Zu Besuch beim Bodypainter:Mandala aus Nackten

Zu Besuch beim Bodypainter: Frosch aus Frauen.

Frosch aus Frauen.

(Foto: J. Stötter, K. Huebser, M. Niederstätter, J. Lehnert)

Ein Frosch aus Frauen, ein Kaktus mit Kopf, Kinder, die sich in der Landschaft auflösen: Der Südtiroler Johannes Stötter bemalt gerne nackte Menschen. Nicht selten verschwinden sie dabei. Was soll das eigentlich? Ein Besuch im Atelier.

Von Martin Zips

Das Bild ist ein Rätsel. Ein beeindruckend bunter Regenwaldfrosch, auf den ersten Blick. Aber links und rechts, sind das nicht Menschen? Und wirklich: Es sind fünf kolorierte Körper, die zusammen den Frosch bilden. Liegen sie? Knien sie? Hat sie jemand vielleicht grafisch am Computer bearbeitet oder mühsam mit dem Pinsel angemalt? Der Frosch ist das Entrée in eine fremde, märchenhafte Welt.

Sterzing heißt der erste größere Ort unterhalb des Brenners. Deutsche Urlauber ziehen sich hier, an der Mautstation, ihr Ticket für die italienische Autobahn. Keine Spur von Regenwaldfröschen. Drum herum nur Wiesen, Bauernhöfe und die Sterzinger Joghurtfabrik. Auf der Autobahn wälzen sich Touristenströme am mittelalterlichen Ortskern vorbei, Richtung Gardasee. Schon immer war Sterzing eine Durchgangsstation, die Tür in eine andere Welt. Hier, wo der Wind noch kalt vom Brenner runterbläst, die Winter frostig und die Sommer meist verregnet sind, mochte man nie lange verweilen.

"Wenn du dich bei der Ampel links hältst", sagt die freundliche Stimme am Telefon, "dann siehst du gleich den Eisenwarenladen. Auf dem Parkplatz dahinter wartet meine Assistentin Elisa auf dich." Elisa ist eine blasse, rothaarige Frau mit Adidas-Jogginghose und bunten Farbklecksen im Gesicht. Geräuschlos steigt sie ins Auto und dirigiert den Besucher sanft eine schmale Straße hinab. Dann, vor einem baufälligen Haus mit Sonnenuhr, löst sie eine Eisenkette vom Holzzaun und winkt den Fahrer auf eine Apfelbaumwiese. Die junge Elisa sagt: "Im ersten Stock hat der Johannes sein Bodypainting-Atelier." Der Reporter muss jetzt mit allem rechnen. Vor allem mit nackter Haut.

5000 Euro Preisgeld

Es ist das Frosch-Bild, das den Sterzinger Körperbemaler Johannes Stötter, 35, weltweit bekannt gemacht hat. Erst im Februar dieses Jahres hatte er es hier, in einer 800 Jahre alten Mühle, mit fünf Frauen aus der Gegend arrangiert. Eigentlich knieten die Frauen vor schwarzem Stoff. Den Hintergrund ersetzte Stötter später am Computer durch ein feingemasertes Blatt. Nachdem er sein Bild bei Facebook veröffentlicht hatte, verbreitete es sich in Windeseile auf der ganzen Welt. Eine britische Presseagentur entdeckte das Frosch-Motiv, einige Magazine druckten es.

Nun steht die 19-jährige Valeria Hasler, nur mit einem Slip bekleidet, im selben Raum, den Stötter "mein Atelier" nennt. Man könnte auch von einem "Verhau" sprechen. Mit Valeria probt der Bodypainting-Weltmeister für das Bodypainter-Festival in Atlanta, USA. Sechseinhalb Stunden werden Stötter und alle anderen teilnehmenden Künstler an diesem Samstag Zeit haben, ihre Modelle zum vorgegebenen Thema "Empowerment" zu bemalen. Ermächtigung - das klingt groß. Dem Gewinner winken 5000 Dollar. Die Konkurrenz aus Israel, den USA und Südkorea ist gewaltig.

Der Besucher nimmt auf einem ranzigen Sofa Platz. Er ist umgeben von halb geleerten Weinflaschen, an die Wand gepinnten Damenschlüpfern, Pfauenfedern, einem verrußten Holzofen sowie Scheinwerfern der Marke "Walimex". Und während der Gast überlegt, welche "Ermächtigungs"-Motive ihm für Valeria einfallen würden, saust Stötter schon gemeinsam mit Assistentin Elisa und mehreren Pinseln auf das Model los. Angefeuert von Ermächtigungsbeats, die aus einem gelb-schwarzen Radiorekorder dröhnen, springt der Künstler wie ein Regenwaldfrosch über den uralten Holzboden im Atelier, das er günstig von seiner Großtante gemietet hat.

