Moderatorin Sabine Heinrich:Frau von morgen

1LIVE Talk mit Frau Heinrich; Sabine Heinrich

Frau Heinrich will was. Aber ihr Sender tut sich schwer, angemessen mit seiner Hoffnung umzugehen.

(Foto: WDR/Thomas Kierok)

Sabine Heinrich ist eine großartige Moderatorin. Vor allem, weil sie so gar nicht auf die Showtreppe passt. In Nordrhein-Westfalen kennt man ihre Stimme, mag ihre unerschrockene Art. Beim WDR ist sie eine der großen Hoffnungen. Trotzdem steckt sie ein einem Dilemma.

Von Hans Hoff

Eine Frau steht auf einer Kühlerhaube. Mit einer anderthalb Meter langen Eisenstange. Die rammt sie mit Schmackes in die Windschutzscheibe. "Hallo", sagt die Frau, "heute geht es um die Todsünde Zorn." Es ist die erste Szene aus der WDR-Reihe Gewissensbisse, die vom 6. November an bei Einsfestival läuft.

Zorn ist die erste der Todsünden, die unter die Lupe kommt, und daher muss das Auto dran glauben. Natürlich ist es eine ausgemusterte Schrottkarre. Ein neues Auto zur Zerstörung freizugeben, hätte wohl den Etat der kleinen, siebenteiligen Reihe gesprengt. Die Unentschlossenheit passt, denn das, was die Frau mit der Stange demonstriert, hat mit Zorn ungefähr so viel zu tun wie Bambi mit Rammstein. Man weiß, dass da jemand einem Gefühl nachspürt, man weiß aber auch, dass echter Zorn anders aussieht, als da demonstriert. Es liegt an der Frau. Die ist einfach zu lieb.

Man darf so oft Frau schreiben, weil die Protagonistin in Nordrhein-Westfalen am besten bekannt ist mit dieser Gattungsbezeichnung vor dem Nachnamen. Frau Heinrich heißt sie, wenn sie bei der jungen WDR-Welle 1Live am Mikrofon steht und das Land unterhält, das hier Sektor heißt.

Keinen Scheiß erzählen

Im Sektor ist Frau Heinrich eine große Nummer. Man kennt ihre Stimme, man mag ihre unerschrockene Art, man weiß, dass sie, obwohl vormittags im Radio, keinen Scheiß erzählt. Gemerkt hat man das auch im Sender, in dem Sabine Heinrich zu den großen Hoffnungen zählt. Weil sie erst 36 Jahre alt ist, gilt sie als Vertreterin einer neuen Generation, als personifizierte Verjüngung, als eine, die man noch brauchen könnte, wenn die mehrheitlich jenseits der 60 befindlichen WDR-Stammzuschauer nicht mehr die Kraft haben, einzuschalten.

Allerdings tut sich der Sender schwer, mit seiner Hoffnung angemessen umzugehen. Mal hier eine Talkshow in abgelegenen Digitalkanalgefilden, mal dort eine Preisverleihung und nun eben die Gewissensbisse im Einsfestival-Abseits. Frau Heinrich kann vieles und hat doch ihren richtigen Platz noch nicht gefunden.

Nun ist es nicht so, dass Frau Heinrich bei den ARD-Hierarchen, die ständig mangelnden Nachwuchs beklagen, unter dem Radar liefe. Die sehen, dass sie was kann. Umgehen können sie damit nicht. Das zeigte sich besonders, als die ARD 2010 mit Pro Sieben fragte, wer Unser Star für Oslo (USFO) werden könne und dann Lena als Botschafterin für den Eurovision Song Contest fand. Da moderierte Frau Heinrich an der Seite von Matthias Opdenhövel. Eine Offenbarung war das nicht. Die Kecke im Galadress auf glänzender Riesenbühne im Schatten eines schnoddrigen Wegmoderierers, das konnte nur schiefgehen. Eine Showbiene sieht anders aus.

Dementsprechend ist auch die Kritik nicht sehr freundlich mit Frau Heinrich umgegangen. Eine bemühte Popausgabe von Carolin Reiber wurde sie genannt. Das hat sie natürlich getroffen. Damals. Heute weiß sie, dass nicht alles richtig gelaufen ist damals. Dass sie inzwischen manches besser könnte. Trotzdem mag sie die Erfahrung nicht missen, denn für sie gibt es ein Leben vor USFO und eins danach. "Eine Zehnjährige kann mit einem Porsche nichts anfangen", resümiert sie heute.

Noch lange nicht angekommen

Danach hagelte es Angebote. Viele wollten die Frau mit der sehr auffälligen Zahnlücke haben. Man kann schließlich nicht alles von den bekannten Nasen wegmoderieren lassen. Oft sagte sie ja, wenn jemand fragte, ob sie sich einen neuen Job zutraue. "Kann ich nicht, aber kann ich ja lernen", sagt sie gerne. Das war schon immer ihr Motto, schon als sie im Westfälischen, wo sie geboren wurde, zu einem Lokalblatt marschierte und fragte, ob sie nicht mal was schreiben dürfe. Die Motivation war einigermaßen dürftig. Eigentlich wollte sie es nur ihrem damaligen Freund zeigen, der sie viel zu oft allein ließ, um als Lokalreporter zu arbeiten. Der Freund war irgendwann Geschichte, das mit dem Journalismus ist geblieben. Es zog sie zum Privatradio, von dort ging es dann 2001 zu 1Live.

