Studieren in Freising:Zuhause auf Zeit

Knapp 100 Studenten aus dem Ausland verbringen ein Semester oder ein ganzes Jahr in Freising. Vielen gelingt ein guter Start, doch die ersten Tage stellen manche auf eine harte Probe

Von Kim Björn Becker und Thomas Radlmaier

Studieren in Freising: In seinem Käfig in Form eines Globus scheint der Bär, das Wappentier Freisings, die ausländischen Studenten zu begrüßen: Fast 100 sind im Wintersemester an einer der Hochschulen in der Domstadt als Gaststudenten eingeschrieben.

In seinem Käfig in Form eines Globus scheint der Bär, das Wappentier Freisings, die ausländischen Studenten zu begrüßen: Fast 100 sind im Wintersemester an einer der Hochschulen in der Domstadt als Gaststudenten eingeschrieben.

(Foto: Marco Einfeldt)

Soma Csaplár zupft seinen Schal zurecht, denn es wäre eine Schande, trüge er ihn in Falten. Die hochgeschlossene dunkelblaue Jacke würde normalerweise den Großteil des violetten Strickschals verdecken, den Soma um seinen Hals geschlagen hat, doch er hat ihn weit hinaufgezogen, bis kurz vor die Unterlippe. "Kalt ist's, und Zeit zum Mittagessen", sagt er, auf Englisch. Deutsch beherrscht er noch nicht gut genug, doch das soll sich bald ändern.

Der violette Schal ist ein Stück aus Somas Heimat, ein Fanschal des Fußballvereins Kecskeméti TE. Kecskemét ist eine Stadt mit etwas mehr als 100 000 Einwohnern, sie liegt in der ungarischen Tiefebene, knapp 100 Kilometer vor den Toren der Hauptstadt Budapest. Im Jahr 2008 ist dem Verein der Aufstieg in die erste ungarische Fußballliga geglückt, 2011 gewann die Mannschaft sogar den ungarischen Pokal. Die Heimspiele finden im Széktói-Stadion im Westen von Kecskémet statt, etwa 6000 Menschen finden darin Platz. Soma war oft einer von ihnen.

Jetzt ist Soma, 21, in Freising und sitzt bei Chicken Wings und Tee in der Cafeteria auf dem Weihenstephaner Campus der Technischen Universität München (TUM). Es ist brechend voll in dem kleinen Café, die Studenten stehen vor der Essensausgabe Schlange. Soma ist einer von etwa 70 ausländischen Studenten, die gerade ein Gaststudium für ein oder zwei Semester an der TUM absolvieren. Insgesamt studieren auf dem Freisinger Campus der TUM etwa 600 junge Menschen aus rund 80 verschiedenen Staaten. Mit Abstand die meisten stammen aus China, von dort sind etwa 100. An der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT), wie die Fachhochschule seit einiger Zeit heißt, sind für das Wintersemester insgesamt 25 Gaststudenten eingeschrieben, die nur ein Semester oder ein Jahr lang bleiben. Die Zahl internationaler Studenten, die ihr gesamtes Studium über an der HSWT sind, beläuft sich auf etwa 260. Unter ihnen stellen die Österreicher die größte Gruppe.

Viele Neuankömmlinge aus aller Welt sind erst seit wenigen Tagen oder Wochen in der Domstadt. So ist es auch bei Soma Csaplár, er ist erst vor zwei Wochen in Deutschland angekommen, es ist sein erster Aufenthalt im Land überhaupt. Obwohl Soma in der Schule mal ein paar Brocken Deutsch gelernt hat, war er nie zuvor hier. Seit 2011 studiert er an der Universität in seiner ungarischen Heimatstadt Kecskemét Gartenbau, nun verbringt er das fünfte und sechste Semester als Gaststudent in Freising. Warum gerade die Domstadt? "Die Auswahl war nicht so groß", sagt Soma. Neben Freising hätte er noch die Wahl gehabt zwischen Neubrandenburg und Finnland, aber an der einen Uni spricht man fast nur Deutsch und in der anderen überhaupt keines. "Deshalb Freising, hier kann ich mein Deutsch verbessern und die Kurse werden auf Englisch gehalten", sagt er.

