Möglicher U-Ausschuss zur NSA-Affäre:Polit-Show mit Nebenwirkungen

Obama, Snowden oder die Geheimdienstchefs aus Amerika und Deutschland: An möglichen Zeugen würde es einem Untersuchungsausschuss des Bundestags nicht mangeln. Aussagen würden wohl die wenigsten. Trotzdem könnte das von SPD, Grünen und Linke geforderte Gremium eine reinigende Wirkung entfalten - auf beiden Seiten des Atlantiks.

Von Michael König, Berlin

Illustre Runden sind im Berliner Regierungsviertel wirklich nichts Besonderes, aber die Gästeliste dieser Veranstaltung hätte es in sich. NSA-Whistleblower Edward Snowden, US-Präsident Barack Obama, NSA-Chef Keith Alexander, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Kanzleramtschef Ronald Pofalla, Ex-Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier, Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. Sie und viele andere könnten in Kürze Post vom Deutschen Bundestag bekommen. Genauer: eine Vorladung als Zeuge im Untersuchungsausschuss zur NSA-Spähaffäre.

Was ein solcher U-Ausschuss bringt, ist umstritten. Dass er kommt, gilt mittlerweile als relativ wahrscheinlich. Grüne und Linke forderten ihn schon, als im Sommer die ersten Snowden-Enthüllungen über Abhörmaßnahmen des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA) kursierten. Nachdem vergangene Woche bekannt wurde, dass die Schnüffelei der Amerikaner wohl nicht einmal vor dem Telefon der Kanzlerin Halt macht, schließt sich die SPD der Forderung an: Der U-Ausschuss sei "unvermeidlich", sagte Generalsekretärin Andrea Nahles der Bild am Sonntag.

Die Union ist skeptisch. CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach etwa hält das geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium für den geeigneteren Ort, die Affäre aufzuklären. Fraktionschef Volker Kauder signalisierte jedoch am Sonntagabend im ZDF Bereitschaft: "Wenn die zwei kleinen Oppositionsparteien den Untersuchungsausschuss wollen, haben wir gesagt, lassen wir das zu."

Es ginge freilich auch ohne die Union. Sind 25 Prozent des Parlaments für die Einsetzung eines U-Ausschusses, muss der Bundestag ihn einsetzen. Dieses Quorum erfüllen Grüne, Linke und SPD. Der U-Ausschuss, besetzt mit Abgeordneten aller im Bundestag vertretenen Fraktionen entsprechend ihrer Größe, lässt sich dann alle Akten kommen, die er sehen will. Er kann einen Ermittlungsbeamten inklusive Mitarbeitern beauftragen. Er kann Sachverständige befragen und Zeugen vorladen, die im Ausschuss die Wahrheit sagen müssen.

Der Untersuchungsausschuss wird deswegen auch das "schärfste Schwert" der Opposition genannt, er gilt als mächtiges Werkzeug bei der Aufklärung von Sachverhalten. Zuletzt legte etwa der U-Ausschuss zur Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) offen, dass deutsche Sicherheitsbehörden jahrelang im Dunklen tappten. Verantwortliche mussten zurücktreten, die Parteien stießen Reformen an, die Angehörigen der Opfer bedankten sich für die akribische Arbeit der Parlamentarier.

Mangelnde Kooperationsbereitschaft der Amerikaner

Mehr als reine Show-Veranstaltung

Beim Thema NSA dürfte es allerdings schwieriger werden. Wen die US-Geheimdienste wann wie abgehört haben, das steht in ihren Akten. Die kann der Bundestag zwar anfragen, aber herausgeben müssen die Amerikaner sie selbstverständlich nicht. Ähnlich ist es mit den Zeugen: "Zu glauben, dass ein amerikanischer Geheimdienstler in den U-Ausschuss kommt, ist absurd", sagt Omid Nouripour, Abgeordneter der Grünen und Mitglied früherer Untersuchungsausschüsse, zu SZ.de. Sein Parteifreund Hans Christian Ströbele stimmt zu: "Zeugen oder gar Akten aus den USA werden wir nicht bekommen", sagte er dem SWR.

BND-Untersuchungsausschuss - Steinmeier

Ein Untersuchungsausschuss gilt als "schärfste Waffe der Opposition". Hier steht Frank-Walter Steinmeier den Abgeordneten Rede und Antwort (Archivbild aus dem Jahr 2008).

(Foto: dpa)

Historische Beispiele geben ihnen recht: 2001 befasste sich ein Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments mit den Vorwürfen, die Amerikaner betrieben Spionage in Europa mit ihrem "Echelon"-Programm. Doch nicht einmal die Richtigkeit dieses Code-Namens konnten die Parlamentarier verifizieren. "Unter keinerlei Umständen" habe man "Zugang zu Akten von Geheimdiensten der EU-Mitgliedstaaten und schon gar keinen Zugang zu Detailinformationen über die Tätigkeit von amerikanischen Diensten" bekommen, klagte damals der SPD-Politiker Gerhard Schmid in seiner Abschlussrede.

Aktuell wiederholt sich der Fall: Seit September befasst sich der Innenausschuss des Europaparlaments mit den angeblichen Abhörprogrammen der NSA. Geladene Zeugen wie NSA-Direktor Keith Alexander oder Iain Lobban, Chef des britischen GCHQ, sagten ab. Auch wollten amerikanische Internetfirmen nicht mit den EU-Parlamentariern reden.

Warum soll sich der Bundestag also die Mühe machen, wenn die Aussichten auf mehr als eine reine Showveranstaltung gering sind? Befürworter wie der Grünen-Politiker Nouripour sagen, in zweierlei Hinsicht sei der U-Ausschuss trotzdem sinnvoll.

Zum einen ist da die innenpolitische Wirkung: Deutsche Behörden sind - anders als ausländische - zur Kooperation verpflichtet. So könnte der Ausschuss zutage fördern, was der für die Spionageabwehr zuständige Verfassungsschutz über die Abhörmaßnahmen wusste, ob er etwas dagegen unternahm und wenn ja, was genau. "Wenn unsere Dienste nichts gewusst haben, wäre das ein handfester Skandal", sagt Nouripour.

Selbst wenn die Antwort weniger deutlich ausfällt, könnte der U-Ausschuss eine reinigende Wirkung haben. Als die Abgeordneten von Verteidigungsminister Thomas de Maizière Details über die Drohne Euro Hawk verlangten, offenbarte sich ein Zuständigkeits- und Mitteilungs-Wirrwarr in dessen Ressort, das nun beseitigt werden soll. Übertragen auf die NSA-Affäre könnte das etwa heißen, dass die Spionageabwehr ausgebaut wird - erste Pläne gibt es offenbar schon. Oder dass die Regeln für die Kommunikation deutscher Politiker deutlich verschärft werden, Kanzlerin Merkel für ihre SMS zum Beispiel kein handelsübliches Telefon mehr benutzen darf.

Klares Signal an Washington

Zum anderen hätte der U-Ausschuss einen diplomatischen Effekt: Die regelmäßigen Sitzungen der Parlamentarier würden das öffentliche Interesse hochhalten. Selbst dann, wenn der Ausschuss aus Gründen der Geheimhaltung teilweise hinter verschlossenen Türen tagt. Die Amerikaner wären also stetig mit Meldungen über ihre angeblichen Machenschaften konfrontiert. "Sie würden endlich begreifen, wie ernsthaft das Problem hier diskutiert wird", sagt Nouripour.

Das wäre insbesondere dann der Fall, wenn der U-Ausschuss den NSA-Whistleblower Edward Snowden als Zeugen vorladen würde. Weil die Vorwürfe größtenteils auf seinen Unterlagen beruhen, kämen die Parlamentarier kaum um eine Vorladung herum. Folge leisten müsste Snowden ihr als Nicht-Deutscher zwar nicht. Möglich, dass er die Risiken einer Ausreise aus Russland scheut, auch wenn ihm die Bundesrepublik freies Geleit garantieren würde und er einen Asylantrag stellen könnte. In dem Fall könnten ihn die Parlamentarier in seinem Exil besuchen oder ihn per Video-Konferenz zuschalten. Die Strafprozessordnung, aus der sich das Untersuchungsausschussgesetz zum Teil ableitet, sieht diese Möglichkeit vor, wenn "die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen" besteht.

Für das deutsch-amerikanische Verhältnis wäre das in jedem Fall eine neue Belastungsprobe. Eine, die Befürworter wie der Grünen-Politiker Nouripour für notwendig halten: "Unsere Freunde brauchen einen Schuss vor den Bug."

Mitarbeit: Robert Roßmann, Karoline Meta Beisel

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