"Berliner Runde" in ARD und ZDF:Viel Inhalt, wenig Erkenntnis

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Könnte ja sein, dass irgendjemand den Wahlkampf bisher total verpennt hat! Das dachten sich wohl die Verantwortlichen der "Berliner Runde" und ließen Spitzenpolitiker der Parteien im Schnelldurchlauf noch einmal über wirklich alle Themen des Wahlkampfs diskutieren. Die scheinen inzwischen an einer Art politischem Stockholm-Syndrom zu leiden.

Eine TV-Kritik von Hannah Beitzer, Berlin

Der bezeichnendste Satz zur "Berliner Runde" fiel ganz am Schluss. "Wir haben auf alle Spielchen verzichtet", sagt Moderator und Chefredakteur des ARD-Hauptstadtstudios Ulrich Deppendorf am Schluss. "Sehr wohlerzogen", nennt sein Pendant vom ZDF, Bettina Schausten, die Runde. Will heißen: reichlich wenig kämpferisch. Um nicht zu sagen: ein bisschen langweilig.

Denn die Live-Sendung, die parallel auf ARD und ZDF übertragen wird, ist vor allem eins: eine einigermaßen übersichtliche Zusammenfassung der Wahlkampfthemen für alle, die den Wahlkampf bisher verpennt haben. Aber immerhin - wer sich bisher über zu wenige Inhalte im Wahlkampf beklagt haben, dürfte nun endgültig zufrieden sein.

Sigmar Gabriel (SPD), Gerda Hasselfeldt (CSU), Rainer Brüderle (FDP), Ursula von der Leyen (CDU), Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und Gregor Gysi (Linke) ließen zwar wenig Neues hören, richteten sich aber brav in ihren jeweiligen Lagern ein und verzichteten sogar weitgehend auf Polemik und Angriffe unter der Gürtellinie.

Politisches Stockholm-Syndrom

Fast schien es, als litten die Wahlkämpfer an einer Art politischem Stockholm-Syndrom - klar, wer Tag für Tag mit dem Gegner die immer selben Streitfragen diskutiert, der kann sich über dessen Argumente irgendwann nicht mehr glaubhaft aufregen, weil er sie schlicht schon in- und auswendig kennt. Fast so gut wie seine eigenen.

Vielleicht empfindet er sogar so etwas wie Sympathie für denjenigen, der - vermutlich genauso erschöpft wie er selbst - den Wahlsonntag ebenso herbeisehnt wie der politische Gegner. Insbesondere die routinierten Polterer Brüderle und Gabriel traten ungewohnt milde auf, so liefen denn auch die Spitzen des wortgewandten Gregor Gysi ins Leere. Gerda Hasselfeldt sprach sowieso nur, wenn sie dazu gezwungen wurde. Die interessantesten Wortwechsel spielten sich noch zwischen den unablässig lächelnden Kontrahentinnen von der Leyen und Göring-Eckardt ab.

Sogar inhaltlich folgte die "Berliner Runde" einem bewährten Muster. Erst ging es ein wenig um Koalitionsfragen, dann kam das Streitthema Pkw-Maut auf den Tisch - mit bekannten Positionen: Alle außer der CSU finden sie blöd, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Ebenso das Betreuungsgeld: finden eigentlich auch alle außer der Union doof, aber es "steht nicht zur Disposition", sagt Gerda Hasselfeldt.

Fragen per Twitter, Facebook und Mail

Und wie sieht es mit den gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften aus? Besonders das Thema Adoptionsrecht interessiert die Zuschauer, die auf Twitter, Facebook und per Mail Fragen an die Politiker stellen dürfen. "Wir haben schon viel getan", findet Ursula von der Leyen - und wird von Göring-Eckardt daran erinnert, dass es meistens wohl eher das Bundesverfassungsgericht war, das die Regierung zum Handeln zwingen musste.

