Geschäft mit dem Bayern-Ticket:Schlepper am Schalter

Ein Bayern-Ticket.

Ein Ticket, fünf Fahrer: Das Bayern-Ticket der Bahn ist ein ausgesprochen erfolgreiches Produkt.

(Foto: dpa)

Sie kaufen einen Fahrschein und nehmen so viele Mitfahrer mit wie möglich: Schlepper machen ordentlich Kasse mit dem Bayern-Ticket. Bis vor Kurzem wollte die Bahn nicht von Missbrauch sprechen, nun jagt sie die mutmaßlichen Betrüger mit Zivilfahndern.

Von Marco Völklein

Probleme mit dem Bayern-Ticket? Nein, gibt es nicht. Probleme mit "Schleppern", die das beliebte Fahrscheinangebot nutzen, um damit Kasse zu machen? Doch nicht in Bayern! Lange Zeit war das die Reaktion der Deutschen Bahn auf ein sich ausbreitendes Phänomen. Sogenannte Schlepper sprechen an Hauptbahnhöfen in München, Nürnberg oder Augsburg Reisende an und bieten ihnen an, sie für ein paar Euro in eine andere bayerische Stadt mitzunehmen. Als Mitfahrer beim Bayern-Ticket. Bis zu fünf Leute können mit einem Ticket fahren. Für die Schlepper offenbar ein lohnendes Geschäft: Zwischen 100 und 120 Euro kann ein Schlepper laut Bahn pro Tag verdienen. Der Konzern aber ignorierte das Problem. "Wir wollten niemanden auf die Idee bringen", sagt Bahn-Manager Reinhard Saß.

Doch seit Mittwoch spricht das Unternehmen nun offen über Schlepper und deren "Geschäftsmodell". Und darüber, dass - je nachdem, wie man rechnet - dem Unternehmen allein in Bayern durch den Missbrauch ein Schaden zwischen 430.000 und 1,38 Millionen Euro entsteht. Und dass der Konzern nun gegen die Schlepper vorgehen will. Mit juristischem Druck. Aber auch mit einer Informationskampagne. Und mit einer tariflichen Neuerung: Vom Jahresende 2013 an werden die Fahrgäste auf dem Ticket die Namen aller Mitreisenden eintragen müssen. Bislang wurde dort nur ein Name vermerkt.

Genau diese Regelung ermöglicht derzeit den Schleppern ihr Geschäft. Sie kaufen sich zum Beispiel in München morgens für 38 Euro ein Bayern-Ticket für bis zu fünf Leute - und suchen sich meist im Umfeld der Fahrscheinautomaten Mitfahrer. Jeder Mitfahrer zahlt acht Euro statt 22 Euro für das Einzelticket. Zu fünft fährt die Gruppe dann im Regionalexpress zum Beispiel nach Regensburg.

Dort sucht sich der Schlepper vier neue Mitfahrer, kassiert jeweils wieder acht Euro pro Person - und reist mit dieser Gruppe weiter nach Nürnberg. Dort beginnt das Spiel erneut: Mitreisende suchen, jeweils acht Euro kassieren - und als Gruppe weiterfahren nach München. Bereits nach der ersten Fahrt hat sich das 38-Euro-Ticket weitgehend amortisiert. "Von da an verdient der Schlepper Geld", sagt Reinhard Saß, Marketing-Manager bei der Deutschen Bahn in Bayern. Geld, das dem Schienenkonzern fehlt.

Deshalb hatten die Bahner im August verdeckte Ermittler losgeschickt, um den Schleppern das Handwerk zu legen. Sicherheitsmitarbeiter in Zivil observierten unter anderem in München, Nürnberg und Regensburg die Schlepper, folgten ihnen und den Mitfahrern in die Züge und beobachteten, wie die Schlepper an ihren jeweiligen Zielbahnhöfen erneut Reisende ansprachen.

Bei der dritten oder vierten Fahrt stießen Kontrolleure der Bahn sowie Beamte der Bundespolizei hinzu - und ließen die Sache auffliegen. Acht Schlepper gingen den Fahndern so an elf Tagen ins Netz; sie müssen nun mit Anzeigen wegen gewerbsmäßigen Betrugs rechnen.

