Benachteiligung von Mädchen:Was eine Katastrophe noch schlimmer macht

Tsunami, Überlebendes Kind, das seine Eltern verloren hat, 2005

Die dreijährige Salomia hat im Tsunami von 2004 alles verloren.

(Foto: REUTERS)

Erdbeben, Überschwemmungen und Hungersnöte zerstören Leben und zerreißen Familien. Mädchen sind in solchen Ausnahmezuständen besonders gefährdet, warnt ein Bericht anlässlich des Weltmädchentages. Junge Frauen kommen nicht nur häufiger bei Naturkatastrophen um, sondern werden danach auch eher Opfer von Gewalt.

"Als ich schlief, wurde ich vergewaltigt. Ich wusste nicht, was mit mir geschehen war. Ich kenne das Gesicht des Mannes nicht. Ich habe stark geblutet. Ich habe mit niemandem darüber gesprochen. Als ich merkte, wie sich mein Körper verändert, brachte mich meine Mutter ins Krankenhaus. Dort sagte man mir, ich sei schwanger."

Das ist die Geschichte eines 17-jährigen Mädchens. Es wurde zum Opfer, als es glaubte, bereits alles verloren zu haben. In einer Notunterkunft im indischen Bundesstaat Tamil Nadu, nach dem Tsunami 2004. Es ist eine von mehreren Geschichten, die die Hilfsorganisation Plan in ihren jährlichen Bericht zum Weltmädchentag aufgenommen hat. Die 224 Seiten starke Studie (hier in der Vollversion), die Ergebnisse existierender Studien und eigene Befragungen zusammenfasst, ist in diesem Jahr der besonderen - besonders schlechten - Situation von Mädchen in Katastrophensituationen gewidmet. Gerade in Ländern, wo Mädchen ohnehin wegen ihres Geschlechts diskriminiert werden, verschärft sich diese Benachteiligung nach Erdbeben, Überschwemmungen oder Hungersnöten noch einmal deutlich.

So ist für Mädchen und Frauen die Wahrscheinlichkeit in einer Naturkatastrophe zu sterben, 14 mal höher als für Jungen und Männer. Eine Studie in Pakistan zeigte, dass 85 Prozent aller Menschen, die nach Überschwemmungen fliehen mussten, Frauen und Kinder waren. Bei dem Tsunami im Jahr 2004 starben deutlich mehr Frauen als Männer. Die Ursachen, so die Autoren des Plan-Berichts, ließen sich in einem einfachen Wort zusammenfassen: "Macht. Es ist die relative Machtlosigkeit von Frauen und Kindern in vielen Gesellschaften, die sie in Katastrophensituationen verletzlicher macht."

Das gilt nicht nur für die direkten Auswirkungen der Katastrophe, für Verletzungen, Verluste, Traumata. Wo es nicht selbstverständlich ist, Mädchen zur Schule zu schicken, wird das im Katastrophenfall noch unwahrscheinlicher. Laut der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung können 31 Millionen Mädchen im Grundschulalter keine Schule besuchen, fünf Millionen mehr als Jungen. Zwei Drittel aller Analphabeten sind weiblich.

Dabei entscheidet Bildung nicht nur über die Zukunft der Mädchen - schon ein zusätzliches Jahr an einer Sekundarschule lässt das Einkommen später um 15 bis 25 Prozent steigen - sondern ist gerade nach Katastrophen entscheidend, um das Erlebte bewältigen zu können: "Ausbildung bringt Stabilität, Normalität und Routine in das Leben eines Kindes, was absolut essentiell ist, besonders wenn sie fliehen mussten", zitiert die Studie zum Weltmädchentag eine UN-Sprecherin.

Auch das Risiko, als Mädchen gegen seinen Willen verheiratet zu werden, steigt in dem Ausnahmezustand, in dem sich Familien nach Naturkatastrophen wiederfinden. "Wenn du eine große Familie mit vielen Mädchen und kein Essen für deine Kinder hast, und ein reicher Mann kommt und sagt, ihm gefällt eine deiner Töchter, was soll man da machen?" So schildert ein Betroffener die Situation in Niger während der großen Hungerkatastrophe. Laut Bundesentwicklungsministerium werden weltweit jedes Jahr 1,7 Millionen Mädchen unter 15 Jahren verheiratet.

Auch andere Formen sexueller Ausbeutung, Gewalt und Nötigung sind in der Folge von Katastrophen vielerorts an der Tagesordnung. So berichtet etwa eine Mutter aus den Notunterkünften für Überlebende des Erdbebens in Haiti: "Meine Tochter ist zwölf. (...) Es passiert, dass auch Mädchen genötigt werden, Sex für Gegenleistungen zu haben. So hat man Sex für ungefähr einen Dollar, einfach so." Eine 13-Jährige erzählt: "Es ist schlimm, manche lassen sich in kriminelle Machenschaften verwickeln, nur um etwas zu essen zu haben. Man weiß nicht, was man tun oder mit wem man sprechen soll, wenn so etwas passiert."

2011 haben die Vereinten Nationen auf Initiative der Hilfsorganisation Plan den Weltmädchentag begründet, um auf die Benachteiligung von Mädchen weltweit aufmerksam zu machen. In vielen Ländern finden dazu an diesem Freitag Aktionen und Veranstaltungen statt.

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