Neuausrichtung der Grünen:Die Freiheit der anderen

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Wie kam es zu dem Wahlergebnis? Die Grünen suchen nach ihren Fehlern. (Foto: Getty Images)

So richtig haben die Grünen noch nicht verstanden, wie es zu ihrem schlechten Wahlergebnis kommen konnte. Auf zwei Punkte können sie sich aber einigen: Nie wieder als Verbotspartei auftreten und künftig in die Lücke stoßen, die die FDP hinterlässt. Würde daraus aber die Richtschnur der Grünen, wäre das für die Partei gefährlich.

Ein Kommentar von Christoph Hickmann

Sie geben nicht nur ein verwirrendes Bild ab, die Grünen sind auch selbst einigermaßen verwirrt. So richtig haben sie noch nicht verstanden, warum sie vorgestern noch als neue oder mindestens künftige Volkspartei galten und nun (wieder) bloß die kleinste Fraktion im Bundestag stellen. Umso heftiger fällt jetzt der Kampf um die Deutungshoheit aus - es geht, was Wunder, vor allem um die Steuerpolitik, es läuft der alte Flügelstreit. Trotzdem gibt es, neben der allseits als schädlich erkannten Pädophilie-Debatte, zwei Punkte, auf die sich von rechts bis links fast alle einigen können.

Erstens dürfe man, wie durch den Veggie-Day geschehen, nie wieder als Verbotspartei auftreten. Zweitens müsse man nun in die Lücke stoßen, die, zumindest parlamentarisch, die FDP hinterlasse. Das eine ist eine Diagnose, das andere eine Handlungsoption, beides hängt zusammen (Liberale verbieten ja möglichst wenig) und klingt so trivial wie logisch. Würde daraus jetzt aber mangels Einigkeit in den großen Richtungsfragen (Mitte, links, wo wollen wir hin?) die neue Richtschnur der Grünen, wäre das für die Partei ziemlich gefährlich.

Zunächst zur FDP: In eine Lücke zu stoßen, setzt ja voraus, dass da überhaupt eine ist. Es gibt da aber kaum eine, die zu den Grünen passen würde. Der Wirtschaftsliberalismus, auf den die FDP sich verengt hat, kommt für sie nicht infrage, auch wenn mancher Ultra-Realo heimlich davon träumen dürfte.

Deshalb reden die Grünen nun viel von Bürgerrechten, übersehen aber, dass die FDP diese Lücke schon vor langer Zeit gelassen hat, es ihnen aber einen Wahlkampf lang nicht gelungen ist, aus der NSA-Affäre politischen Profit zu schlagen. Das Thema wird immer wichtiger, ist aber streng nach Wahlkampflogik bislang nur Beiwerk: Es schadet, wenn man es ignoriert - nützt aber auch nicht allzu viel, wenn man sich intensiv darum kümmert.

Grüne ohne Verbote wie eine Linkspartei ohne Sozialismus

Bleibt die private Lebensführung. Hier gibt es, was etwa die Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften angeht, tatsächlich Schnittmengen, hier können die Grünen im Bundestag die Fahne des Liberalismus schwingen. Das haben sie bisher allerdings auch schon getan, und damit hat sich's dann mit den Grünen und der Freiheit.

Die freie Entfaltung des Einzelnen hat nun mal in den meisten Fällen Folgen für die Allgemeinheit, deshalb ist es für die Grünen geradezu konstituierend, in diese Entfaltung einzugreifen - weil es anders zuweilen nicht geht. Und da bleibt noch einiges zu tun. Innerstädtisches Autofahren etwa ist in Zeiten des Klimawandels kein schützenswerter Akt der Selbstentfaltung, sondern, sofern der Fahrer nicht alt, krank oder sonst wie eingeschränkt ist, rücksichtslos. Grüne ohne Verbote wären wie eine Linkspartei ohne Sozialismus: nutzlos.

Davon abgesehen könnte ein Veggie-Day in ein paar Jahren eine ziemlich breit akzeptierte Einrichtung sein. Die Grünen hätten davon zwar erst mal nichts. Aber sie könnten sich was drauf einbilden, dafür schon Prügel bezogen zu haben. Und recht behalten tun sie ohnehin am liebsten.

© SZ vom 04.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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