Parlamentswahl:Radikaler Umbruch in Tschechien

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Nicht nur Parteikollegen gratulierten Andrej Babis (links) zu seinem Überraschungserfolg - auch der Direktor eines Prager Zirkusses kam samt Tigerbaby, um den Milliardär zu beglückwünschen.

(Foto: AFP)

Die Sozialdemokraten sind bei der Wahl in Tschechien zwar die stärkste Partei geworden. Mit etwas mehr als 20 Prozent haben sie die Erwartungen aber weit verfehlt. Für eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten wird es nicht reichen. Ist das die Chance für Milliardär Andrej Babis und seine Protestbewegung Ano?

Von Klaus Brill, Prag

Die Parlamentswahl in Tschechien hat einen Erdrutsch ausgelöst, der die politische Landschaft völlig verändert. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis sind die bisher in der Opposition stehenden Sozialdemokraten zwar stärkste Partei geworden. Ihr Ergebnis blieb aber mit 20,4 Prozent weit hinter ihren Erwartungen zurück.

Der erstmals angetretene Milliardär Andrej Babis erzielte hingegen mit seiner neu gegründeten Bewegung Ano auf Anhieb 18,6 Prozent und kam damit auf den zweiten Platz. Völlig offen ist jetzt, welche Art von Koalition sich zur Bildung der nächsten Regierung zusammenfinden könnte.

Der zuvor von manchen Beobachtern erwartete Linksruck ist nach den vorläufigen Resultaten nicht eingetreten. Ein von der Sozialdemokratischen Partei (CSSD) in den vergangenen Wochen propagierter Tolerierungspakt mit den Kommunisten erhielt keine ausreichende Unterstützung. Einem solchen Bündnis war in den Umfragen bis vor kurzem eine Mehrheit von mehr als 100 der 200 Sitze im Parlament vorhergesagt worden.

Doch in jüngster Zeit fand offenbar ein Stimmungswandel statt. Die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSCM), die den Austritt Tschechiens aus der Nato befürwortet, erhielt nur 14,9 Prozent der Stimmen und kam damit auf den dritten Platz. Die Hochrechnung der Sitzverteilung ergab für sie 33 Mandate und für die CSSD 50, zusammen also 83 - und somit zuwenig für die Mehrheitsbildung. Andere Parteien aber wollen mit den Kommunisten nicht zusammenarbeiten.

Kommt es zur bürgerlichen Koalition?

Rein rechnerisch ergibt sich die Möglichkeit einer Koalition zwischen den Sozialdemokraten um Parteichef Bohuslav Sobotka und dem politischen Neuling Babis, dessen Bewegung Ano auf 47 Sitze kommt. Babis lehnte dies in einer ersten Stellungnahme aber ab. Er verwies auf programmatische Unterschiede und sagte, er und seine Mitstreiter wollten nicht in die Regierung.

Führende Sozialdemokraten sprachen sich hingegen dafür aus, in Gespräche über Möglichkeiten einer Kooperation einzutreten. Der Vorsitzende der mit 6,8 Prozent wieder ins Parlament gewählten Christdemokratischen Partei (KDU/CSL), Pavel Belobradek, regte eine Dreier-Koalition zwischen Babis, den Sozialdemokraten und seinen Christdemokraten an, die zusammen über eine Mehrheit von 111 der 200 Sitze verfügen könnte.

Ins Gespräch kam auch eine neue bürgerliche Koalition unter der Führung von Babis. Seine Bewegung Ano brächte gemeinsam mit den Christdemokraten sowie mit der bisher regierenden Demokratischen Bürgerpartei (ODS) und der vom Fürsten Karel Schwarzenberg geführten konservativ-liberalen Partei TOP 09 eine knappe Mehrheit von 103 der 200 Mandate zustande. Schwarzenberg lehnte ein solches Bündnis mit Babis aber ab und sagte, seine Gruppe bereite sich auf eine Rolle in der Opposition vor. TOP 09 erhielt den Hochrechnungen zufolge 12,0 Prozent - deutlich weniger als bei der Wahl 2010, als diese Gruppe erstmals angetreten war und 16,7 Prozent bekommen hatte.

Desaster für bisherige Regierungspartei

Die ODS erlebte bei der Abstimmung das erwartete Desaster und kam nur noch auf 7,7 Prozent der Stimmen, nachdem sie 2010 noch 20,2 Prozent und 2006 noch 35,4 Prozent erhalten hatte. Es war die Quittung für eine Serie von Korruptionsskandalen, die im Juni im Rücktritt des Ministerpräsidenten und ODS-Vorsitzenden Petr Necas gipfelten.

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Stärkste Kraft, aber mit wem bloß koalieren? CSSD-Parteichef Bohuslav Sobotka steht vor Herausforderungen.

(Foto: AFP)

Rechtspopulistische "Morgenröte" ebenfalls im Parlament

Der radikale Umschwung der Verhältnisse beförderte neben Babis noch einen weiteren Neuling ins Parlament, den japanisch-stämmigen Touristik-Unternehmer Tomio Okamura, einen Rechtspopulisten, der mit einer neugegründeten Gruppe namens "Morgenröte" 6,9 Prozent der Stimmen erhielt. Demnach werden im nächsten Abgeordnetenhaus insgesamt nun sieben Parteien vertreten sein.

Die Grünen werden mit 3,1 Prozent ebenso wenig dazugehören wie die Piraten (2,7 Prozent). Überraschend hoch war auch die Niederlage, die die neue Partei der Bürgerrechte (SPOZ) einfuhr. Sie orientiert sich vollständig am linkspopulistischen Staatspräsidenten Milos Zeman, der im Januar gewählt worden war und im Wahlkampf trotz der Verpflichtung zur Neutralität unverhüllt für diese Splittergruppe Partei ergriffen hatte. Fünf Minister der von ihm eingesetzten Übergangsregierung hatten für die SPOZ kandidiert und dazu das Renomee ihres Amtes eingesetzt. Das Wahlergebnis von nur 1,5 Prozent ist deshalb für Zeman eine Katastrophe und könnte seinen Einfluss schmälern.

Das Gleiche erlebte der frühere Staatspräsident Vaclav Klaus, der für seine Kritik an der EU bekannt ist und erst kürzlich den Austritt Tschechiens aus der EU befürwortet hatte. Im Wahlkampf hatte er sich massiv für eine neue rechtsgerichtete Gruppe namens "Kopf hoch" eingesetzt, die aber jetzt mit 0,4 Prozent der Stimmen ohne jede Bedeutung blieb.

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