Neues Werbekonzept in Australien:Ferngesteuert durch Melbourne

Ein Reiseführer, live und mit Kontrollfunktion: Die australische Stadt Melbourne schickt zwei Touristen durch die Straßen, jeder kann ihnen aus dem Netz Aufträge erteilen. Die User sind überraschend einfallsreich.

Von Hakan Tanriverdi

RCT Kate fliegt in einem Helikopter über Melbourne und führt Selbstgespräche. Mit ihrem Finger zeigt sie auf verschiedene Sehenswürdigkeiten der australischen Stadt, vom Melbourne Cricket Ground, dem Stadion, bis hin zum Federation Square. RCT Kate ist unterwegs als Auftragstourist. Sie wurde gefragt, ob sie nicht einmal zeigen könne, wie Melbourne aus der Luft aussieht. Denn das RCT in ihrem Namen steht für: Remote Control Tourist. Übersetzt ins Deutsche heißt das in etwa: der ferngesteuerte Tourist.

Um mehr Besucher anzulocken, hat sich die australische Stadt Melbourne ein neuartiges Konzept überlegt. Statt Buchseiten im Reiseführer zu wälzen oder sich Bilder bei Google Street View anzusehen, um sich einen ersten Eindruck von der Stadt zu verschaffen, sollen die Menschen in der Ferne einen Reiseführer erhalten, live und mit Kontrollfunktion.

Die Überlegung: Wer vorgeführt bekommt, wie eine Gegend aussieht, wie die Menschen dort drauf sind, kurzum: wie die Stadt tickt, den kann man leichter davon überzeugen, sich auch ein Flugticket zu kaufen und sich das mal aus nächster Nähe anzuschauen.

Sie gehen zwölf Kilometer, jeweils acht Stunden

Nichts ist für Australien so wichtig wie der Tourismus. Und keine andere Stadt ist für den Tourismus so wichtig wie Melbourne, die kulturelle Metropole Down under. Die Stadt gilt weltweit als besonders lebenswert. Die Touristen lassen jährlich etwa 87 Milliarden australische Dollar im Land - und sie sorgen allein im australischen Bundesstaat Victoria, dessen Hauptstadt Melbourne ist, dafür, dass etwa 200.000 Menschen Arbeit haben.

Wohl auch deshalb lässt sich der Bundesstaat Victoria die Kampagne mit den ferngesteuerten Touristen etwa 3,6 Millionen Dollar kosten. Sie richte sich vor allem an Australier, jedoch gehe man davon aus, dass sie aufgrund ihrer Art auch weltweit Zuspruch findet, lassen die Veranstalter verlauten.

Noch bis zu diesem Sonntag setzen sich zwei Menschen einen Helm auf den Kopf. Darin stecken eine Kamera und ein Mikrofon; Bild und Ton werden live auf die Seite remotecontroltourist.com übertragen. Wer will, kann den beiden Aufträge erteilen - entweder über einen Chat oder auch über soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter. Der Helikopter-Flug war so ein Auftrag, der Besuch eines Selbstverteidigungskurses ist ein weiterer. Aber auch in ein bestimmtes Restaurant kann man RTC Kate schicken - und sie erzählen lassen, wie das Essen schmeckt.

Pro Tag sind je zwei ferngesteuerte Touristen unterwegs, sie gehen jeweils etwa zwölf Kilometer, acht Stunden am Stück. Auf der Internetseite ist eine Karte eingeblendet, Sehenswürdigkeiten sind markiert und hervorgehoben. Sind die Orte gelb, wurden sie bereits besucht und es sind Eindrücke in Bildern und Videos vorhanden.

Die ferngesteuerten Touristen sollen die Orte nicht nur zeigen, sondern auch ein paar Kommentare abgeben. Sie reden ohne Punkt und Komma. Sie schauen zu, wie der Lehrer der Kampfsportart Wing-Chung mit einem anderen Kämpfer trainiert, wie er reihenweise Schläge pariert, ohne seinen Gegner auch nur anzusehen. Der Sportler schaut direkt in die Helmkamera - und dem echten Touristen, daheim am Computer, ins Gesicht. Der ferngesteuerte Tourist tut, was eben erwartet wird von einem guten Touristen. Er grölt vor Bewunderung.

Für seine Kampagne hat sich Melbourne mit einer Werbeagentur und dem prämierten Regisseur Jason Zada zusammengesetzt. Der Regisseur mag unkonventionelle Erzählformen, seine Geschichten sind selten von Anfang bis Ende durcherzählt. Es sind eher durcheinandergewirbelte Bruchstücke.

Es geht nicht um die Geschichte an sich

Zada wurde für eine seiner Arbeiten, "Take This Lollipop" mit einem Emmy prämiert. In dem Kurzfilm mussten sich die Mitglieder des sozialen Netzwerkes Facebook anmelden und dann zusehen, wie ein Stalker in kurzer Zeit sämtliche Informationen über den Zuschauer herausfindet - am Ende sieht man den Stalker in einem Auto davonfahren, unterwegs zum Profilinhaber.

Auch sein neues Projekt, die ferngesteuerten Touristen in Melbourne, sind in diesem Sinne. Es geht nicht so sehr um die Geschichte an sich, sondern darum, wie die Zuschauer sie schreiben. Interaktive Bilder, Fotos und Videos dienen als Appetithäppchen für ein digital vernetztes Publikum.

Doch sich aus dem Sessel zu heben, ein Flugticket zu kaufen und selbst an die Orte zu reisen, die man längst hat besichtigen lassen, ist noch einmal eine andere Sache.

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