Kalifornien:Streit um die schöne, neue Apple-Welt

Kalifornien: Fast so groß wie das Pentagon plant der Konzern sein Hauptquartier in Cupertino. Stararchitekt Norman Foster hat es entworfen.

Fast so groß wie das Pentagon plant der Konzern sein Hauptquartier in Cupertino. Stararchitekt Norman Foster hat es entworfen.

(Foto: Foster and Partners via Bloomberg)

Apple und die Stadt Cupertino liegen im Clinch. Der Konzern plant einen gewaltigen Bau, "das beste Bürogebäude der Welt" - eine Art ziviles Pentagon. Die Einwohner der Apple-Stadt haben damit ihre ganz eigenen Probleme.

Von Jürgen Schmieder

An der Pruneridge Avenue in Cupertino steht eine zwei Meter breite und 1,50 Meter hohe Tafel. Auf ihr wird Apples geplanter Campus 2 vorgestellt. Illustriert wird der Plan mit einem Bild, das aussieht wie ein Szenenfoto aus dem neuen Star-Wars-Film, der 2015 in die Kinos kommen soll.

Es scheint, als wäre gerade ein Sternenkreuzer des galaktischen Imperiums auf dem Planten Naboo gelandet. Majestätisch wirkt dieses runde Gebilde, elegant, ein bisschen bedrohlich. Das Bürogebäude sollte zunächst - zufällig oder nicht - bis zum Filmstart fertig sein, nach derzeitigem Stand dauert es ein Jahr länger.

Streit um einen Baum

Es lohnt, einen Moment lang nicht auf das Objekt in der Mitte zu sehen, sondern auf einen der zahlreichen Bäume rundherum. Vielleicht auf den links unten in der Ecke. Denn das könnte der Baum sein, über den die Apple-Managerin Meg Thomas in einer E-Mail an den Stadtrat von Cupertino schreibt: "Wenn wir diesen Baum 1,50 Meter nach innen verlegen, dann wird er zu einem Sicherheitsproblem für uns. Menschen könnten auf diesen Baum klettern und über den Zaun springen."

Dann könnte man prüfen, was auf dem Bild fehlt: die Pruneridge Avenue etwa. Die gibt es noch, doch das Stück zwischen der Wolf Road und der Tantau Avenue, wo die Tafel mit dem Foto steht, soll verschwinden. Es ist ein schönes Stück Straße. Wer hier spaziert, der sieht Frauen mit Kinderwagen und viele Jogger. Apple möchte diese Straße kaufen und so zwei Grundstücke verbinden, die das Unternehmen akquiriert hat, um den Campus zu errichten. Auch dazu gibt es eine E-Mail an den Stadtrat. Der Bürger Kao Lee hat sie geschrieben: "Ich und viele andere Menschen nutzen diese Straße als Jogging- und Spazierstrecke um den alten HP Campus."

Jetzt wirklich? Das klingt sehr kleinteilig: Es geht bei der Diskussion um den fünf Milliarden Dollar teuren Apple-Campus um eine Straße, auf der die Einwohner von Cupertino gerne ihre Hunde ausführen - und um einen Baum, über den Spione kraxeln könnten? Soll das ein Witz sein?

Nein, ist es nicht - genau über solche Sachen wurde in den vergangenen Wochen bei Anhörungen debattiert. Die Planungskommission von Cupertino bewilligte am 2. Oktober das Projekt und legte es dem Stadtrat zur vorläufigen Abstimmung vor. Die findet am Dienstag statt, am 19. November soll diese Vorentscheidung dann offiziell bestätigt werden.

40 Prozent aller Arbeitsplätze

Das Gebäude ist ein Symbol für die intensive Beziehung zwischen dem coolen Weltunternehmen und der 60.000-Einwohner-Stadt im Santa Clara County, besser bekannt als Silicon Valley: Cupertino ist das Putzerfischchen des Buckelwals Apple, das die Haut des großen Tieres reinigt und von Kleingeziefer befreit - und wenn Apple sterben oder wegziehen sollte, dann könnte es Cupertino ziemlich dreckig gehen. In einer Studie der Stadt heißt es schon 2011, Cupertino sollte sich dringend darum bemühen, die Steuereinkünfte zu diversifizieren. Um unabhängiger von Apple zu werden. Genau das Gegenteil ist passiert - und die Abhängigkeit wird mit dem neuen Campus noch größer.

