtteil, sondern ein Lebensgefühl. Hier zelebrierte die Bohème ihre Existenz als Lebenskünstler. Heute leben hier karriereorientierte Yuppies, wohlsituierte Jungfamilien, die am Wochenende gerne mit Kind im Bugaboo-Kinderwagen über die Hohenzollernstraße flanieren, und alteingessene, linksintellektuelle Altschwabinger, die man jederzeit im Italiener am Eck bei einem Glas Rotwein antreffen kann.

Warum also wählen alle diese Menschen, vom Arbeiter bis zum Yuppie, die SPD? Ist es im Stimmkreis Milbertshofen Tradition, links zu wählen? Den SPD-Ortsverband Milbertshofen gibt es immerhin schon seit mehr als 100 Jahren. Bereits vor der kurzzeitigen Erhebung Milbertshofens zur Stadt von 1910 fand erstmals eine eigene SPD-Sektion Erwähnung; 1913 wurde Milbertshofen eingemeindet.

So richtig gut für die Genossen läuft es aber erst viel später. 1958 ist Milbertshofen eine SPD-Hochburg, bei den Landtagswahlen erringt die Partei mehr als 50 Prozent der Stimmen. Am Hart gibt es das stadtweit beste Ergebnis: 60,3 Prozent. Milbertshofen bleibt mit 56,4 Prozent aber nur knapp darunter. 1960 bekommt die SPD 63,9 Prozent, Hans-Jochen Vogel wird erstmals Oberbürgermeister.

Doch es gibt auch schwarze Zeiten - im wahrsten Sinne des Wortes: Bei der Landtagswahl 2003 gewinnt die CSU das Direktmandat. Die Tochter von Franz Josef Strauß, Monika Hohlmeier, holt 42,4 Prozent der Erststimmen. Auch 1998 kam die CSU hier auf 42,3 Prozent. Erst bei der Landtagswahl 2008 reißt Franz Maget, der damalige SPD-Spitzenkandidat und langjährige Fraktionschef, das Ruder wieder herum und holt das Direktmandat mit 39,9 Prozent der Stimmen.

Die CSU hat "alles zuplakatiert"

Für Ruth Waldmann war vor allem das große Engagement der Genossen entscheidend. "Es war sauschwer", sagt Waldmann noch in der Wahlnacht. "Trotz viel kleinerem Wahlkampfbudget ist es uns gelungen, uns gegen die Monsterpräsenz der CSU durchzusetzen", sagt die 42-jährige Soziologin, die für die Arbeiterwohlfahrt als Prokuristin arbeitet. Die CSU habe in Schwabing und Milbertshofen "alles zuplakatiert". Da hätten die Sozialdemokraten unmöglich mithalten können.

Sie sei zwar seit der Wahl 1998 schon als Bezirkstagsabgeordnete tätig, sagt Waldmann, doch im Grunde bei der Bevölkerung ein unbeschriebenes Blatt. Hört man sich bei den Menschen im Stimmkreis 104 um, bestätigt sich das: Bislang kennt Ruth Waldmann eigentlich kaum jemand.

Franz Maget glaubt ebenfalls, dass es die gute Arbeit des Schwabinger Bürgerbüros war, die Waldmann zum Sieg verholfen hat. Vielleicht habe es auch geholfen, dass die Bürger in den vergangenen Jahren mit seiner Arbeit zufrieden waren. Aber so recht kann sich auch bei der SPD keiner den Erfolg des Stimmkreises 104 erklären.

Einen Grund gibt es jedoch, den im Bürgerbüro Schwabing keiner genannt hat, auch wenn er mit Händen greifbar ist. Er lautet: Christian Ude. Der Mann, der seit 20 Jahren Münchens Oberbürgermeister ist und der die Landtagswahl zwar nicht gewonnen hat, wird da, wo er herkommt, geschätzt und respektiert.

Christian Ude wohnt im Stimmkreis Milbertshofen, nur 300 Meter entfernt von dem Schwabinger SPD-Bürgerbüro, in dem in der Wahlnacht eine überglückliche Ruth Waldmann ihren Sieg bei Rotwein und Erdnüssen feiert. Zufall oder Ude-Effekt? Den Genossen dürfte das egal sein, Hauptsache das Klassenziel ist geschafft.

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