Verschleppter libyscher Ministerpräsident:Seidan kehrt an Regierungssitz zurück

Lesezeit: 2 min

Der in der Nacht verschleppte libysche Ministerpräsident Ali Seidan ist nach Regierungsangaben frei und mittlerweile wieder an den Regierungssitz zurückgekehrt. Eine bewaffnete Gruppe ehemaliger Milizionäre hatte den Premier aus einem Hotel in Tripolis verschleppt - angeblich aufgrund eines Haftbefehls.

Der libysche Regierungschef Ali Seidan hat nach seiner Freilassung aus mehrstündiger Geiselhaft versucht, die Lage zu beruhigen. Während einer Sitzung des Kabinetts sagte er, seine Entführung habe mit innerlibyschen Streitigkeiten zu tun. Ausländische Diplomaten oder Geschäftsleute hätten nichts zu befürchten. Die Sicherheitslage sei stabil.

Seidan war am Donnerstagmorgen von Bewaffneten aus einem Hotel in Tripolis verschleppt worden. Angehörige mehrerer ehemaliger Revolutionsbrigaden befreiten ihn später aus der Geiselhaft. Nach ersten Informationen leisteten die Entführer keinen Widerstand.

Strittig ist nach wie vor, ob Seidan entführt oder offiziell festgenommen wurde: Die Ex-Rebellen erklärten, den Ministerpräsidenten "auf Anordnung der Staatsanwaltschaft festgenommen" zu haben. Dies sei gemäß dem libyschen Strafgesetz erfolgt, erklärte die Gruppe auf ihrer Facebook-Seite. Demnach muss sich Seidan wegen "Verbrechen und Delikten zum Schaden des Staates und zum Schaden der Sicherheit des Staates" verantworten.

Ex-Rebellen unterstehen Ministerien

Die Zelle untersteht theoretisch den libyschen Ministerien für Verteidigung und Inneres. Der Sprecher der Abteilung für Verbrechensbekämpfung im Innenministerium sagte der staatlichen Nachrichtenagentur Lana, es handele sich nicht um eine "Entführung", sondern um eine "Festnahme". Seidan befinde sich in in Gewahrsam der Abteilung und sei bei guter Gesundheit. Er stehe im Verdacht, die nationale Sicherheit gefährdet zu haben. Außerdem werde ihm Korruption vorgeworfen.

Die Festnahme sei von der "Kommandozentrale der libyschen Revolutionäre", einem Zusammenschluss ehemaliger Milizen aus dem Bürgerkrieg 2011, angeordnet worden. Unter dem Dach des Innenministeriums arbeiten neben Beamten aus der Ära des 2011 gestürzten Langzeitherrschers Muammar al-Gaddafi auch Angehörige der Revolutionsbrigaden, die sich einst gegen Gaddafis Truppen formiert hatten. Diese folgen nicht immer den Vorgaben der Regierung.

Die Regierung widerspricht auch der Darstellung der Abteilung: Das Justizministerium betonte, die Staatsanwaltschaft habe keinen Haftbefehl für Seidan ausgestellt. Auch das libysche Kabinett erklärte auf seiner Facebook-Seite, über eine Aufhebung der Immunität oder einen Haftbefehl sei nichts bekannt. Das Kabinett will nun zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Das Büro des Generalstaatsanwalts verurteilte die "Entführung".

Rache für Gefangennahme von Al-Qaida-Terrorist?

Bei dem Vorfall im Hotel Corinthia, in dem sich Seidan aufhielt, fielen Wachleuten zufolge keine Schüsse. Auch sei es nicht zu einem Kampf gekommen. Der TV-Sender Al-Arabija zeigte Bilder, auf denen Seidan von einer Gruppe Männer in Zivilkleidung umringt wurde.

Die Ex-Rebellen erklärten, sie hätten Seidan in ihre Gewalt gebracht, weil die Regierung die Gefangennahme des Al-Qaida-Extremisten Abu Anas al-Libi durch die USA gebilligt habe. Man habe sich zu der Tat entschlossen, nachdem US-Außenminister John Kerry erklärt habe, dass die libysche Regierung von dem Einsatz gewusst habe. Die Gruppe warf der Regierung Korruption und Gefährdung der nationalen Sicherheit vor.

Am vergangenen Wochenende hatte ein US-Sonderkommando das Mitglied der Islamisten-Organisation gefasst, das 1998 an verheerenden Bombenanschlägen in Kenia und Tansania beteiligt gewesen sein soll, und außer Landes gebracht. Die libysche Regierung hatte nach dem Vorfall die US-Botschafterin einbestellt und die Auslieferung von al-Libi gefordert, zugleich aber betont, man hoffe weiterhin auf gute Beziehungen zu Washington. Nach dem Verschwinden von al-Libi hatte es in Bengasi eine Protestaktion radikaler Islamisten gegeben. Die Gefangennahme hatte Extremisten zusätzlich gegen die Regierung aufgebracht. Erst am Mittwoch hatte Seidan Angehörige der Familie von al-Libi empfangen und ihnen versichert, seine Regierung werde alles unternehmen, was in ihrer Macht stehe, "um seine Rechte zu garantieren".

Zwei Jahre nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi ist Libyen noch immer tief gespalten, die Lage in vielen Landesteilen unsicher. Die Regierung bemüht sich, den Einfluss rivalisierender Stammesmilizen und radikaler Islamisten einzudämmen. Seidan, ein langjähriger Gegner des früheren Machthabers Muammar al-Gaddafi, ist seit einem Jahr der erste freigewählte Regierungschef des Landes. Der ehemalige Oppositionelle hatte in der Ära von Diktator Gaddafi im Exil gelebt, vor allem im schweizerischen Genf.

© dpa/AFP/Reuters - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: