Staatsstillstand in den USA:Zyklen der Selbstzerfleischung

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Auf einer Demonstration von Tea-Party-Aktivisten vor dem Kapitol: Verunglimpfung des Präsidenten (Foto: AFP)

Alle ein bis zwei Generationen häutet sich Amerika, durchlebt das Land einen schmerzhaften inneren Konflikt. Gerade geht es um die Freiheit von der Bevormundung des Staates. Doch die Republikanische Partei zerschellt wieder einmal an ihrem selbstgezimmerten Feindbild.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Der Autor George Packer hat gerade ein Buch auf den Markt gebracht, in dem er in vielen schönen Geschichten "die Auflösung" Amerikas beschreibt. Vielleicht hätte er besser das Wort Häutung benutzt, denn - so schreibt Packer selbst - dieses Phänomen wiederholt sich alle ein, zwei Generationen.

Seitdem die europäischen Religionsflüchtlinge ihren Fuß in das gelobte Land gesetzt haben, durchlebt die amerikanische Gesellschaft immer und immer wieder diese schmerzhaften inneren Konflikte. Der Bürgerkrieg, die Industrialisierung, der große Crash - später, in anderem Karo: McCarthy, 1968 das Thema Segregation (das nur Teil einer viel größeren Auseinandersetzung um Liberalismus war), Clintons Impeachment, Al Gores Auszählungskrieg mit George W. Bush, die Radikalisierung der Neokonservativen und schließlich die geradezu theokratische Anmaßung der Tea Party, das Land vor dem vermeintlich liberalen Barack Obama bewahren zu müssen.

Alexis de Tocqueville, der im Auftrag der französischen Regierung die Vereinigten Staaten studierte, warnte die Amerikaner schon 1835 vor ihren irrationalen Kreuzzügen. Er hätte, ehrlicherweise, auch den Brüdern und Schwestern in Europa ihre Verblendung vorhalten müssen.

Politische Klasse bekämpft sich mit Hass

Unbestreitbar ist, dass sich die Zyklen dieser Selbstzerfleischung in den USA zuletzt stark verkürzt haben. Immer häufiger, immer heftiger prallen die Lager aufeinander. Auch jetzt, mit dem Regierungsstillstand, durchlebte das Land einen dieser Anfälle kollektiver Verrücktheit - allerdings ohne dass Tocquevilles Prophezeiung wahr werden wird, wonach alle untergehenden Zivilisationen von innen heraus verrottet sind. Das politische System der USA mag ein Stück weit verrottet sein, aber das ist eher Symptom einer neuen Häutung als Vorzeichen des Untergangs.

In der politischen Literatur wird der Beginn dieser letzten, großen Häutung gerne an der Jahresmarke 1968 festgemacht. Wer genau hinschaut, findet die ersten Spuren des neuen Konservativismus bereits ein paar Jahre früher. Sicher ist eines: Politik in den USA war während dieser fast 50 Jahre immer weniger "die Suche nach einer Lösung", wie es der große Historiker Arthur Schlesinger in bestechender Schlichtheit definierte. Vielmehr verliert sich Amerikas politische Klasse seit zwei Generationen in einem immer radikaleren Furor, bekämpft sich mit frischer Brutalität, ja geradezu Hass.

Vier Sujets sind es, mit denen sich die Gesellschaft immer wieder aufladen lässt: Leben und Tod (etwa bei Abtreibung oder Sterbehilfe), Religion, Rasse - und schließlich die individuellen Freiheitsrechte. Bezeichnenderweise ist es nun vor allem das Thema Freiheit - im aktuellen Fall die Freiheit von der Bevormundung des Staates in Sachen Gesundheitsvorsorge -, das diese Gesellschaft aus der Balance wirft und die Politik talibanisiert.

Wer auf der Suche nach dem neuen Amerika, auf der Suche nach der nächsten Haut ist, kommt um zwei Beobachtung nicht herum: Der soziale Ausgleich in der Gesellschaft, das Aufstiegsversprechen für alle, funktioniert in dieser extrem multikulturellen Gesellschaft nicht mehr; Lehman Brothers steht als Symbol dafür. Und der schützende Staat, der nach dem Jahrhundert-Schock von 9/11 seinen Bürgern Sicherheit versprach, wird zur drückenden Last. Obama wurde gewählt, weil er zweierlei versprach: das Ende des mentalen Kriegszustandes und Chancengleichheit für (fast) alle.

Was wie ein klassisches amerikanisches Freiheitsversprechen klingt, ist den Radikalen aber zu ideologisch. Sie bedienen sich eines alten Tricks, um den Gegner zu diskreditieren. Sie bauen eine Scheinalternative auf: Freiheit gegen Gesundheitsreform, das amerikanische Glaubensbekenntnis gegen den Ideologen Obama.

Obama bedient die Sehnsucht nach Freiheit

Nur: Die Gleichung geht nicht auf, der Bluff ist zu offensichtlich. Der Präsident ist kein Ideologe, er hat - wie schon Bill Clinton vor ihm - den Republikanern das Leitmotiv gestohlen. Obama ist kein Linker, seine Politik bedient die Sehnsucht nach Freiheit und Aufstieg. Deswegen findet er eine Mehrheit.

Und so zerschellt die Republikanische Partei wieder einmal an ihrem selbstgezimmerten Feindbild, sie zerfällt in ihre alten Lager: die Religiösen, die Wirtschaftsliberalen und die Libertären, die den Staat am liebsten zermalmen wollen. Dieser Urkampf zwischen den Traditionalisten und den Libertären ist so alt wie die moderne Republikanische Partei selbst. Nun wird sie sich - wieder einmal - entscheiden müssen, wie sie mit diesen selbstzerstörerischen Kräften umgeht. Oder, wie einer in Washington so treffend schrieb: "Weiterkämpfen" ist ein Motto - keine Strategie.

© SZ vom 18.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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