Außenministerium verliert Ansehen:Verschmähte Braut sucht neue Rolle

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Heute noch in China, morgen bei der Nato in New York: Das Jetset-Leben, wie Guido Westerwelle es als Außenminister führte, ist anscheinend nicht mehr attraktiv. Das Finanzministerium ist der neue Renner unter den Ministerien. (Foto: dpa)

Früher war das Amt des Außenministers heiß begehrt, schließlich bestritt er gleichzeitig meist auch das Amt des Vizekanzlers. Damit scheint jetzt Schluss zu sein. In den Sondierungsgesprächen offenbart sich ein neuer Liebling: das Finanzministerium.

Von Daniel Brössler

Wann Guido Westerwelle klar geworden ist, dass sein neues Amt nicht ganz das ist, was es zu sein scheint, ist nicht genau überliefert. Sehr lange kann es nicht gedauert haben, eigentlich nur ein paar Wochen. Ende Oktober 2009, gleich nach der Vereidigung, nahm ihn Angela Merkel noch mit nach Brüssel zum Europäischen Rat. Zum ersten Mal saß der neue Außenminister im Machtzentrum der EU an der Seite der Kanzlerin. Und zum letzten Mal.

Außenminister müssen draußen bleiben

Am 1. Dezember 2009 trat der Vertrag von Lissabon in Kraft. "Der Europäische Rat", ist dort in Artikel 15 unmissverständlich geregelt, "setzt sich zusammen aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten sowie dem Präsidenten des Europäischen Rates und dem Präsidenten der Kommission". Vorgesehen ist noch die Teilnahme des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik. Von Außenministern der Mitgliedstaaten ist nicht die Rede.

An diesen Vertrag muss nun aus gegebenem Anlass erinnert werden und auch daran, dass er lange vor Westerwelles Amtszeit ausgehandelt und verabschiedet worden ist. Was diesen Anlass betrifft, so beschreiben ihn auch hartgesottene Diplomaten mit gefühlvollen Bildern. Man fühle sich nun ein wenig, sagt einer, wie eine "verschmähte Braut".

Im "Amt", wie die Diplomaten ihr Ministerium nennen, und den rund 230 Vertretungen von Addis Abeba bis Wellington wird mit einer gewissen Bitterkeit registriert, dass sich die Verhandlungen über eine neue Bundesregierung um alles Mögliche drehen, aber nicht um das Auswärtige Amt (AA). Die SPD, der wahrscheinlichste Juniorpartner der Union, zeigt kein gesteigertes Interesse am Außenministerium. Gefragt ist jenes Haus, das tatsächlich Macht verspricht: das Finanzministerium.

Außenminister gleich Vizekanzler? Das war einmal!

So verliert ein ungeschriebenes Gesetz deutscher Koalitionsgeschichte seine Gültigkeit: jenes, dass der kleinere Koalitionspartner - schon aus Prestigegründen - den Posten des Außenministers für sich beansprucht, normalerweise in Personalunion mit dem Vizekanzler.

Die Regel galt seit 1966, als der SPD-Vorsitzende Willy Brandt in der ersten Großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger Außenminister und stellvertretender Bundeskanzler wurde. 1969 begann eine fast 30-jährige Ära, in der die FDP-Politiker Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel zunächst in der sozial-liberalen und dann in der christlich-liberalen Koalition Außenministeramt und Vizekanzlerschaft vereinten. Der Grüne Joschka Fischer führte die Tradition ab 1998 fort und erst der Sozialdemokrat Frank-Walter Steinmeier und sein FDP-Nachfolger Westerwelle mussten längere Zeit auch ohne den Stellvertretertitel auskommen.

Das zumindest koalitionsarithmetisch gesunkene Gewicht des Auswärtigen Amtes ist durch eine Voreiligkeit des Fraktionschefs der Grünen, Jürgen Trittin, schon im August 2011 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Trittin ließ damals seinen Anspruch auf das Finanzministerium durchsickern, obwohl er noch vor der Bundestagswahl 2009 - ähnlich wie Westerwelle - eine Art Bewerbungsrede vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik gehalten hatte. Das AA musste sich deshalb in Zeitungen als "Auswärtiges Ämtchen" verspotten lassen.