Derzeit beschäftigt Apple 16.000 Menschen in Cupertino, das sind etwa 40 Prozent aller Arbeitsplätze in der Stadt. Für das Jahr 2016 prognostiziert das Unternehmen etwa 24 000 Arbeitnehmer. Etwa 18 Prozent zum Budget der Stadt steuert Apple bei. Im vergangenen Jahr waren es 9,2 Millionen US-Dollar und innerhalb der nächsten drei Jahre soll dieser Betrag auf 13 Millionen Dollar jährlich wachsen. Apple zahlt für knapp zehn Prozent der Grundsteuer - dieser Prozentsatz wird sich durch den Campus 2 verdreifachen. Das Unternehmen und seine Mitarbeiter geben - laut Apple - pro Jahr 4,6 Milliarden Dollar in Cupertino aus.

Den geplanten Campus selbst finden fast alle hier wunderbar. Die Menschen begeistern sich für die atemberaubende Architektur von Sir Norman Foster. Und dafür, dass Apple sein Wasser recyceln wird, ein eigenes umweltfreundliches Kraftwerk bauen, 6000 Bäume pflanzen will. Die Apple-Mitarbeiter werden nicht mehr zwischen 80 in der Stadt verteilten Bürogebäuden pendeln. Eine Flotte von Biodiesel-Bussen wird sie zur Arbeit bringen. Die Menschen in Cupertino finden es toll, dass die hässlichen alten Gebäude an der Pruneridge Avenue endlich abgerissen werden und auf 71 Hektar fast 318 000 Quadratmeter Bürofläche entsteht. Zum Vergleich: Das Pentagon gilt mit 344 000 Quadratmetern als größtes Bürogebäude der Welt.

Brutale Pleite

Hier in Cupertino mögen sie nur nicht, wofür das Gebäude steht.Vielleicht gab es deshalb aberwitzige Vorschläge wie den, dass Apple für jeden Mitarbeiter, der während der Stoßzeiten bei einer rücksichtslosen Aktion im Straßenverkehr ertappt wird, eine Strafe von 500 Dollar bezahlen muss. Darüber haben sie lange debattiert, bevor sie ablehnten.

Jobs' letzter öffentlicher Auftritt

Orrin Mahoney muss lachen, wenn er auf diese Einwände angesprochen wird. Er ist der Bürgermeister von Cupertino, würde er statt Anzug und Akten eine Kutte und ein Lichtschwert tragen, dann könnte man ihn durchaus mit dem von Sir Alec Guinness verkörperten Obi-Wan Kenobi verwechseln. Mahoney, 68, hat in Stanford studiert und 35 Jahre lang bei Hewlett Packard gearbeitet. Seit mehr als 25 Jahren wohnt er in Cupertino, 2005 war er Bürger des Jahres. "Der Teufel steckt immer im Detail", sagt er mit einer Stimme, die man nicht von der Natur geschenkt bekommt. So ein Timbre muss man sich erarbeiten, indem man jahrzehntelang zwischen aufgebrachten Parteien schlichtet.

Er spricht über den Campus 2 mit der Gelassenheit eines buddhistischen Mönchs: "Wir sind froh, die Heimat von Apple zu sein. Natürlich würde ich mir ein zweites großes Unternehmen als Absicherung wünschen, aber das ist nicht unsere Entscheidung. Wenn ich ein Unternehmen wählen dürfte, das ich gerne in der Stadt hätte, dann wäre Apple weit oben auf der Liste." Natürlich sagt sich so ein Satz leicht über den Kultkonzern, der laut den Interbrand-Forschern gerade Coca-Cola als wertvollste Marke der Welt abgelöst hat.

Mahoney kennt die wahnwitzigen Erfolgsgeschichten im Silicon Valley, aber auch brutale Pleiten wie den Wegzug von HP aus Cupertino. Das Unternehmen hatte seine Computersparte hier, im Jahr 2010 gab es ein knappes Memo an die Mitarbeiter: "Wir planen, (innerhalb der kommenden zwei Jahre) die Arbeitnehmer aus Cupertino nach Palo Alto umzuziehen." Das war's für Cupertino.

Angst vor einem kranken Buckewal

Mehr als 4000 Menschen zogen damals weg - und plötzlich gab es ein riesiges Gelände mit 26 Gebäuden, das niemand nutzte. Der Hewlett Packard Driveway kreuzt die Pruneridge Avenue dort, wo die Straße verschwinden soll. Wenn man von der Kreuzung aus nach rechts blickt, dann sieht es aus wie in einer Stadt, die einst im Goldrausch erblühte und nun langsam ausstirbt: Der riesige Parkplatz ist leer, der Zaun rostig, Gebäude vergammeln. Auf dem Gelände steht ein Auto, auf dem "Security" steht - doch es sitzt niemand drin. Genau hier, auf dem ehemaligen Gelände von Hewlett Packard, soll der Campus 2 entstehen. Die betonharte Absicherung für Cupertino: Apple bleibt noch lange hier.