Für viele Gaststudenten, die frisch in Freising eintreffen, ist es nicht einfach, sich zu orientieren. Nicht alle kommen in einem der Studentenwohnheime unter und viele müssen sich auf eigene Faust ein Zimmer suchen. Diese Erfahrung kennt Laura Casas, 20, aus Kolumbien nur zu gut. Ein Semester lang studiert sie nun in Freising Getränketechnologie, die Studienleistungen, die sie hier erbringt, kann sie sich für ihr Studium der Chemietechnik an der Universität Bogotà anrechnen lassen. Gerade ist sie im siebten Semester. "Es war sehr schwer, in Freising ein Zimmer zu finden", sagt sie. Einen Platz im Wohnheim hat sie nicht bekommen. "Schon im Mai habe ich erfahren, dass ich an der TUM angenommen wurde. Aber aus der Entfernung ist es schwer, eine Zusage für ein Wohnung zu bekommen, da viele Vermieter die Interessenten persönlich kennen lernen wollen." Derzeit wohnt Laura zur Zwischenmiete, bald zieht sie in eine richtige Wohnung, die sie mit Glück und durch Kontakte gefunden hat.

Mit welchen Problemen ausländische Studenten in Freising zu kämpfen haben, weiß Isabell Ramming ganz genau. Die 24-Jährige studiert im dritten Semester Biotechnologie an der HSWT. Nebenbei arbeitet sie beim Akademischen Auslandsamt der Hochschule. Ramming ist so etwas wie die "Super-Nanny" für Auslandsstudenten - schon lange bevor die Gaststudenten aus ihren Heimatländern nach Freising kommen, nimmt sie Kontakt zu ihnen auf und klärt wichtige Dinge. Die studentische Betreuerin sorgt dafür, dass die Studenten gültige Visa erhalten, sie sucht für sie Wohnungen, eröffnet Bankkonten oder organisiert den Transfer vom Flughafen nach Freising. Kurzum: Sie kümmert sich um all das, was eigentlich selbstverständlich ist, aber Menschen aus Brasilien, Griechenland oder Rumänien zu Beginn ihres Aufenthalts große Schwierigkeiten bereitet. "Ich helfe auch beim ersten Einkaufen im Supermarkt", erzählt Ramming. Das größte Problem vieler Gaststudenten aber sei aber: die Sprache. Etliche Auslandsstudenten trauten sich nicht, ihre Deutschkenntnisse auch anzuwenden. "Viele sind einfach noch zu unsicher und fliehen dann meistens ins Englische", sagt Ramming, die hauptsächlich für die elf brasilianischen Stipendiaten an der HSWT zuständig ist. Die meisten Auslandsstudenten seien sehr interessiert an der deutschen Kultur und generell aufgeschlossen und offen für Neues. "Das macht die Eingewöhnung dann natürlich leichter."

Für Soma Csaplár war die Ankunft am Münchner Hauptbahnhof so etwas wie eine Erlösung. Zuvor hatte er im niederländischen Boskoop ein dreimonatiges Praktikum bei einer Großgärtnerei absolviert, die Blumen und Topfpflanzen in die ganze Welt verschickt. "Das war eine Katastrophe da", sagt er, "ich habe nur Hilfsarbeiten gemacht und kaum etwas lernen können." In Deutschland habe er sich nach dieser Erfahrung umso wohler gefühlt: "Die Deutschen scheinen mir etwas offener zu sein als die Niederländer", sagt er. "Hier schaut man nicht so sehr darauf, was einer für Kleidung trägt und wo er herkommt." Nicht so gut sei, dass viele Passanten hier nur wenig Englisch könnten. "In Holland konnte ich immer jemanden auf Englisch nach Feuer für eine Zigarette fragen, das funktioniert hier nicht so gut."

