Casting für IAA-Hostessen:Bild der Frau

Lamborghini Gallardo, IAA, Model

Hochhackige Schuhe sind für die IAA-Messemodels nicht bei jedem Aussteller notwendig.

(Foto: REUTERS)

Warum stehen auf Automessen so viele Hostessen vor Autos? Warum haben viele von ihnen kurze Röcke an? Ein Besuch bei einem Casting für die Internationale Automobilausstellung in Frankfurt.

Von Thomas Fromm

Man muss es eine Weile beobachten, dieses Spiel, um zu verstehen, wie es genau funktioniert. Eine Szene mit drei Teilnehmern. Mit dabei sind: ein roter Alfa Romeo, der sich auf einer kleinen runden Bühne im Kreis dreht, eine junge Frau in einem sehr kurzen, grauen Kleid und in Schuhen mit sehr hohen Absätzen daneben. Und ein Mann in Turnschuhen, Jeans, brauner Lederjacke und mit einer digitalen Fotokamera. Zwischen der Frau und dem Fotografen steht eine durchsichtige Plastik-Barriere. Das schafft räumliche Distanz.

Der Mann schaut über die Plastik-Barriere zu der Frau hinüber, sie schaut zurück. Sie lächelt, zupft einmal kurz an ihrem Kleid, legt den rechten Fuß vor, stemmt die linke Hand in die Hüfte. Der Klassiker, das Signal, klick, klick, noch mal klick. Der Fotograf bedankt sich, geht weiter. Klappe, die nächsten Fotografen. Der Alfa kreiselt weiter auf der Bühne, die junge Frau lächelt wieder. Das rechte Bein vor, klick. Die Sache mit der Hüfte, klick.

So geht das stundenlang

Auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) stellen Autohersteller ihre neuen Autos aus. Aber da vor den meisten Autos junge Frauen stehen, interessieren sich die Menschen oft weniger für die Autos als für diejenigen, die daneben stehen. Halten ihre Smartphones hoch, um Schnappschüsse zu ergattern, für welche Alben auch immer. Das ist seltsam, denn schließlich heißt so eine Veranstaltung ja: Automesse.

So aber entstehen Messebilder, die suggerieren wollen, dass zu einem sportlichen Auto immer auch eine junge Frau gehört. Bilder, die dann später in Zeitschriften erscheinen, in Internet-Diensten und Auto-Blogs, Bilder, unter denen dann manchmal Texte wie diese stehen: "Immer dieser Fiat-Konzern: Unsexy Verkaufszahlen, aber die mit Abstand rassigsten Frauen beim Messeauftritt." Oder: "Fiat, Alfa, Ferrari, Lamborghini und Alfa Romeo haben nicht nur besonders formschöne Autos zu bieten. Nein, auf Automessen überraschen die Italiener regelmäßig mit atemberaubenden femininen Blickfängen."

Und, der Text unter zwei Beinen: "Wie beim Auto auch zählt da vor allem das Fahrgestell." Fahrgestell? Manchmal können Texte zu Bildern peinlich sein. Manchmal sind sie aber auch bloß geschmacklos.

Die eigentliche Frage aber ist: Warum nur geht keine Automesse ohne diese Bilder? Es gibt solche Automessen in Frankfurt, Paris, Genf, Detroit, Moskau und Peking und überall ist es das Gleiche. Die Marketing-Strategen in den Konzernen glauben, dass das so sein muss, da vor allem Männer Autos kauften. Und Männer so etwas nun mal mögen. Und da es heute ohnehin so viele Automodelle wie nie gibt, Automodelle, die sich manchmal sehr ähnlich sind, müsse man schon etwas mehr bieten als nur schöne Autos. Zum Beispiel auch schöne Frauen.

Dagegen könnte man einwenden: Die Zeiten, in denen Autos Männersache waren, sind lange her. Auch Frauen kaufen Autos, sogar ganze Familien kaufen Autos. Deshalb dürfen solche Fragen ruhig mal gestellt werden: Warum stehen auf Automessen so viele junge Frauen vor Autos? Warum haben diese Frauen meistens kurze Röcke an? Und warum gibt es Autozu- behör-Kataloge, die aussehen wie eine Penthouse-Ausgabe aus den Achtzigerjahren? Warum fotografiert da jemand halb nackte Frauen und bildet sie irgendwo zwischen Statistiken zur Abgastechnik und Bildern von Felgen und Reifen ab?

Das Auto oder die Frau?

Wenn es stimmt, was der kanadische Medienwissenschaftler Marshall McLuhan vor Jahrzehnten schrieb - dass das Medium die Botschaft ist - dann wäre interessant zu wissen: Was ist hier eigentlich das Medium? Das Auto oder die Frau? Und was bitte schön soll überhaupt die Botschaft sein?