"Ich möchte unerschrocken bleiben", sagt die ewige Hoffnung, die sich gerade für einen Fernsehjob lang macht. Sie liegt ausgestreckt im Mittelkreis des größten Kölner Fußballstadions, dort, wo samstags der FC seine Rückkehr in die Erste Liga startet. Sie redet in den blauen Himmel hinein. Mittendrin hebt sie den Oberkörper und breitet die Arme aus, als wolle sie die Welt umarmen. Dann deutet sie auf die Ränge des Stadions, dorthin, wo es gleich weitergeht. Dort soll sie Wolfgang Niedecken interviewen. Der wird etwas erzählen über seine Beziehung zum Kölner Reggaestar Gentleman. Ein Einspieler für die Sendung Zimmer frei soll daraus werden.

Frau Heinrich macht viel, aber man wird das Gefühl nicht los, dass sie mehr Suchende als Findende ist, dass sie noch lange nicht angekommen ist. Nur ihren Radiosender, der sie schon ein Dutzend Jahre tun lässt, was sie am besten kann, nimmt sie aus. "1Live hat Priorität. Alles andere wird drum rum gebaut", sagt sie. Manchmal wird sie gefragt, was als nächstes kommt, ob sie das noch lange macht, so als 36-Jährige beim jungen Sender. Sie empfindet solche Fragen als Frechheit, so als bastele da jemand zu ihren Lebzeiten am Nachruf. "Ich bin doch noch da", sagt sie dann, aber echte Empörung sieht anders aus. Frau Heinrich kann nicht böse sein.

"Ich möchte nicht ein Gesicht sein"

Neben dem Radio hat sie studiert, aber ihre fertige Abschlussarbeit in Politikwissenschaften hat sie noch nicht abgegeben. Hat sich nie ergeben. Passt irgendwie. Frau Heinrich ist keine, die sich vordrängt, den Finger hebt, an Hierarchentüren klopft. "Dieses 'Entschuldigung, ich würde gern mal', das kann ich nicht", sagt sie. Nach jeder fertigen Sendung setzt sie all ihre Erwartungen auf null. "Es ist zu Ende, wenn es zu Ende ist. Danach fange ich neu an."

Im Februar erscheint ihr erstes Buch. Ein renommierter Verlag hat gefragt, ob sie Lust hat. "Sehnsucht ist ein Notfall" heißt das Debüt, was nach typischem Frauenbuch klingt und ein bisschen wohl auch sein wird. Im Buch geht es um eine 79-jährige Großmutter, die Knall auf Fall den Großvater verlässt und so der Enkelin, einer Mittdreißigerin zeigt, wie man Entscheidungen fällt. Ein wenig Biografie ist drin. "Aber nur am Anfang", sagt die Autorin.

Die Frage, ob ihre Zahnlücke ihr womöglich im Fernsehgeschäft hinderlich ist, kontert sie mit ungewohnter Schärfe. "Wenn ihr perfekte Mädchen wollt, müsst ihr die anderen Sender einschalten. Ich bin nicht perfekt." Dann gibt es noch einen obendrauf. "Ich möchte nicht ein Gesicht sein. Ich möchte mitreden."

Frau Heinrichs Dilemma

Nach der Todsünden-Forschung steht schon das nächste Projekt an. Eine Talkshow im WDR Fernsehen. Immerhin nicht in der Sparte oder gar im Jugendkanal, wohin demnächst alles Frische abgeschoben werden soll, damit sich der öffentlich-rechtliche Mehltau in den Hauptprogrammen in Ruhe über alles legen kann. Wer aber braucht noch eine Talkshow? Eigentlich niemand. Frau Heinrich will es trotzdem versuchen. Sie will für das neue Projekt die Menschen heimsuchen. Dort, wo sie wohnen, wird geredet. Über was? Über alles. Vielleicht über Milchpreise.

Man kann mit Frau Heinrich sehr gut über Milchpreise reden. Da ist sie plötzlich überwach und erzählt unaufgefordert, was die Milch wo kostet. In Griechenland, in Italien und im Café. Und im Biomarkt und bei Aldi. Hat sie alles drauf. "Es interessiert mich wirklich", sagt sie und schaut so dringend, dass man gar nicht anders kann als ihr das abzunehmen.

"Wir können auch über die Arbeitsmarktreform der Schweden Anfang der 90er reden", schlägt sie vor. Tatsächlich, die will nicht nur spielen, die will was. "Ich könnte auch Europa retten", macht sie sich dann ein wenig über sich selbst lustig. Dann seufzt sie und sagt: "Ich weiß so viel, aber das wird nicht abgefragt." Besser kann man das Dilemma der Frau Heinrich wohl kaum beschreiben.

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