Schuldenlimit-Countdown in den USA:Politische Spielchen bei tickender Uhr

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Der Shutdown geht weiter, die Schuldengrenze droht: Bundesangestellte protestieren vor dem Kapitol in Washington. (Foto: REUTERS)

Den USA droht die Zahlungsunfähigkeit, doch in Washington wird weiter taktiert: Den Politikern beider Parteien bleiben nur noch wenige Stunden, um einen Kompromiss im Haushalts- und Schuldenstreit auf die Beine zu stellen. Wie die Lage ist, was die Blockierer antreibt und wie eine Lösung aussehen könnte: Fragen und Antworten.

Von Johannes Kuhn

Wenn es in Washington Mitternacht schlägt, droht das Schreckensszenario Wirklichkeit zu werden. Am Donnerstag (deutsche Zeit: sechs Uhr morgens) erreicht das Land die Schuldengrenze. Obwohl das Datum bereits lange bekannt ist und das politische Washington seit Wochen um eine Lösung ringt, ist die Lage verfahren. Was es mit Schuldenbremse und Haushaltsstreit auf sich hat und wer sich wie positioniert: Die wichtigsten Fragen und Antworten - auch für Einsteiger.

Ich habe mich bislang nicht mit dem Haushaltsstreit in den USA beschäftigt - was muss ich wissen?

In den USA kommt gerade vieles zusammen: Am Donnerstag erreicht das Land die Schuldenobergrenze von 16,7 Billionen Dollar, der Staat darf sich dann laut Gesetz kein Geld mehr leihen, ihm droht die Zahlungsunfähigkeit. Um das zu verhindern, muss der US-Kongress bis Mitternacht einer Erhöhung des Schuldenlimits zugestimmt haben.

Hinzu kommt eine weitere Krise, deren Lösung eng mit der des Schuldenproblems verknüpft ist: Die Abgeordneten haben noch keinen neuen Haushalt verabschiedet, weshalb viele Angestellte der Bundesverwaltung derzeit kein Geld erhalten und zuhause bleiben müssen ( "Shutdown"). Senat, Repräsentantenhaus und die Obama-Regierung verhandeln derzeit darüber, beide Probleme bis Donnerstag zu lösen - bislang ohne Erfolg.

Ist Amerika damit am Donnerstag pleite?

Nein, der Staat hat eigenen Schätzungen zufolge noch etwa 30 Milliarden Dollar auf dem Konto, hinzu kommen die täglichen Steuereinnahmen. Zudem kann das Finanzministerium einige Verpflichtungen - zu dann vermutlich höheren Zinsen - umschulden und so deren Rückzahlung hinauszögern. Am 30./31. Oktober kommen allerdings Milliardenzahlungen für Sozial- und Gesundheitsprogramme, Rüstungsrechnungen und Zinsen auf den Staat zu. Spätestens dann kann Washington die Forderungen wahrscheinlich endgültig nicht mehr begleichen.

In diesem Fall müssten die Ratingagenturen die Bonität der Vereinigten Staaten massiv herabstufen. Die Folgen wären verheerend: Aus der zentralen Wirtschaftsmacht würde ein unsicherer Schuldner. Als Kettenreaktion könnten dann Investoren die Staatsanleihen abstoßen und damit das Finanzsystem weltweit ins Wanken bringen.

Wenn so viel auf dem Spiel steht: Warum einigen sich die Politiker nicht?

Das Klima ist vergiftet, es geht ums Prinzip. Der Problembär im Kapitol, da sind sich die meisten Beobachter einig, ist der rechte Tea-Party-Flügel der Republikaner im Repräsentantenhaus. Die etwa 40 bis 50 Abgeordneten haben bereits den Haushalt blockiert, weil sie verhindern wollten, dass Teile der schon verabschiedeten und höchstrichterlich vom Supreme Court gebilligten Gesundheitsreform zum 1. Oktober in Kraft treten. Die Gesetze von US-Präsident Barack Obama gelten rechten Politikern als Symbol für fehlgeleitete liberale Politik und Staatsgläubigkeit.

Obama blieb allerdings hart und erhöhte sogar den Druck: Er will die Schuldengrenze nicht unabhängig von der Haushaltsblockade verhandeln. Also ist ein großer Deal nötig, dem sowohl der Senat mit seiner demokratischen als auch das Repräsentantenhaus mit seiner republikanischen Mehrheit zustimmt.

Was ist der aktuelle Stand?

Es wird eng. Ein Kompromiss, den die Senatsführer der beiden Parteien, Mitch McConnell und Harry Reid, am Montag ausgehandelt hatten, kam am Dienstag nicht zur Abstimmung. John Boehner, der die Republikaner im Repräsentantenhaus anführt, hatte zunächst vor, einen eigenen Entwurf einzubringen und mit der eigenen Mehrheit in dieser Kammer zu verabschieden.