Sie haben in Cupertino nicht nur Angst, dass Apple wegziehen könnte - sondern vor allem davor, dass der Buckelwal krank werden könnte und das Putzerfischchen ansteckt. Der Aktienkurs von Apple jedenfalls ist innerhalb von 14 Monaten um mehr als 30 Prozent gefallen. Ob die Strategie mit dem billigeren, knallbunten iPhone 5C aufgeht, muss sich erst zeigen. Obendrein drängen chinesische Billiganbieter auf die Märkte, wo Apple und Samsung bislang unter sich um die Vorherrschaft kämpften. "Vor sechs Monaten hätte ich gesagt, dass Apple das Unternehmen ist, auf das ich mich verlassen möchte", sagt Mahoney, "aber in dieser Branche ändern sich die Dinge rasend schnell."

Seine Rolle als Putzerfischchen lohnt sich für Cupertino und seine Bürger, wenn Apple gesund ist. Das Durchschnittseinkommen liegt hier über 50 000 Dollar pro Jahr. Das Magazin Forbes führt Cupertino in der Liste der reichsten Städte auf Platz elf. Das Projekt Campus 2 dürfte der Kommune durch Grundstücksverkäufe, Steuern und Gebühren 45 Millionen Dollar Extraeinnahmen bringen.

Die Apple-Manager wissen um die Abhängigkeit der Stadt von ihrem Unternehmen. Es gibt zahlreiche Deals wie den, bei dem Cupertino die Hälfte der Umsatzsteuer an Apple zurückzahlt. Es waren 12,69 Millionen Dollar im vergangenen Jahr. Die Apple-Leute möchten die Vorzugsbehandlung gern verlängern und prognostizieren, dass aufgrund der zu erwartenden Umsatzsteigerungen diese Steuern um vier Millionen Dollar pro Jahr wachsen werden.

Nur: Was passiert, wenn die Umsätze einmal nicht mehr wachsen? Das klingt unwahrscheinlich - so wie es unwahrscheinlich klang, dass Hewlett Packard jemals aus der Stadt weggeht. Oder dass die finnische Erfolgsfirma Nokia jemals finanzielle Probleme bekommt.

Strahlender Held - und Bösewicht

Weder Apple noch die Stadt wollen sich zu den finanziellen Vereinbarungen oder zum Kaufpreis für die Pruneridge Avenue äußern. Bürgermeister Mahoney sagt nur: "Es geht nicht, ohne die Straße zu schließen." Dan Whisenhunt, Leiter der Apple-Sparte "Gebäude und Büros", durfte sich bei der Anhörung deshalb auf die ökologischen Faktoren konzentrieren: "Durch das Projekt werden 80 Prozent der Fläche begrünt", sagt er. Applaus im Saal. "Es werden mehr als 300 verschiedene Baumarten gepflanzt." Applaus im Saal.

Außerdem werde Apple versuchen, mit einem eigenen Bussystem mehr als ein Drittel der Angestellten zum Umsteigen aus ihrem Auto zu bewegen, um zur Arbeit zu kommen. "Das ist ein ambitioniertes Ziel, aber wir können es schaffen", sagte Whisenhunt. Applaus im Saal.

So ging es zu bei den Anhörungen in dieser Woche: Es war meist ein Lobgesang auf Apple. Dann gab es ein paar kritische Fragen zum Verkehr, ein paar vernünftige und ein paar aberwitzige Vorschläge. Dann wurde wieder gelobt. Es hatte ein bisschen etwas von Politiker-Auftritten in Bierzelten.

Das führt natürlich zu der Frage, ob es wirklich möglich ist, dass Apple seinen Firmensitz in eine andere Stadt verlegen könnte. Mahoney sagt: "Wenn Sie die Biografie von Steve Jobs gelesen haben, dann wissen Sie, dass er seine Entscheidungen oftmals nicht allein aus ökonomischen Gründen getroffen hat." Natürlich sind sie in Cupertino traurig, dass Jobs an Krebs erkrankt und mit nur 56 Jahren gestorben ist - und doch sagt Mahoney: "Vielleicht ist es besser, dass Steve Jobs an diesen Verhandlungen um die Details nicht beteiligt ist."

Das ist ein heftiger Satz, weil er impliziert: Jobs wäre ausgerastet, hätte er gehört, dass da jemand bei seiner Vision tatsächlich um einen Straßenabschnitt debattiert. Womöglich hätte er im Zorn den Umzug in eine andere Stadt verkündet. Einfach so. Mahoney deutet an, was sich hier niemand zu sagen traut: Jobs war vielleicht nicht immer nur der strahlende Held, sondern bisweilen auch ein Bösewicht. Und dass der Campus 2 die Stadt beherrschen könnte, so wie in Stars Wars der Todesstern die Galaxis beherrschen sollte.

