Arbeit der Geheimdienste:Was das Völkerrecht Spionen erlaubt

In der Welt der Geheimdienste scheint nichts heilig, vieles möglich und alles erlaubt zu sein. Alle Staaten spionieren und alle bestrafen fremde Spione. Doch wann verletzt das Sammeln geheimer Informationen das Völkerrecht?

Von Frederik Obermaier und Stefan Ulrich

Amerikanische Dienste, die Abermillionen Datensätze ausländischer Bürger abgreifen, Satelliten, die aus dem All in fremde Staaten spähen und Spione einer befreundeten Macht, die Angela Merkels Handy knacken - in der Welt der Geheimdienste scheint nichts heilig, vieles möglich und alles erlaubt zu sein. Während die Kriegsführung heute detaillierten völkerrechtlichen Regeln unterliegt, handeln viele Geheimdienste, als lebten sie im rechtsfreien Raum.

Tatsächlich gibt sich das Völkerrecht in Sachen Spionage wortkarg. Ausdrückliche Regeln oder Konventionen fehlen. Bilaterale Abkommen, wie zum Beispiel ein "No-Spy-Vertrag" zwischen Deutschland und den USA, sind Zukunftsmusik. Dennoch laufen Spione weltweit Gefahr, zumindest im Gefängnis zu landen. Alle Staaten spionieren und alle bestrafen fremde Spione. Ein Widerspruch?

Spionage ist ein uraltes Geschäft. Schon in der Antike schickten die Machthaber Kundschafter an fremde Fürstenhöfe, um geheime Informationen zu erlangen. In den römischen Legionen dienten Speculatores und Exploratores, die feindliche Truppen ausforschen sollten. Heute sind die Botschaften der klassische Sitz ausländischer Agenten. Im US-Generalkonsulat in Frankfurt sitzen CIA-Männer, in der Botschaft in Berlin auch, dazu Späher der NSA. Auch in deutschen Auslandsvertretungen residiert meist ein BND-Mann. Das gehört zum Geschäft und wird in der Regel akzeptiert - solange die Geheimdienstler nicht über die Stränge schlagen.

Das Recht trägt dieser Praxis Rechnung. "Spionage ist völkerrechtlich nicht verboten. Staaten dürfen sich auch in Friedenszeiten gegenseitig ausspionieren", sagt der Gießener Völkerrechtsprofessor Thilo Marauhn. Dabei komme es nicht darauf an, ob diese Länder - wie im Falle der USA und Deutschlands - miteinander befreundet sind. "Spionage unter Freunden gehört sich nicht. Sie ist ein unfreundlicher Akt. Doch völkerrechtlich ist das irrelevant."

Spionage, also das Sammeln geheimer Informationen, darf aber keineswegs alles. So handelt ein Staat völkerrechtswidrig, wenn er sich beim Spionieren in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischt und dessen Territorialhoheit verletzt. Beispiele dafür sind das Schmuggeln von Waffen, die Unterstützung von Putschisten, Durchsuchungen oder Festnahmen auf fremdem Gebiet oder das Eindringen in einen fremden Luftraum. Bei solchen Verletzungen darf sich der attackierte Staat angemessen wehren. Spionage aus dem Weltraum verletzt die Territorialhoheit dagegen nicht. Daher sind Aufklärungssatelliten so beliebt.

Obama schützt seine Immunität als Staatspräsident

Spionage kann auch dann völkerrechtswidrig sein, wenn dadurch militärische Stützpunkte zweckentfremdet werden. Gemäß einem Zusatzabkommen zum Nato-Truppenstatut dienen Nato-Stützpunkte Verteidigungszwecken. Inwieweit und wann Spionage solchen Zwecken dient, ist nicht ausdiskutiert. Der Völkerrechtler Marauhn gibt zu bedenken, die Amerikaner hätten ein weiter gefasstes Verständnis von Verteidigung.

Wie auch immer ein Spionageakt völkerrechtlich zu bewerten ist - für den Spion kann er bitter enden. Denn das Völkerrecht erlaubt es den Staaten, sich mit ihrem innerstaatlichen Strafrecht gegen Spionage zu wehren. So droht Paragraf 99 des deutschen Strafgesetzbuchs jedem, der "für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausübt", mit Gefängnisstrafen bis zu zehn Jahren.

Falls Barack Obama die Attacke auf Angela Merkels Handy zu verantworten haben sollte, müsste er aber nicht mit Verhaftung bei seinem nächsten Deutschlandbesuch rechnen. Ihn schützt seine Immunität als Staatspräsident. Auch Spionen im Diplomatengewand droht in der Regel keine Haft - wohl aber die Ausweisung.

Beispiele dafür gibt es etliche. So mussten 1995 fünf mutmaßliche CIA-Agenten Frankreich verlassen. 1997 wurde ein US-Diplomat aus Österreich ausgewiesen. Er soll einen nordkoreanischen Diplomaten in Wien abgehört haben. 1997 forderte die Bundesregierung den Abzug eines CIA-Agenten namens Peyton K. Humphries. Offiziell war er an der Bonner US-Botschaft als Diplomat tätig. In Wahrheit versuchte er jedoch, einen Referatsleiter im Wirtschaftsministerium anzuwerben.

Der BND spioniert nach offiziellen Angaben keine befreundeten Staaten aus. Die deutschen Dienste waren nach dem Zweiten Weltkrieg mit Hilfe der Amerikaner aufgebaut worden und dienten als wichtige Helfer im Kalten Krieg. Nach dem Fall der Mauer schlief die Kooperation ein. Von amerikanischer Wirtschaftsspionage war nunmehr die Rede. Dann kamen die Terroranschläge vom 11. September 2001 auf die USA. Sie waren unter anderem in Deutschland geplant worden. Der Verdacht der amerikanischen Wirtschaftsspionage war nun vergessen. Die Zusammenarbeit stand fortan unter dem Zeichen des Kriegs gegen den Terror. Und der rechtfertigt nach Ansicht Washingtons fast alles.

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