Mit den Freisingern hat auch Klaudia Máté gute erste Erfahrungen gemacht. Die 23-Jährige studiert an der Corvinus-Universität in Budapest Landschaftsarchitektur und macht seit Kurzem ihren Master. In Freising belegt sie nun ein Semester lang Kurse im Programm "Landschaftsplanung, Ökologie und Naturschutz". Vor ihrer Ankunft in Deutschland dachte sie, dass die Leute hier "nicht so freundlich" seien. Nach ein paar Tagen sei sie " glücklicherweise enttäuscht", in Freising sind die Menschen "sehr nett und hilfsbereit", wie sie sagt. "Ich hatte vor meiner Abreise schon ein bisschen Angst: Schließlich kenne ich da niemanden, habe keine Ortskenntnis und bin allein. Eine sehr schwere Aufgabe."

Dass sie nach Freising gegangen ist, bereut Klaudia Máté nicht, auch wenn sie ursprünglich ein anderes Ziel hatte: "Vor einiger Zeit stand ich am Budapester Hauptbahnhof, um zu meinen Eltern aufs Land zu fahren und habe auf einem Nachbargleis einen Zug gesehen, der nach München fuhr. Ich dachte nur: Wie gut wäre es, einmal in diesem Zug zu sitzen." Zwei Jahre, etliche Recherchen und eine erfolgreiche Bewerbung später stand Klaudia Máté tatsächlich am Gleis und bestieg einen Zug, auf dessen Anzeige "München" aufleuchtete. "Vorher habe ich viel über München gelesen und dann das Austauschprogramm der TUM gefunden. Das war perfekt für mich." Viel Bürokratie habe die Bewerbung ihr abgefordert, erzählt Klaudia, aber am Ende hat es dann doch geklappt. Dass der Campus für ihr Studienfach nicht selbst in München ist, sondern in Freising, hat sie erst später erfahren. "Das war dann aber überhaupt nicht mehr wichtig für mich. Ich war deshalb nicht enttäuscht." Freising habe sogar einen Vorteil gegenüber der nahen Großstadt München: "Es ist ein bisschen besser hier, etwas kleiner und ruhiger, und die Stadt erinnert mich ein bisschen an meine Geburtsstadt in Ungarn."

Für Laura Casas aus der kolumbianischen Hauptstadt mit ihren fast sieben Millionen Einwohnern ist die beschauliche Domstadt genau das Gegenteil von dem, was sie von zu Hause kennt. "Als ich erfahren habe, dass mein Campus in Freising ist, habe ich es mir zuerst auf Google Maps angeschaut. Als ich dann das erste Mal herkam, bin ich erst einmal spazieren gegangen habe die Stadt gleich gemocht." Vorher hat Laura einen mehrmonatigen Sprachkurs am Göttinger Goethe-Institut absolviert, doch die niedersächsische Universitätsstadt vermisst sie im Vergleich zu Freising nur in einem Punkt: "Das Mensaessen dort war deutlich besser."

Für Soma Csaplár aus dem ungarischen Kecskemét lief es in den ersten zwei Wochen alles andere als rund. Noch immer schläft er auf einer Couch in der Zwei-Zimmer-Wohnung eines deutschen Studenten. "Sehr schwer" sei es, als Gaststudent eine Wohnung zu finden, hat er festgestellt, vor allem wenn man nur wenig Deutsch spricht. Soma steht jetzt auf dem Forum vor der Mensa und dreht sich eine Zigarette. "Ich rauche zu viel", sagt er, die Zigarette schon im Mund, und kramt in der Jackentasche nach einem Feuerzeug. "Wenn ich nicht gut drauf bin, rauche ich immer etwas mehr als sonst."

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