Romantisiertes Verhältnis

Diesen Eindruck vermittelte Jobs persönlich bei der Anhörung im Juni 2011. Die Bilder davon haben Millionen von Menschen gesehen, weil es der letzte öffentliche Auftritt von Jobs vor seinem Tod am 5. Oktober 2011 war. Jobs verwendet Sätze, mit denen er für gewöhnlich die Produkte beschrieb. "Ich glaube, dass es ziemlich cool ist", sagt er. Oder: "Es sieht aus wie ein Raumschiff, das gerade gelandet ist." Oder: "Wir haben hier die Gelegenheit, das beste Bürogebäude der Welt zu errichten."

"Eine 21.-Jahrhundert-Version des Pentagons"

Das verfehlt seine Wirkung nicht. Die Menschen im Saal fotografieren Jobs, die Mitglieder des Stadtrates, die kritische Fragen stellen sollen, geben sich devot - einer verkündet gar stolz, wie toll er das Ipad 2 findet. Es gibt die Frage, ob Apple ein drahtloses Wi-Fi-Netz in der Stadt einrichten könne, kostenlos. Die Antwort von Jobs: "Ich bin ein einfacher Mensch. Wir bezahlen hier Steuern, also sollte die Stadt das tun." Alle lachen.

Niemand will den Apple-Chef verärgern, denn der sagt immer wieder ganz explizit, nicht auf Cupertino angewiesen zu sein. Auf die Frage, was denn die Stadt von diesem Gebäude haben werde, antwortet Jobs lapidar: "Ich würde gerne hier bleiben und hier meine Steuern zahlen. Wenn nicht, dann gehen wir an einen Ort wie Mountain View. Das wäre nicht so toll für Cupertino, oder?" Alle sind geschockt. Nur keine kritischen Fragen mehr!

Das Verhältnis zwischen Jobs und Cupertino wird mittlerweile romantisiert. Jobs selbst berichtete, wie er als Jugendlicher eine Anstellung bei Hewlett Packard in Cupertino bekam. Mahoney sagt, seine Stimme klingt zum ersten Mal nicht gleichmütig: "Es hat alles hier angefangen!"

Wallfahrtsort für Apple-Jünger

Ganz so war es freilich nicht: Jobs besorgte sich erst einmal ein Postfach in Palo Alto, um dem 1976 gegründeten Unternehmen mehr Prestige zu verleihen. Weil er dort nichts Passendes fand, zog er nach Cupertino. Apple mietete zunächst die Büros nur, erst 1993 wurde das Hauptquartier am Infinite Loop eröffnet. Zu dieser Zeit arbeitete Jobs nicht bei Apple. Jobs und Cupertino - das war schon immer mehr eine Symbiose, nicht die ganz große Liebe.

Das Hauptquartier am Infinite Loop soll auch nach dem Bau des Campus 2 genutzt werden. Es ist ein Wallfahrtsort für Apple-Jünger. Wer dorthin fährt, findet problemlos einen Parkplatz, kann in den Company Store gehen und sich ein wenig umsehen. Die Mitarbeiter sind leicht zu erkennen, sie lassen ihre Ausweise stolz an der Hose baumeln. Es ist ein Abzeichen, eine Visitenkarte: Ich arbeite beim coolsten Unternehmen der Stadt - ach was, ich arbeite beim coolsten Unternehmen der Welt. Man kann über den Campus schlendern, es gibt kaum Sicherheitsvorkehrungen.

Das soll sich nun ändern: Campus 2 wird ein Hochsicherheitstrakt. Auf Seite drei des Bauprospekts steht unter den primären Zielen: "Die Sicherheit und Vertraulichkeit erreichen, die zur Entwicklung neuer Produkte notwendig ist - durch das Beseitigen jeglichen öffentlichen Zugangs zum Gelände und durch den Schutz der Peripherie gegen Eindringlinge."

Die Zeitschrift New Yorker lästerte, der Campus 2 von Apple sei "eine 21.-Jahrhundert-Version des Pentagons" - und kritisierte Bauwerke, die Technikunternehmen planen: Amazon in Seattle, Google in London und Mountain View, Facebook in Menlo Park. Diese Gebäude seien Zeichen "imperialistischen Größenwahns".

Was wird passieren? Das Unternehmen selbst wollte sich auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung nicht zur Abstimmung am Dienstag äußern. Doch es genügte ein Blick in den Company Store, um ein eindeutiges Statement zu bekommen. Es gibt dort Mützen und Kaffeetassen und Strampler mit Apple-Logo darauf. In der Mitte des Geschäfts hängt ein T-Shirt, auf dem steht: "Cupertino. Home of the Mothership". Das Raumschiff wird hier landen. "Die Bürger sind begeistert, das Gebäude ist wundervoll und wird unsere Stadt bereichern." Bürgermeister Orrin Mahoney sagt "wird" und nicht "könnte".

Sie haben keinen Plan B in Cupertino.

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