Netzpolitik von Union und SPD:Stunde der Nerds

CeBIT 2013

Auf der CeBIT 2013 in Hannover hält Bundeskanzlerin Angela Merkel ein abhörsicheres Smartphone der Firma Blackberry in den Händen

(Foto: picture alliance / dpa)

Wurde Merkels Telefon vom US-Geheimdienst abgehört? Allein der Verdacht zeigt, wie wichtig die bislang vernachlässigte Netzpolitik ist. In den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD gibt es dazu lediglich eine "Unterarbeitsgruppe". Die steht jetzt plötzlich mitten im Rampenlicht.

Von Michael König, Berlin

Sie hätten sich kein besseres Datum aussuchen können. An diesem Donnerstag treffen sich Netzpolitiker von SPD und Union zum ersten Mal und loten aus, was eine große Koalition auf ihrem Feld erreichen will und kann. 12 Uhr, Jakob-Kaiser-Haus. Üblicherweise wäre das ein Termin für Polit-Feinschmecker, für Nerds.

Im Wahlkampf spielte die Netzpolitik kaum eine Rolle, den Enthüllungen des NSA-Aussteigers Edward Snowden zum Trotz. Auf der Liste der Arbeitsgruppen, die den Weg zum schwarz-roten Koalitionsvertrag ebnen sollen, steht die "Digitale Agenda" ganz unten, als "Unterarbeitsgruppe" des Themas "Kultur". Geleitet wird sie von der CSU-Politikerin Dorothee Bär und der ehemaligen SPD-Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Noch am Mittwoch äußerte Thomas Jarzombek, Arbeitsgruppenmitglied der CDU, bei einer Podiumsdiskussion die Sorge, die Luft könne raus sein beim Thema Netzpolitik: "Wir Netzpolitiker in der Union müssen kämpfen."

So kann man sich täuschen. Seit Mittwochabend, 19.30 Uhr, steht das Thema ganz oben auf der Agenda. Da meldete der Spiegel, Kanzlerin Angela Merkel habe sich bei US-Präsident Barack Obama beschwert. Wegen des Verdachts, ihr privates Mobiltelefon sei vom US-Geheimdienst NSA abgehört worden.

Das abstrakte Thema Netzpolitik hat damit plötzlich ein Gesicht. Und nicht irgendeines. Kanzlerin Merkel selbst wird zum Opfer der NSA-Affäre, die im Juni mit den Snowden-Enthüllungen begann und deren Hintergründe noch immer nicht aufgeklärt sind, auch wenn Politiker von CDU und CSU beharrlich etwas anderes behaupteten.

"Das Thema wurde verharmlost, das rächt sich jetzt", sagt der Netzpolitiker Lars Klingbeil, der für die SPD in der Unterarbeitsgruppe sitzt, zu SZ.de. "Dadurch, dass es jetzt die Bundeskanzlerin trifft, gewinnt es rasant an Bedeutung." Der Bundestag müsse sich dringend um Aufklärung bemühen: "Bislang habe ich das Gefühl, der amerikanische Kongress untersucht intensiver, als wir das tun."

Neben der Aufklärung geht es um wichtige netzpolitische Weichenstellungen für die gerade begonnene Legislaturperiode, die bei SPD und Union zum Teil intern umstritten sind. Eine Auswahl:

