Wahlergebnis in Österreich:Gelähmtes Land

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Der Sitz des österreichischen Bundespräsidenten: die Hofburg in Wien (Foto: AFP)

Acht Millionen Einwohner, neun Landesregierungen und ein Berg von Problemen: Österreich ist wie ein Ständestaat organisiert, inklusive Stillstand und Lähmung. Und jetzt? Kurz nach der Wahl? Sozialdemokraten und Konservative liegen nur knapp vor den Rechtspopulisten. Nur ein klein wenig Aufbruch scheint es doch zu geben.

Ein Kommentar von Cathrin Kahlweit, Wien

Eine seltsame Mischung aus Erleichterung und Entsetzen liegt am Tag nach der Wahl über Österreichs Hauptstadt. Die beiden Volksparteien, die seit 60 Jahren mit Unterbrechungen gemeinsam regieren, haben es, wenn auch knapp, noch einmal geschafft. Sie können weiter regieren. Können weiter die Ministerien und Behörden, das öffentlich-rechtliche Fernsehen und die Schulen, die Vereine und die Gewerkschaften in Rot und Schwarz aufteilen, können ihre Anhänger und Funktionäre mit Posten bedienen. Und bei Bedarf, wenn es ihnen gefällt, können sie im Parlament eine der Oppositionsparteien bei Abstimmungen mit ins Boot holen, um den Anschein breitester politischer Rückendeckung beim Volk zu simulieren.

Ein Kommentator nannte das unlängst die Anmutung eines "Ständestaates", und er hatte recht damit: Jede Seite hat hinter sich ein paar mächtige Sozialpartner, die, obwohl nicht in die Regierung gewählt, im politischen Alltag ganz selbstverständlich mit am Tisch sitzen - und sich dabei gewaltig gegenseitig blockieren. So gewaltig, dass etwa eine Bildungs-, eine Föderalismus-, eine Rentenreform bisher verhindert wurden. Dabei gibt es einen Berg von Problemen: Ein Viertel der 15-Jährigen kann nicht sinnerfassend lesen. Das Land mit seinen gerade mal acht Millionen Einwohnern hat neun Bundesländer mit neun Landesregierungen und neun Verwaltungsapparaten. Und die Österreicher gehen im Durchschnitt mit 58 Jahren in Rente.

Die Folge: Stillstand, Lähmung, das hat sogar Vizekanzler und ÖVP-Chef Michael Spindelegger am Tag nach der Wahl eingeräumt. Nur, was folgt daraus? Im schlimmsten Falle: wenig bis nichts.

Österreich und Deutschland ähneln sich in vielem

Sozialdemokraten wie auch Konservative haben noch einmal Stimmen eingebüßt. Während in Deutschland das Ergebnis der Ex-Volkspartei SPD als Menetekel gewertet wird, lesen die Möchtegern-Volksparteien in Wien, wo die Koalitionäre bei 27 respektive 24 Prozent gelandet sind, aus ihrem Abschneiden einen Doppelsieg heraus, der zum Überleben reicht. Das muss vorerst genügen. Dabei liegen beide Parteien nur unwesentlich vor den Rechtspopulisten. Die Rechten, deren Wähler sich vorwiegend bei der latent ausländerfeindlichen, latent antisemtischen, offen europafeindlichen FPÖ und beim wirren Frank Stronach fanden, profitieren immer wieder aufs Neue vom erstickenden Status quo.

Österreich ähnelt dem großen Nachbarn Deutschland in vielem. Es ist ein Einwanderungsland, es hat eine west-, aber auch eine osteuropäisch geprägte Seele, es hat einen katholischen Kern und ein protestantisches Arbeitsethos, es ist jünger, innovativer und moderner, als die politische Elite weiß oder einräumt. Im Wahlkampf aber sprach die ÖVP vorwiegend die Bauern und die Mittelständler an, und die SPÖ Arbeiter, Angestellte und kleinbürgerliche Milieus.

Patchworkfamilien, Schwule, Ökos, Multikultis, Migranten, Kreative, das großstädtische Publikum, das sich Ganztagsschulen wünscht, und innovationsbereite Hoteliers, die Gäste aus einem offenen, selbstbewussten Europa aufnehmen - sie mussten sich vergessen fühlen von einer Mitte, die bürgerlich sein möchte und ihre Bürger doch unterwegs verliert. Ändern würde sich das wohl erst, wenn die beiden Altparteien sich öffneten - und nicht, wie es vor 13 Jahren der Fall war, eine schwarz-blaue Koalition aus ÖVP und FPÖ insgeheim als Unfall der Nachkriegsgeschichte betrachten würden.

Die Neos - eine neue Partei - kam im ersten Anlauf ins Parlament

Allerdings: Ein klein wenig Änderung hat es ja doch gegeben, und die ist spannend genug. Die Neos, eine neue Partei mit gerade mal 6000 Aktivisten, die im TV-Dauerwahlkampf kaum vorkam, weil sie nicht im Parlament saß, und die sich über Crowdfunding und einen Großspender finanzierte, hat es im ersten Anlauf geschafft. Ihr Vorsitzender saß am Sonntag, erkennbar aufgeregt, mit den Vertretern der Altparteien in der Elefantenrunde, zu der sich, auch das ein Zeichen für die Arroganz der Macht, die Parteichefs von SPÖ und ÖVP, Kanzler und Vizekanzler, gar nicht erst eingefunden hatten.

Die Neos, das zeigt die Wählerwanderung, haben sich vorwiegend aus Stimmen der ÖVP und der Grünen gespeist, was logisch ist: Sie wenden sich an liberale Wähler der neuen Mitte, sie wollen die Bildungs- und die Rentenreform, die so lange schon stockt, sie wollen ein starkes Europa und mehr Bürgerrechte. Ginge es nur nach ihrem Programm, dann sind sie die österreichische FDP, die in Deutschland gerade untergegangen ist, weil SPD und CDU ihr keinen Platz gelassen hatten.

In Österreich wollten auch grüne Wähler die liberale Kraft stärken und eine Reform-Mehrheit installieren. Darauf wird das Land nun länger warten müssen.

© SZ vom 01.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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