Zu Besuch beim Bodypainter: Johannes Stötter, 35, Bodypainter.

Johannes Stötter, 35, Bodypainter.

(Foto: J. Stötter, K. Huebser, M. Niederstätter, J. Lehnert)

Stötter wirkt wie einer, der sich gerade mit der Machete durch den Busch kämpft. Die langen Haare hat er mit einem weißen Tuch zusammengebunden. Am rechten Arm umschließt eine Art keltischer Serviettenring seinen Bizeps. Er trägt Muscle-Shirt, Armeehose und ausgelatschte Turnschuhe. Während er zwischen der "Empowerment"-Entwurfsskizze an der Wand und der auf einer Holzpritsche stehenden Valeria hin- und herläuft, brummt er wie ein Trentiner Bär.

"Johannes hat mich bei Facebook gefragt, ob ich das mal machen würde. Mein Freund war etwas skeptisch, aber mir macht das Spaß", sagt Valeria in einer schöpferischen Pause. "Das Schöne ist, dass ich mich gar nicht nackt fühle." Elisa reicht ihr eine Scheibe Vollkornbrot. "Jetzt darf ich sogar mit nach Atlanta fliegen", freut sich Valeria, die zuvor noch nie geflogen ist. Elisa zündet sich eine Gauloise an, Johannes dreht selbst. Auf einem roten Feuerzeug wirbt ein Landwirtschaftsunternehmen: "Ihr Bestand in guter Hand".

Vogelgezwitscher ist durch das geöffnete Fenster zu hören. Ein Hund kläfft einsam. Im Regal drinnen findet sich das Foto des berühmten Stötter-Frosches gleich neben Schalen voller Körperfarbe. "Manche Leute sagen: Die Farben hast du doch am Computer gemixt", sagt Stötter und rollt seine naturblauen Augen. "Aber das stimmt nicht."

Wo der Mensch aufhört und der Kaktus beginnt

Körperbemalung ist so alt wie die Menschheit. In der Steinzeit schmückten sich Krieger mit Pigmenten aus bunten Erden, bei den Indianern und bei den Ureinwohnern Papua-Neuguineas gaben Farben und Muster Auskunft über den gesellschaftlichen Rang. Auch im Smartphone-Zeitalter sind auf der Epidermis noch da und dort Schminke und Tattoos zu finden, Wangenrouge und Lippenstift. Aber auch britische Herrensakkos, französische Krawatten und italienische Schuhe dürfen als eine Art Bemalung gelten, mit der die eigene Bedeutsamkeit unterstrichen, womöglich sogar erst erfunden wird. "Wenn wir es recht überdenken, so stecken wir doch alle nackt in unseren Kleidern", schreibt Heinrich Heine.

Stötters Kunst geht über das Alltägliche hinaus. Wie kein anderer Bodypainter beherrscht er die Kunst der Camouflage: In nur kurzer Zeit schafft er es, Mensch und Umgebung optisch miteinander zu verschmelzen. "Auf einem Campingplatz in Andalusien bin ich mal mit einem Mann ins Gespräch gekommen und habe ihn gefragt: Welche Pflanze entspricht dir am meisten? Der Mann antwortete: ein Kaktus. Also habe ich ihn mitten in Kakteen gestellt, grün angemalt und seinen Kopf mit ein paar Stacheln geschmückt." Auf dem Foto muss man sehr genau hinschauen, um zu begreifen, wo der Mensch aufhört und der Kaktus beginnt.

Eine Bekannte wiederum stellte Stötter an den Strand und ließ sie sich aphroditisch mit Schaumkronen vereinen. Ähnliches tat er mit Freunden vor Weinregalen, Musikinstrumenten, Teppichen und aufgeschichtetem Holz - je nach Typ und Profession. "Mittlerweile überrascht es hier keinen mehr, wenn ich im Wald ein nacktes Model mit Herbstblättern bemale", brummt Stötter neben Valeria. Er sitzt auf einem kargen Holzstuhl vor einer rosa Wand. Über ihm leuchtet eine entblößte Glühbirne, neben ihm wenden sich im Regal die Bücher ab. Ihre Rücken erzählen von "Keltischen Märchen" oder der Kunst des Strickens. So einer kann es in Südtirol als Jugendlicher wirklich nicht leicht gehabt haben.

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(Foto: www.johannesstoetterart.com)

Johannes Stötter ist das älteste von fünf Kindern eines Masseurs und einer Altenpflegerin. Musik war seiner Familie immer wichtig. Also fiedelte er schon früh in verschiedenen Ethno-Bands - auf der Dachbodengeige seines Ururopas. Mit 18 verspürte er zum ersten Mal den Drang, Menschen zu bemalen. "Vorbilder hatte ich keine, die Idee kam von mir selbst", sagt er. Vier Jahre und allerlei Minijobs später bot sich eine erste Gelegenheit: Drei Musikerfreunde ließen sich von ihm für das Cover einer Demo-CD einfärben. Eher abstrakt, mit einer Mischung aus Farbpigmenten und Nivea-Creme. Professionelle Körperfarbe, das stellten alle Beteiligten bald fest, lässt sich viel leichter abwaschen.