Westerwelle oder "Der Niedergang des Außenministers"

Die vor allem in der Anfangszeit augenfälligen Schwierigkeiten Westerwelles, Außenpolitik mit Leben zu erfüllen, die Euro-Krise, in der fast alle Fäden ins Kanzleramt und zu Wolfgang Schäuble ins Finanzministerium führten, sowie die Kontroversen um die deutsche Libyen-Enthaltung im UN-Sicherheitsrat ließen das Amt einfach nicht gut aussehen. Gekränkt bekundeten die stolzen deutschen Diplomaten während der Botschafterkonferenz im August 2011 dem Außenminister Sympathie, allerdings nicht dem eigenen. Der französische Gast Alain Juppé erhielt auffallend herzlichen Applaus.

Befreit vom Amt des FDP-Chefs und durchaus auch gedrängt von führenden Diplomaten machte sich Westerwelle von 2012 an mit gemischtem Erfolg an die Rückeroberung der Europapolitik. Gleichgesinnte Kollegen aus anderen EU-Ländern lud er zum Brainstorming, Europa machte er neben den Veränderungen in der arabischen Welt zu seinem zentralem Thema. An der Verschiebung der Gewichte in der Europapolitik konnte das freilich nicht mehr viel ändern.

Außenpolitische Strategen halten es ohnehin für Zeitverschwendung, der alten Rolle nachzutrauern. "Die Globalisierung hat ihre Spuren in der Diplomatie und in den Außenministerien hinterlassen", heißt es in einem Papier des niederländischen Clingendael-Institutes für internationale Beziehungen. Die Trennung zwischen Innen- und Außenpolitik sei praktisch verschwunden und damit auch das außenpolitische "Beinahe-Monopol" der Außenministerien. "

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Mehr als sieben Stunden haben die Unterhändler von Union und SPD zusammengesessen. Wurden beim ersten Treffen vor allem Gemeinsamkeiten betont, ging es diesmal konkreter zur Sache. Und am Ende steht die Vereinbarung, dass es noch ein drittes Gespräch geben könnte.

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Jedes Bundesministerium hat Referate oder ganze Abteilungen für internationale Beziehungen", beschrieb Thomas Bagger, Chef des Planungsstabes im AA, Anfang des Jahres in einem Aufsatz in der Zeitschrift Internationale Politik die Lage in der Bundesregierung. Ob Europa, Klimaschutz oder Datensicherheit - immer gibt es andere, die für Deutschland Weltpolitik machen wollen.

Seine Kollegen sollten die wachsenden internationalen Aktivitäten der anderen Ressorts nicht als Bedeutungsverlust des AA beklagen, mahnte Bagger, sondern "schlicht als Teil der Globalisierungswirklichkeit" annehmen. Immer deutlicher werde, dass "die Summe internationalisierter Fachpolitiken noch keine Außenpolitik ergibt".

Neue Strukturen für das Auswärtige Amt

Das Auswärtige Amt müsse sich in einem neuen Handwerk üben und die Plattform werden, in der Sachverstand aus anderen Häusern zu einer schlüssigen Außenpolitik gebündelt werde. Schon jetzt macht das AA diesen Anspruch deutlich, wenn es etwa nächste Woche zu einem Weltgesundheitsgipfel lädt, an dem auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso teilnimmt.

"Ich glaube nicht, dass die Außenpolitik um ihre Daseinsberechtigung bangen muss", meint Rolf Mützenich, Außenpolitiker der SPD im Bundestag. Schließlich sei auch die "Erwartungshaltung an Deutschland in der Welt gewachsen". Das hat auch Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede zum 3. Oktober zum Thema gemacht. "Entspricht unser Engagement der Bedeutung unseres Landes?", fragte er.

Schon länger wird im Auswärtigen Amt überlegt, Abteilungen und Kompetenzen neu zuzuschneiden, um der Herausforderung gerecht zu werden. Getan habe sich aber wenig, klagen führende Beamte. Minister Westerwelle habe sich "nicht so für Strukturen interessiert". Wenn nun nach 47 Jahren das erste Mal die Union und zugleich die Kanzlerpartei den Außenminister stellen sollte (sei es in Ursula von der Leyen oder Wolfgang Schäuble), so wird darin durchaus auch eine Chance gesehen. Ein Minister mit Einfluss bei der Kanzlerin müsse ja nicht das Schlechteste sein.

© SZ vom 15.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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