Eigenbedarf für Zweitwohnung:Chefarzt darf Mieterin kündigen

Er braucht die Wohnung nur als Zweitwohnung für Kurzvisiten bei seiner Tochter aus einer früheren Beziehung: Ein Chefarzt aus Hannover hat für seine Wohnung in Berlin Eigenbedarf angemeldet und der Mieterin gekündigt. Nun bekam er in vorläufig letzter Instanz recht - und schreibt damit Rechtsgeschichte.

Von Thomas Öchsner

Doreen Welke, 46, gehört zu den Menschen in Berlin, die trotz des Immobilienbooms noch günstig wohnen. 262 Euro Kaltmiete muss die Reiseverkehrsfrau für 57 Quadratmeter im Ostberliner Szenebezirk Friedrichshain zahlen. Seit 1987 lebt sie dort. "Hier sind meine Wurzeln gewachsen", sagt Welke. Doch nun soll sie die Wohnung Ende November räumen.

Ihr Vermieter, ein Chefarzt, der in Hannover mit seiner Frau und vier Kindern lebt, hat Eigenbedarf angemeldet - nicht, um nach Berlin zu ziehen. Er gab an, eine Zweitwohnung zu benötigen, um seine damals zehn Jahre alte Tochter aus einer früheren nicht ehelichen Beziehung sehen zu können. Nun bekam der Chefarzt in vorläufig letzter Instanz recht - und schreibt damit Rechtsgeschichte.

Bisher haben Gerichte überwiegend Eigenbedarf abgelehnt, wenn der Vermieter die gekündigte Wohnung nur zeitweilig, etwa einige Tage im Monat, nutzen wollte. So sah es im Fall Welke auch die erste Instanz, das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg (Az.: 13 C 61/11). Die Richter hielten dem Mediziner vor, er habe "nicht einmal vorgetragen, die Wohnung regelmäßig jedes Wochenende nutzen zu wollen, was angesichts seiner Familie mit vier minderjährigen Kindern und im Interesse der Mutter seiner Tochter an dem Umgang mit ihrem Kind auch an einigen Wochenenden äußerst unwahrscheinlich sein dürfte". Außerdem merkten sie an, dass eine Durchschnittsarbeitszeit eines Chefarztes von zehn Stunden samt anderer Termine "nicht viel Raum für spontane Kurzbesuche in Berlin lässt".

"Höchst problematisch"

Die zweite Instanz, das Landgericht Berlin, nahm dem Chefarzt seine Hauptstadtpläne dagegen ab. Die Richter zeigten sich davon überzeugt, dass er seine Besuche nicht auf jedes zweite Wochenende beschränken, sondern seine Tochter häufiger sehen wolle, "beispielsweise indem er während der Woche kurzfristig nach Berlin kommt, um sich mit seiner Tochter zu treffen und an deren Alltags-, Vereins- und Schulleben teilhaben zu können". Auch hielt es das Gericht "für ein Mädchen ihres Alters" für nachvollziehbar, dass die inzwischen 13-Jährige nicht mehr wie bisher nach Hannover reisen, sondern an den Wochenenden ihre Freunde in Berlin treffen wolle. (Az.: 67 S 121/12)

Lukas Siebenkotten, Bundesdirektor beim Deutschem Mieterbund, hält das Urteil für "höchst problematisch". Gerade wenn ein Vermieter die Wohnung nur vier, fünf Tage im Monat benötige, sei genau zu prüfen, ob das Vermieterinteresse "schwerer wiegt als das Interesse des Mieters, die Wohnung zu behalten". Eine solche Grundsatzfrage gehört für ihn vor den Bundesgerichtshof. Er kann deshalb nicht verstehen, warum das Landgericht keine Revision zugelassen hat: "Es geht auch um die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung."

Welke will nun mithilfe der Berliner Mietergemeinschaft eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision einlegen. Sollte der Auszug aber nicht mehr abzuwenden sein, werde das sehr teuer, sagt sie: "Bei einer Neuanmietung muss ich für 57 Quadratmeter mindestens das Doppelte zahlen."

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