Während die Vorlage des Senats kleinere kosmetische Korrekturen an der Gesundheitsreform vorsah, wollte Boehner offenbar seine Republikaner-Fraktion mit weiteren symbolischen Abschwächungen der Gesundheitsreform zur Zustimmung bewegen. Konkret sah sein Entwurf vor:

  • Die Einführung der in beiden Lagern umstrittenen Steuer auf Medizingeräte sollte um zwei Jahre verschoben werden.
  • Zuschüsse für Gesundheitskosten sollten an einen Einkommensnachweis gekoppelt werden.
  • Gesundheitszuschüsse für Kongressabgeordnete, deren Mitarbeiter sowie Obama und seine Minister sollten gestrichen werden.

Dem erzkonservativen Flügel genügte das jedoch nicht, weshalb Boehner den Entwurf wieder in der Schublade verschwinden ließ und am Ende gar nichts passierte. Nun ist es am Senat, einen neuen Vorschlag zu machen.

Gibt es noch Lösungsmöglichkeiten?

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Die Uhr tickt: Nur noch zwei Tage bleiben Amerika, um eine Weltfinanzkrise abzuwenden. Im Zentrum stehen ein halbes Dutzend Politiker und deren Egos. Welches Ziel hat Präsident Obama, welche Rechnungen will der Demokrat Harry Reid begleichen und wie weit können die Republikaner Boehner und McConnell gehen?

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Ja. Die Nacht über arbeiten die Senatsführer Reid und McConnell an einem Entwurf, der am Vormittag (Ortszeit) vorgestellt werden soll. Einig sind sich Senat und Repräsentantenhaus darin, die Schuldengrenze so weit zu erhöhen, dass die Regierung bis Februar wieder Luft hat. Bei der Beendigung des Shutdowns und der vorläufigen Finanzierung der Bundesverwaltung liegt man einen Monat auseinander (Senat: 15. Januar, Republikaner im Repräsentantenhaus: 15. Dezember). Als sicher gilt, dass die Staatsangestellten die seit 1. Oktober nicht gezahlten Gehälter nachträglich überwiesen bekommen sollen.

Strittig sind die Mini-Korrekturen bei der Gesundheitsreform, auf die nicht zuletzt das Weiße Haus allergisch reagiert: Hier sind womöglich der Einkommensnachweis für Zuschüsse oder die Abschaffung der Gerätesteuer Punkte, die in einem neuen Entwurf stehen könnten.

Auf wen kommt es am Ende an?

Vor allem auf die Republikaner im Repräsentantenhaus. Dort wird am Mittwoch vor allem Mehrheitsführer Boehner Farbe bekennen müssen: Bislang scheute er die Konfrontation mit dem rechten Flügel. Weil die Zeit davonläuft, könnte er nun dazu gezwungen sein. Eigentlich will Boehner aus Prinzip nur Entwürfe zur Abstimmung bringen, hinter denen die komplette Fraktion steht.

Was aber, wenn der Tea-Party-Flügel auch den neuen Einigungsversuch ablehnt? Nach Boehners Prinzip würde es dann kein Votum geben. Weil die moderaten Republikaner einer Einigung gegenüber aufgeschlossen sind, könnte er den Entwurf jedoch trotzdem zur Abstimmung freigeben. Dann würde er wahrscheinlich mit Hilfe der demokratischen Minderheitsfraktion angenommen.

Allerdings würde das die Erzkonservativen extrem verärgern - sie könnten Boehner künftig das Leben noch schwerer machen, beispielsweise, indem sie in seinem Wahlkreis einen Gegenkandidaten aufstellen.

Gibt es überhaupt einen Gewinner bei dem ganzen Fiasko?

Nein. Die Amerikaner machen zwar hauptsächlich die Republikaner für die verfahrene Situation verantwortlich, doch das Chaos zeigt, dass im politischen Washington derzeit kaum zu regieren ist. Bei wichtigen Themen wie dem Haushalt fanden die Lager in den vergangenen Jahrzehnten aus Staatsräson fast immer einen Kompromiss, nun ist alles Teil des politischen Spiels.

Diese Gewissheit hat nun auch Obama, dem viele Kritiker vorwerfen, einen allzu harten Kurs gefahren und wie so häufig wenig Einfühlungsvermögen in die Befindlichkeiten des Kongresses gezeigt zu haben. Der US-Präsident muss nun mit den Folgen des Theaters leben, zu denen ein geringeres Wirtschaftswachstum sowie ein beschädigter Ruf Amerikas und seiner Institutionen gehören - auch bei Investoren. Das Vertrauen, dass die USA ihren Verpflichtungen immer nachkommen werden, ist auch ohne Zahlungsunfähigkeit angekratzt. Für ein Land, das als Rückgrat der Weltwirtschaft und Ankerpunkt des Finanzsystems gilt, vermitteln die USA derzeit keinen guten Eindruck.

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