Dann geht es schon weiter zum Thema Mindestlohn. Alle wollen eine Kommission aus Gewerkschaftern, Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die den Mindestlohn festlegt. Strittig ist bloß, wo der Gesetzgeber ins Spiel kommen soll - aber auch hier sind die Fronten altbekannt. Am einen Ende der Skala steht die FDP, am anderen Ende die Linke. Und alle anderen irgendwo dazwischen.

Berliner Runde
:Zu matt für Wahlkampfendspurt

Von der Leyen, Gabriel, Hasselfeldt, Brüderle, Göring-Eckardt und Gysi: Drei Tage vor der Wahl hatten sie die Chance, in der Berliner Runde vor allem unentschlossene Wähler zu mobilisieren. Doch die Politiker wirkten vor allem müde.

Die Berliner Runde in der Nachlese von Antonie Rietzschel und Hannah Beitzer, Berlin

Natürlich kommt auch die Euro-Krise zur Sprache. Unions- und FDP-Vertreter grenzen sich artig von der eurokritischen Partei Alternative für Deutschland ab, die in jüngsten Umfragen auf vier Prozent der Stimmen kommen würde. Göring-Eckardt fordert einen "gemeinsamen Schuldenpakt" und Sigmar Gabriel bezichtigt Angela Merkel, der Bevölkerung nicht die Wahrheit zu sagen - angefangen bei "Kein Cent für Griechenland". Deutschland sei der Gewinner des Euro. "Jetzt müssen wir in Europa investieren", findet der SPD-Chef.

So richtig will da auch aus dem Regierungslager niemand widersprechen. "Man sollte nicht vergessen, dass es vor 60 Jahren die anderen waren, die uns die Hand gereicht haben", sagt Ursula von der Leyen wahrhaft präsidial. Sie beweist überhaupt in dieser Runde, dass sie viel von ihrer Chefin gelernt hat: Kritik und Sticheleien lächelnd an sich abprallen zu lassen. Folgt auf Teflon-Merkel also Teflon-von-der-Leyen?

Dafür, dass die Runde wenigstens hin und wieder Fahrt aufnimmt, sorgen lediglich die Moderatoren - vor allem Bettina Schausten scheint gutgelaunt, hakt an den richtigen Stellen nach, sagt etwa zu Brüderle, dass seine Partei in Sachen Betreuungsgeld "schon einmal weiter gewesen sei".

Und als man sich zum Schluss beim Thema Überwachung in einem Einspieler an alte Zeiten erinnert fühlt, fragt Schausten: "Sie auch Herr Gysi?" Stasi-Witze? Das hätte auch arg danebengehen können. Aber Gysi muss lachen. "Na ja, da sind die technischen Möglichkeiten doch schon weiter."

Wie ein genervter Lehrer

Ulrich Deppendorf hingegen macht vor allem im Wortsinne Tempo: Streng überwacht er die Anzahl der Redebeiträge, peitscht die Diskutanten von Thema zu Thema und wirkt dabei zuweilen wie ein genervter Lehrer, der versucht, eine träge Schulklasse zu motivieren.

Aber immerhin, als Gerda Hasselfeldt beim Thema Überwachungsskandal auf unerträgliche Art und Weise ins Stottern kommt und immer wieder auf "Fachleute" verweist, anstatt die Position ihrer Partei darzulegen, lässt Deppendorf sie nicht vom Wickel. Schade nur, dass der Prism-Skandal wie immer in den Talkrunden dieses Wahlkampfes ganz zum Schluss kommt, wenn noch maximal fünf Minuten zum Diskutieren übrig sind.

Und dann ist die "Berliner Runde" auch schon vorbei und alle warten gebannt auf die neuesten Umfrageergebnisse im Heute-Journal. Auch sie sagen, was sie schon seit Wochen sagen: Es wird knapp. Ja, langsam wäre es wirklich an der Zeit, dass auf den Wahlkampf die Wahl folgt.

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