Hunderte nackte Körper und zwölf Lebensjahre später wurde Johannes Stötter bei der Bodypainting-WM 2012 der Weltmeistertitel in der Kategorie "Pinsel und Schwamm" verliehen. Heute leitet er Anatomie-Workshops, in denen beispielsweise Medizinstudenten unter seiner Führung Muskulatur und Nervenbahnen direkt auf die Haut bannen. Er präsentiert seine Kunst in kleineren Ausstellungen und nimmt auch private Auftragsarbeiten an. Für eine türkische Limonadenfirma ließ er jüngst bemalte Kinder im Landschaftshintergrund verschwinden - zu sehen in einem Werbespot. Weitere Projekte und sein erster Bodypainting-Kalender sind in Planung. "Erstmals in meinem Leben sieht es so aus, als könnte ich von meiner Arbeit mal eine Familie ernähren."

Eifersüchtige Freunde und konservative Medien

Vor ein paar Jahren, so mauscheln sie im Ort, hätte man einen wie den Johannes noch ins Sterzinger Moos verbannt. Dorthin, wo laut einer alten Sage die Andersartigen bis in alle Ewigkeit mit sinnlosen Tätigkeiten ("Fürze kleben") für ihr Lotterleben bestraft werden.

"Einmal sind die Eltern eines meiner Models fast durchgedreht", erzählt Stötter und zündet sich die nächste Selbstgedrehte an. "Sie konnten einfach nicht verstehen, was wir da machen. Ein anderes Mal sollte mein Name in einem Sorgerechtsstreit als Trennungsgrund herhalten." Die Frage lautete: Durfte man einer Mutter, die sich von Stötter hatte bemalen lassen, wirklich die Kinder zusprechen? Besonders gefährlich wurde es, als in einer Kneipe plötzlich der Freund einer von Stötter angefragten Frau auf ihn losging. "Der wollte mich fast umbringen." Und, natürlich, immer diese blöden Sprüche: "So einen Job wie du möchte ich auch einmal haben: Nackte Mädels anmalen. Wirst du eigentlich dabei nie scharf?"

Die konservative Regionalpresse ignorierte Stötters Kunst anfangs beharrlich. Nach langer Zeit schrieb wenigstens das Hochglanzblatt Die Südtirolerin etwas über ihn. "Die Ausgabe war am Erscheinungstag schon nach wenigen Stunden ausverkauft", erinnert sich Assistentin Elisa. In dem Artikel erfuhren die Sterzinger zum ersten Mal, was genau Stötter in der alten Mühle macht. Sie erfuhren, dass es dem Johannes um weit mehr geht als nur um seine Nackerten: "Körper, Liebe, Sexualität, Krieg und Frieden - das alles hängt miteinander zusammen", betont er, mit dem Finger in die Luft malend. "Und wer seinen Körper nicht mag, der kann auch nicht lieben." Alles gehört zusammen - wie die Körper mit den Welten, in die sie hineingemalt werden.

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(Foto: J. Stötter, K. Huebser, M. Niederstätter, J. Lehnert)

Das Sterzinger Moos ist mittlerweile trockengelegt. Die Andersartigen kleben ihre Fürze im Auto vor der Mautstelle. Vieles ändert sich. Kürzlich hat die Sterzinger Gemeindeverwaltung dem Künstler Stötter sogar das Stadttheater aufgesperrt. Für ein Mandala aus 30 Nackten. Die hat er bemalt, dann auf einer farbigen Plane ausgebreitet und von einer 20 Meter hohen Brücke aus abgelichtet. Das Bild, das er von dort oben schoss, ist eindrucksvoller als so allerlei Hüllenloses, wie man es von Spencer Tunick oder Vanessa Beecroft kennt. Natürlich ist es auch wesentlich unpolitischer als jeder freigelegte Femen-Busen. Aber Johannes Stötter denkt eher universal: "Ich bin Pantheist. Für mich wohnt Gott in allen Dingen."

Natürlich wohnt Gott auch in der Sterzinger Pfarrkirche. Wie gerne würde der Meister der Camouflage hier endlich einmal ein paar Ausgezogene an die Orgelpfeifen stellen. Bisher hat er sich noch nicht getraut, den Pfarrer um Erlaubnis zu bitten. Vermutlich, weil der Pfarrer immer so schwarz angezogen ist.

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