Gewalt in Nigeria:Islamisten ermorden Studenten im Schlaf

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Auftritt wie Al-Qaida: Radikale Islamisten von Boko Haram posieren im September für ein Video. In den vergangenen Wochen starben über 300 Menschen bei Anschlägen, die Boko Haram zugeschrieben werden. (Foto: AFP)

Grausamer Überfall: Mindestens 40 junge Menschen wurden in Nigeria bei einem Angriff auf ihr Wohnheim getötet. Die Polizei verdächtigt die radikale islamistische Sekte Boko Haram, die es besonders auf Schulen und Universitäten abgesehen hat. Die Miliz zählt zu den neuen Pfeilern des islamistischen Terrors in Afrika.

Von Isabel Pfaff

Die Angreifer kamen mitten in der Nacht. Sie stürmten den Schlafsaal einer Landwirtschaftsschule im Nordosten Nigerias, zerrten Studenten ins Freie und richteten sie hin. Wer fliehen wollte, wurde erschossen, berichten Augenzeugen. "Sie teilten die Studenten draußen in Gruppen, eröffneten das Feuer und töteten eine Gruppe. Dann gingen sie zur nächsten Gruppe und töteten sie. Es war so schrecklich", berichtet einer der Überlebenden.

Zwischen 40 und 50 Studenten kamen nach Agenturberichten bei dem Überfall ums Leben, die örtlichen Behörden wollten die Zahl der Opfer zunächst nicht bestätigen. Nach Angaben der Polizei stecken Gotteskrieger hinter dem Angriff: Der zuständige Polizeikommissar Sanusi Rufai sagte, er verdächtige die radikalislamische Sekte Boko Haram. Details nannte er nicht.

Der Name der Extremisten, Boko Haram, bedeutet in etwa "Westliche Bildung ist verboten" und verweist auf ein Ziel der Gruppe: Sie will den traditionell muslimisch geprägten Norden Nigerias zu einem islamischen Staat machen. Seit 2009 verübt Boko Haram Anschläge in den nordöstlichen Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe - vorrangig auf Regierungseinrichtungen, Kirchen und Schulen. Ziel der Angriffe sind nicht nur Christen, sondern auch moderate Muslime. Die Anschläge sowie die Auseinandersetzungen der Extremisten mit Armee und Polizei haben Menschenrechtsorganisationen zufolge mittlerweile mehr als 3600 Menschenleben gefordert.

Die nigerianische Regierung unter Präsident Goodluck Jonathan hat im Mai dieses Jahres eine Militäroffensive gegen die Islamisten im Nordosten des Landes gestartet. Seither gilt in den drei betroffenen Bundesstaaten der Ausnahmezustand. Die Militärs konnten die Boko-Haram-Milizen zunächst zurückdrängen und töteten erst kürzlich 150 Kämpfer bei einem Angriff auf ein Waffenlager.

Doch die massive Gewalt der letzten Wochen deutet darauf hin, dass Boko Haram wieder stärker wird: Über 300 Menschen sind in den vergangenen zwei Wochen im Nordosten Nigerias umgekommen, allein über 140 bei einem Massaker im benachbarten Bundesstaat Borno. Die örtlichen Sicherheitskräfte machten in allen Fällen Boko-Haram-Kämpfer für die Verbrechen verantwortlich.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wirft aber auch den Regierungstruppen Gewaltmissbrauch vor: Bei ihren Offensiven gegen Boko Haram würden sie zahlreiche Unschuldige töten und verhaften. Das spiele den Extremisten wiederum in die Hände.

Gewalt zwischen Muslimen und Christen in Nigeria gibt es nicht erst seit Boko Haram. Nigeria, mit 170 Millionen Einwohner das bevölkerungsreichste Land Afrikas, ist seit seiner Unabhängigkeit 1960 zerrissen zwischen dem mehrheitlich muslimischen Norden und dem christlich geprägten Süden.

Der religiös anmutende Konflikt hat auch politische und ökonomische Seiten: Die nördlichen Bundesstaaten fühlen sich seit langem politisch ausgegrenzt. Unter ihren Bewohnern gilt die Zentralregierung als von der christlichen Elite des Südens dominiert, auch Präsident Jonathan ist Christ. Hinzu kommt, dass im Süden die reichen Ölreserven des Landes liegen. Die Wirtschaft im Norden hingegen liegt am Boden. Armut und Perspektivlosigkeit machen die Menschen dort empfänglich für radikale Ideologien.

Die Gewalt im Nordosten Nigerias verweist aber nicht nur auf die inneren Probleme des Landes. Der Terror der Boko Haram zeigt auch, dass transnationale Terrornetzwerke in Afrika Fuß gefasst haben. US-Thinktanks vermuten, dass Boko Haram Verbindungen zu Al-Qaida im Islamischen Mahgreb (AQIM) sowie zur somalischen Al-Shabaab unterhält. Das verschafft Nigeria erhöhte internationale Aufmerksamkeit - denn neben dem Zugang zu wichtigen Ölreserven geht es in Nigeria jetzt auch um den Kampf gegen internationalen Terror.

Mit Material von dpa, AFP und Reuters

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