Zuerst mal dieses: Alle Autohersteller umgeben ihre Modelle bei diesen Branchenmessen mit gut aussehenden jungen Menschen. Wirklich alle, nicht nur die Hersteller italienischer Sportwagen. Nur, manchmal tragen die Frauen Jeans und Turnschuhe. Manchmal komische Schulmädchen-Uniformen. Und manchmal steckt man sie in Abendkleider, vor allem dann, wenn es um sehr teure und sehr luxuriöse Autos geht.

Die Angst vor der Schulmädchen-Uniform

Es ist eine seltsame Szene, diese Messeszene, vor allem hinter den Kulissen. Da gibt es Hostessen, die sagen, dass es Hersteller gibt, vor deren Autos sie sich niemals hinstellen würden. Nicht wegen der Autos, sondern wegen der Klamotten, die sie dann anziehen müssten. Auch das ist ja ein Problem, viele der Messehostessen studieren an der Uni. In ein paar Jahren werden sie einen richtigen Job haben und vielleicht nicht mehr neben Autos stehen. Autobilder mit Schulmädchen-Uniformen, die einmal gemacht wurden, sind aber nur schwer wieder loszuwerden.

Deshalb ist es nicht ganz unwichtig, wenn man sich als Messehostesse nicht nur für Autos interessiert, sondern auch für die Frage, für was diese Autos eigentlich stehen.

Eine Altbauvilla in Offenbach, ein paar Wochen vor Beginn der Frankfurter Automesse IAA. Es ist einer der vielen Orte, an denen viele junge Frauen und wenige Männer für die Messe ausgesucht werden. Menschen zwischen 20 und 25 Jahren, die zwei Wochen lang an die zwölf Stunden am Tag neben Autos stehen und zehn bis 13 Euro in der Stunde verdienen. Die nach dem langen Messetag Fußbäder machen müssen gegen die vielen Blasen. Die vor lauter Lärm und Scheinwerferlicht abends nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. Es ist also für die jungen Leute kein großes Geschäft, vielleicht aber auch kein ganz schlechtes. Ein Job fürs Leben aber ist es jedenfalls nicht.

Diese Agentur hier heißt "topteam", und Topteamer nennt man hinterher auch das Personal auf der Messe - weil Hostessen irgendwie auch nicht so richtig gut klingt. Bei topteam sagt man, dass man für einige bestimmte Hersteller arbeitet, für andere dagegen lieber nicht. Das heißt auch, keine blöden Bilder, und keine blöden Szenen.

Sechzig Bewerber werden hier heute befragt. Und weil die Firma, für die topteam heute castet, der amerikanische Autobauer Chevrolet ist, outen sich alle Bewerber - nein, so was aber auch - sehr schnell als eingefleischte Chevrolet-Fans. Die Casting-Szene muss man sich so vorstellen: ein großer Stucksaal, holzvertäfelt. Vorne die Jury, sechs Juroren insgesamt. Im Halbkreis davor die Bewerber.

Irgendwie auffällig

Die Fragen werden auf eine Tafel geschrieben. Was war euer bestes Erlebnis mit einem Auto? Was sollte ein Auto unbedingt haben? Was verbindet ihr mit Chevrolet? Eine Bewerberin sagt, dass ihr schönstes Erlebnis eine nächtliche Cabriofahrt war. Eine andere hat ein Auto, das nur 55 PS hat. Aber sie verbindet mit Chevrolet "große amerikanische muscle-cars". Julia will Psychologie studieren. Ihre Lieblingsbeschäftigung: Cabrio fahren auf der Landstraße. "Tolles Gefühl, wie die Haare so im Wind fliegen." Und dann sagt sie - Achtung! -, dass ihr die Kraftstoffeffizienz bei einem Auto ziemlich wichtig ist. Hinter dem Casting-Saal mit den hohen Stuckdecken liegt eine gepflegte Küche aus Edelstahl, auf dem Tisch stehen Bananen, Weintrauben und belegte Brötchen. Erfrischungen für zwischendurch.

Die erste Runde besteht aus auffällig vielen 20-Jährigen, die ihre schönsten Auto-Erlebnisse in einem Cabrio mitten im australischen Outback hatten. "Mein schönstes Erlebnis war, mit dem Auto in Australien stundenlang geradeaus zu fahren", sagt eine. So viele junge Menschen, und so viele Outback-Tourer. Auch irgendwie auffällig.