  • Vorratsdatenspeicherung: Eine EU-Richtlinie sieht vor, dass Deutschland Providern wie der Telekom vorschreibt, was sie wie lange zu speichern haben. Also etwa: Wer mit wem wie lange telefoniert. Oder wann ein Computer mit welcher IP-Adresse im Internet eingeloggt war. Union und SPD hatten 2007 als große Koalition ein entsprechendes Gesetz verabschiedet, das im Jahr darauf vom Bundesverfassungsgericht einkassiert wurde. Seitdem herrscht Stillstand. In der Union hat die Vorratsdatenspeicherung (VDS) noch immer viele Fans, auch wenn die lieber von "Mindestdatenspeicherfrist" sprechen. Auch ein SPD-Parteitag hat sich generell für die VDS ausgesprochen. Netzpolitiker beider Parteien lehnen sie jedoch ab. "Das wird ein harter Diskussionspunkt", sagt deshalb der SPD-Mann Lars Klingbeil.
  • Medienkompetenz: Vielleicht der wichtigste Punkt, um deutsche Internetnutzer gegen Abhörmaßnahmen zu wappnen. Der NSA-Skandal hat die Unwissenheit vieler Deutscher offenbart, wenn es um Verschlüsselung von E-Mails oder sichere Verbindungen geht. An Schulen werden solche Kompetenzen bislang kaum vermittelt. Lehrer seien zu wenig informiert, die Ausstattung vieler Bildungseinrichtungen mangelhaft, klagen Bildungsforscher und Lehrerverbände. Das Bundesbildungsministerium beteiligt sich an einer internationalen Studie zur Internetkompetenz von Lehrern und Schülern. Ergebnisse des "Computer-Pisa" genannten Tests sollen 2014 vorliegen, schon 2012 warnte das durchführende Dortmunder Institut für Schulentwicklungsforschung vor einem "Schock" für Deutschland. Immerhin: Union und SPD sind sich einig, hier zu investieren. Einen "radikalen Aufbruch" fordert etwa Klingbeil. In der Union gibt es diesen Wunsch allerdings mindestens seit 2010, geäußert unter anderem vom damaligen Innenminister Thomas de Maizière. Echte Fortschritte gab es bislang dennoch nicht.
  • Breitbandausbau: Angela Merkel hatte 2009 versprochen, dass 75 Prozent der deutschen Haushalte bis 2014 Internetanschlüsse mit einer Geschwindigkeit von 50 Mbit pro Sekunde bekommen. Das Ziel ist nicht mehr einzuhalten, derzeit können deutsche Nutzer durchschnittlich mit sechs Mbit pro Sekunde rechnen. Im internationalen Vergleich liegt die Bundesrepublik damit nur im Mittelfeld. Die CDU hat ihre Forderung von 2009 beinahe wortgleich ins Wahlprogramm von 2013 übernommen. Die SPD plädiert für eine "Universaldienstverpflichtung". Das bedeutet, Provider müssten eine Mindestbandbreite gewährleisten, genau wie die Post überallhin Briefe ausliefern muss.
  • Netzneutralität: Dürfen Internetanbieter Geld dafür kassieren, Daten ausgewählter Content-Anbieter schneller zu den Kunden zu bringen? Haben also zahlende Spotify-Kunden schnelleres Netz als solche, die kostenloses Webradio hören? Bitte nicht, sagten im Juni 77.000 Menschen und unterschrieben eine entsprechende Petition an den Bundestag. Die FDP versprach, die Netzneutralität durchzusetzen, doch es blieb bei dem Versprechen. Die SPD will sie nun gesetzlich verankern, die CDU lediglich "prüfen". Obwohl der "Arbeitskreis Netzpolitik" schon 2011 feststellte: Netzneutralität sei ein wesentliches Element für Innovation im Internet und deshalb zu empfehlen.

Ein Knackpunkt bei allen Punkten war bislang deren mangelnde Unterstützung durch Spitzenpolitiker. Bundeskanzlerin Merkel sah das Internet bekanntlich als "Neuland" und erntete aus den eigenen Reihen kaum Widerspruch. Netzpolitiker wollen nun mindestens einen ständigen Bundestagsausschuss zu digitalen Themen erkämpfen, besser noch einen Internet-Staatssekretär oder gar -Staatsminister.

Dass Merkel nun selbst unmittelbar vom NSA-Skandal betroffen sein könnte, dürfte ihnen in die Karten spielen. Womöglich zieht es die Kanzlerin vor, einen Internet-Experten am Kabinettstisch zu haben - anstelle der NSA in ihrem Telefon.

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