Ratingagenturen zum US-Haushaltsstreit:Chinesen drohen USA mit Herabstufung

Die großen Ratingagenturen beurteilten die USA bis zuletzt besser als Europas Krisenstaaten. Zu unwahrscheinlich schien die staatliche Insolvenz. Argwöhnischer beobachtet dagegen die Ratingagentur Dagong aus dem Gläubigerland China die Lage und warnt die USA vor einer Herabstufung - selbst wenn der Kongress das Ruder im letzten Moment herumreißen sollte.

Von Simone Boehringer und Marcel Grzanna

Wenn in Europa eine Regierung mit ihren Sparplänen in Verzug gerät, melden sie sich zuverlässig mit schlechten Noten zu Wort. Droht aber dem größten Schuldner der Welt wegen der Haushaltsstreitigkeiten die Insolvenz, gibt es erst einmal Rechtfertigungen und Video-Statements, warum zunächst alles so bleibt wie es ist - bei den Bestnoten AAA oder AA+.

Die Rede ist von den Ratingagenturen, vornehmlich den drei großen westlichen Agenturen Standard &Poor's (S&P), Moody's und Fitch. Da geht es um die grundsätzlich rückläufigen Defizitquoten des Staates, die Aussicht auf eine Konjunkturerholung, den stabilen Dollar - "die extensive Flexibilität der Geldpolitik", wie es in einer Erklärung von S&P heißt.

Will heißen: Die Amerikaner finanzieren sich zur Not selbst, eine Zahlungsunfähigkeit sei daher so gut wie unmöglich. Tatsächlich schuldet die Regierung sich einen Teil der Verbindlichkeiten von 16 Billionen Dollar faktisch selbst beziehungsweise ihrer Notenbank. So hat die Federal Reserve Anleihen im Wert von rund 2,1 Billionen Dollar aufgekauft im Zuge ihrer Bemühungen, die Wirtschaft nach der Rezession anzukurbeln.

Und an den Märkten ist es ein offenes Geheimnis, dass die Fed dem Staat auch von neu herausgegebenen Schuldtiteln einen mehr oder weniger großen Teil gleich wieder abnimmt, wenn es nicht genügend Investoren am Markt dafür gibt und die heimischen Geschäftsbanken daher zu viele dieser US-Bonds aufnehmen mussten.

Entsprechend ist die Bilanzsumme der Fed inzwischen auf etwa drei Billionen Dollar angeschwollen. "Anders als bei den klammen Euro-Ländern in Europa geht es also bei den Vereinigten Staaten nicht um die Zahlungsfähigkeit des Landes, sondern um den Zahlungswillen der Regierung. Deshalb wird der Fall anders behandelt", erklärt ein Experte einer großen Agentur hinter vorgehaltener Hand. Offiziell darf er sich nicht äußern. Zu heikel sind den Verantwortlichen mündliche Statements in der Sache kurz vor der Deadline.

Chinesen melden sich zu Wort

Bis zu diesem Donnerstag, 17. Oktober, müssen Demokraten und Republikaner die gesetzliche Schuldenobergrenze anheben. Sonst kann der Staat binnen weniger Tage seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Oder besser gesagt: Er darf es laut Verfassung nicht, denn Gläubiger würde er sicher auch neben der Fed noch einige finden: Ganz vorne dran Japaner und Chinesen, die seit Jahrzehnten zu den größten Gläubigern der USA gehören. Diese Länder können sich einen Zahlungsausfall der Amerikaner gar nicht leisten, weil sie damit ihre eigenen Bestände an US-Anleihen gefährden würden.

Umso bemerkenswerter, dass sich am Dienstag noch die chinesische Ratingagentur Dagong zu Wort meldet. Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung sagt ein Sprecher von Dagong: "Wir beobachten die Schuldensituation in den USA sehr genau. In zwei Tagen wird es ein neues Rating von uns geben." Gilt das auch, wenn die US-Schuldengrenze, wie schon 2011 und viele Male davor, im letzten Augenblick angehoben werde? Ja, auch dann sei eine Herabstufung wahrscheinlich. Mit einem "A" haben die USA wegen ihres andauernden "Zahlungsunwillens" und der "Monetarisierung von Schulden" durch die Fed bei den Chinesen ohnehin ein schlechteres Rating als bei den westlichen Agenturen.

Dagong bemüht sich schon länger, die Vorurteile in der internationalen Investorengemeinde ob ihrer vermeintlichen Abhängigkeit von der Staatsführung in Peking abzubauen. Seit Sommer hat die Agentur auch eine Lizenz, um in Europa Rating Services anzubieten. Dagong-Präsident Guan Jianzhong betonte mehrfach, dass die seit 1994 existente Agentur ein privates Unternehmen sei und unabhängig von der chinesischen Regierung agiere. Er selbst jedoch war schon als Berater der politischen Führung in Peking aktiv.

An den Börsen interessiert das chinesische Urteil über die Bonität Amerikas bislang freilich kaum. Sie orientieren sich an den Aussagen der beiden US-Agenturen S&P und Moody's. Bei den Europäern wird allenfalls noch Fitch als Agentur mit seinen kontinentaleuropäischen Wurzeln wahrgenommen.

Den USA droht schlechte Gesellschaft

Anders als die beiden Großen differenzieren die Analysten von Fitch in ihrem Statement zum möglichen Zahlungsausfall explizit zwischen der Note für die Vereinigten Staaten, die sie wie die anderen auch auf "partiellen Zahlungsausfall", restricted default (RD), setzen müssten, und der Note für einzelne Anleihen. Solange die baldige vollständige Zahlung der Verbindlichkeiten erwartet werde, könne man es auch bei einer Herabstufung ausstehender Anleihen auf die Note "B+" belassen, das ist sechs Stufen besser als "RD" und entspricht der Einstufung von Schuldnern wie Kenia, Venezuela oder Vietnam.

Keine gute Gesellschaft für die führende Industrienation der Welt, die aber eine wichtige Hintertür für Investoren wie Versicherungen und Pensionskassen lässt. Denn bei default müssten viele Anlagegesellschaften ihre Papiere sofort abstoßen, es kann zu einer Kettenreaktion kommen, was die Kurse der US-Bonds in den Keller und die Zinsbelastung der USA nach oben katapultieren würde.

Am Dienstag hielten die Börsen wenig von den Pleiteszenarien. Die Anleihezinsen für US-Titel stiegen kaum und die US-Aktienmärkte gaben bis gegen Börsenschluss nur leicht nach. In Europa haussierten Aktien. Der Dax schloss auf Rekordniveau. Die gute Nachricht für Euro-Krisenländer: Alles konzentriert sich auf Amerika. Sie können in Ruhe weiter arbeiten.

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