So geht das eine Stunde lang. Juroren, die Kandidaten anschauen, und Kandidaten, die sich gegenseitig anschauen. Irgendwie sind ja auch alle Konkurrenten hier. Die Ärztin, die 29 Jahre alt ist, im November ihre Doktorarbeit abgeben will und von "Optik, Haptik und Stauraum" spricht. Und ihre Sitznachbarin, die sagt, dass sie sehr geeignet sei für den Job, weil sie gerne auf Leute zugeht. Für die "hohe Schuhe kein Problem sind, auch nach mehreren Stunden nicht". Eine junge Frau lacht viel. "Lachst du immer so viel?", fragt einer der Juroren. Lachen ist wichtig, Lachen ist gut. Und dann: "Lachen Sie auch nach zwei Wochen mit zehn Stunden am Tag noch?" Gute Frage.

Das Geschäft ist hart, härter jedenfalls, als es auf all diesen Messebildern erscheint, und das weiß auch der Chevrolet-Mann Stefan Seibert, der dabei ist, wenn die Hostessen ausgewählt werden. Seibert, graumeliertes Haar, Mitte 50, mit Hornbrille und blau-weiß-gestreiftem Hemd, der den Titel "PR & Event Manager" trägt, sagt ziemlich deutlich, worum es geht. "Viele gehen da mit tollen Vorstellungen rein, erwarten Glamour und Promis. Die Wahrheit ist: Nach sechs Stunden Stehen tun ihnen die Füße weh und am Abend brauchen sie vor allem eines: ein Fußbad."

Turnschuhe statt Stilettos

Viele der jungen Damen tragen heute High Heels, aber das wird ihnen noch vergehen. Auf der Messe werden die meisten von ihnen nämlich blaue Turnschuhe tragen, keine Stilettos. Graue Jeans und blaue T-Shirts, keine Miniröcke. Denn Chevrolet zeigt vor allem Familienautos, keine PS-Boliden. Deshalb sagt die Marketing-Direktorin Christina Herzog: "Wir arbeiten hier nicht mit Attributen wie Sexappeal. Wir wollen die Marke transportieren und müssen daher offen und für alle zugänglich rüberkommen." Das heißt übersetzt: bitte keine kurzen Röcke, und kein großes Spektakel. Bodenständig soll das Ganze sein.

Katja Richter aus Jena, 24 Jahre alt und Wirtschaftspädagogin, trägt schon beim Casting einfache Schuhe. Sie hat schon mal für die japanische Automarke Suzuki in Leipzig gestanden. Da trug man weiße Polo-Shirts zu weißen Jeans. "Der Charakter muss passen", sagt sie. Man kann sie sich irgendwie auch nicht so richtig am Stand der großen Sportwagen vorstellen, da wo sich junge Frauen um Autos drehen und Fotografen um junge Frauen. Später dann, am ersten Messetag, steht sie neben einem kleinen Auto, dem Chevrolet Spark. Das ist kein Zufall, es ist ein Kleinwagen für die Stadt. "Ich komme gerne mit Familien, Frauen und Rentnern ins Gespräch", sagt sie. Lächelt. War das jetzt ironisch gemeint? Vielleicht doch nicht. In der Branche würde man sagen: Hier ist alles zielgruppengerecht.

Dass das so ist, darauf achtet die Geschäftsführerin der Agentur. Mandy Wernst trägt ein grünes Kostüm, eine weiße Bluse, hat kurze blonde Haare und sitzt in einem Büro mit vier weißen Designer-Ledersesseln, geschwungenen Gardinen, altem Parkett und großen Flügeltüren. Gediegen. Die Art von Büro, die man repräsentativ nennt. Ihre Agentur arbeitet für Marken wie BMW, Mercedes, Cadillac und Bugatti. Und wenn es eines gibt, was sie nicht will, dann sind das diese ewigen Messebilder, die die Fotografen wollen. "Wir haben bestimmte Standards, auf die wir achten", sagt sie. "Das Konzept zwischen uns und dem Kunden muss übereinstimmen. Bei Bugatti zum Beispiel müssen die Hostessen sehr edel gekleidet sein - und so die edle Marke widerspiegeln." Dann überlegt sie einen Moment. Und sagt: "Wir vermitteln Hostessen, keine Models."

Das alte Messebild, wonach Hostessen vor allem schön sein mussten - tempi passati. "Sie müssen kommunikationsstark sein, wortgewandt, Fremdsprachen beherrschen, gute Umgangsformen haben." Gute Umgangsformen, das heißt auch: keinen Kaugummi kauen, kein Handy, am Messestand nicht essen und trinken, und schon gar nicht gegen die Autos lehnen. Und was, wenn ein Fotograf dann doch mal Regieanweisungen geben will? Dann kommen Mitarbeiter der Agentur und greifen ein. Bilder sind wichtig, vor allem die, die man nicht haben will.

Am Tag der Messeeröffnung dann sind ein paar Fotografen am Chevrolet-Stand, die nur Autos fotografieren. Die Bilder, die viele Knipser suchen, entstehen heute nicht hier. Die werden woanders gemacht.

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