Zudem kassierte die Bahn von den 18 Mitfahrern, die bei den Kontrollen geschnappt wurden, eine "Fahrpreisnacherhebung" in Höhe von jeweils 40 Euro. Viele Mitfahrer seien überrascht gewesen von der Aktion, sagt Bahn-Manager Saß. "Die meisten gingen davon aus, dass das Ganze legal ist."

Ist es aber nicht: Zwar dürfen sich nach wie vor spontan Mitfahrer am Automaten sammeln und eine Gruppe bilden, um günstig von A nach B zu kommen. "Das ist legal, das wollen wir auch", sagt Saß. Werden aber nach der Ankunft in B die Mitglieder der Gruppe ausgetauscht, ist das nicht mehr zulässig. Ebenso ist es nicht erlaubt, dass ein Kunde sein Bayern-Ticket nach der Fahrt an einen anderen weiterverkauft. Auch dann drohen Strafen.

Kein anderes Länderticket kommt so gut an

Der Fahrgastverband Pro Bahn sieht das Vorgehen der Bahn kritisch: Der Konzern müsse zwar einschreiten, wenn es Betrugsversuche gebe, sagte Sprecher Gerd Aschoff. Aber: "Es entsteht der Eindruck, dass die Mittel doch sehr drastisch sind."

Auch Wolfram Liebscher vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) warnte davor, "Missbrauchsfälle zu pauschalisieren". Zumal das Ticket einen positiven Effekt habe - auch für die Bahn: "Einnahmen und Auslastung der Züge werden außerhalb des Berufsverkehrs so stark gesteigert, wie es anderweitig kaum zu erreichen wäre." In der Tat verkauft die Bahn pro Jahr vier Millionen Bayern-Tickets, jedes Zweite davon ist ein Gruppen-Fahrschein. Kein anderes Länderticket kommt so gut an.

Die Bahn allerdings will den Druck auf die Schlepper aufrechterhalten. Saß kündigte an, auch weiterhin Fahnder in Zivil loszuschicken. Zudem werde man Hausverbote gegen Schlepper nicht nur aussprechen, sondern auch per Anzeige wegen Hausfriedensbruch konsequenter durchsetzen. Und nicht zuletzt soll die Verpflichtung zum Eintragen der Namen sämtlicher Mitreisenden auf dem Ticket das Geschäft der Schlepper zurückdrängen.

Die Bahn wendet sich mit Tipps an "ehrliche Fahrer"

Aber: "Wirklich Kriminelle werden einen ausradierbaren Kugelschreiber nehmen und so die Regeln umgehen", räumt Saß ein. "Allein durch Strafverfolgung werden wir das Geschäft der Schlepper nicht trockenlegen."

Deshalb setzt der Konzern zusätzlich darauf, die Kunden besser aufzuklären. Im Internet unter www.bahn.de/ehrlichfahren gibt es Tipps und Hinweise. Außerdem will Saß am 15. November auf allen großen Bahnhöfen in Bayern Mitarbeiter an den Automaten postieren, die die Reisenden gezielt ansprechen - und so den Schleppern die Kunden quasi vor der Nase wegschnappen sollen. Geplant sind außerdem Hinweise per Durchsage in den Regionalzügen sowie Handzettel und Ratschläge auf der Facebook-Seite der Bahn.

Wer sich künftig dennoch mit Fremden am Automaten zusammentun will, um gemeinsam billiger zu reisen, sollte das Ticket am besten gemeinsam kaufen, rät Saß. Und skeptisch bleiben, wenn man von Leuten angesprochen wird, die behaupten, sie hätten ein Gruppen-Ticket gerade eben erst erstanden: "Auf jedem Ticket steht unten rechts das Datum und die Uhrzeit des Kaufvorgangs", warnt Saß. Stehe dort zum Beispiel morgens 8 Uhr, und man werde am frühen Nachmittag gefragt, ob man mitfahren möchte - "dann sollte man zumindest vorsichtig sein".

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