Bürokollegen vom Typ "Schleimer":Klasse, Boss!

Die Zeiten sind spannend, aber unruhig. Das begünstigt den Vormarsch einer besonderen Sorte Mitarbeiter: den der Schleimer. Dieser Ja-Sager ist in seiner personifizierten Problemlosigkeit mehr als nur nervig. Er ist vor allem ein unterschätztes wirtschaftliches Risiko.

Von Angelika Slavik

Für Deutschlands Firmenchefs gäbe es eine ganze Menge Gründe, optimistisch zu sein. Die Konjunkturprognosen sind gut, den Euro gibt es immer noch und die Arbeitsmarktstatistik verspricht, zumindest auf dem Papier, eine große Zahl potenziell konsumfreudiger Menschen. Trotzdem ist die Stimmung in den Chefetagen, sagen wir: mittelmäßig. Der Geschäftsklimaindex des Ifo-Instituts ist neulich zum ersten Mal seit Monaten gefallen. Das bedeutet, dass Firmenbosse und Manager die Zukunft weniger positiv gestimmt erwarten als noch ein paar Wochen zuvor. Weil sie sich eben doch Gedanken machen: um den Euro, um die Konjunktur, um die Kauflust.

Das ist löblich, weil es auch Teil des typisch deutschen Wegs zum Erfolg ist, in seinen Erwartungen immer ein bisschen mehr Bodenhaftung zu behalten als unbedingt notwendig erscheint. Vorzubauen. Allerlei Risiken einzukalkulieren. Und trotzdem sollten sich all jene, die sich Gedanken um die Währung, das Wachstum und die Stimmung in der Bevölkerung machen, fragen, ob sie in ihrer Kalkulation nicht einen großen Risikofaktor vergessen. Einen, der anders als die genannten nicht maßgeblich von externen Einflüssen bestimmt wird, sondern der direkt in ihren Unternehmen wächst und gedeiht.

Ein Phänomen, das die Zukunft eines Unternehmens negativ beeinflussen kann wie kaum ein anderes: die Schleimer.

Schleimer sind eigentlich leicht zu erkennen. Sie wechseln ihre Meinung, je nachdem, wer ihnen gerade gegenüber sitzt. Sie verteilen billige Komplimente an jeden, der ihnen begegnet, und es ist ihnen nicht peinlich, den Chef vor versammelter Mannschaft für irgendeine naheliegende Idee fast schon ekstatisch zu beglückwünschen. Klasse, Boss, ganz, ganz klasse! Vor allem aber, und das ist mit Abstand das Schlimmste, schweigen sie. Sie schweigen, wenn die Idee des Chefs nicht naheliegend, sondern absurd ist. Sie schweigen, wenn der Vorschlag des Vorgesetzen vielleicht keine Katastrophe ist, sie aber selbst einen besseren hätten. Oder haben könnten - wenn sie überhaupt darüber nachdenken würden. Das lassen sie aber bleiben, so lange sie keinen unmittelbaren Vorteil für sich und ihren Karrierefortschritt erkennen können. Das ist der Ausgangspunkt für das Risiko, das von Schleimern ausgeht: Sie halten aus strategischen Gründen den Mund.

Es mag Menschen geben, die daran nicht Verwerfliches finden. Wollen wir nicht alle vorankommen? Lesen wir nicht alle Karrieretipps, die helfen sollen, Position und Einkommenssituation zu verbessern? Was also, könnte man fragen, soll daran falsch sein, bei Kollegen und vor allem bei Vorgesetzten möglichst positiv in Erinnerung bleiben zu wollen?

Keine Chuzpe, nirgends

Das Problem ist folgendes: Das wichtigste Kapital von Unternehmen, das gilt in besonderem Maße in rohstoffarmen Ländern wie Deutschland, sind ihre Mitarbeiter. Wenn diese Mitarbeiter aber ihre Ideen aus karrierestrategischen Gründen zurückhalten, büßen die Konzerne Innovationsfähigkeit ein. Sie gehen also womöglich nur mit der zweit-, dritt-, oder viertbesten Idee ins Rennen um den künftigen Geschäftserfolg - oder sogar mit einer total blöden. Mittel- bis langfristig gedacht kann ein Unternehmen also der Konkurrenz unterliegen, Umsatzeinbußen erfahren und oder pleitegehen, weil es zu viele Schleimer beschäftigt. Weil keiner dem Chef gesagt hat, dass seine Idee blöd ist.

Und selbst wenn das Tagesgeschäft vermeintlich reibungslos läuft, muss man also einen Teil der Personalkosten als sinnlos verschwendet abschreiben. Denn Unternehmen, die einen Mitarbeiter zu regulären Konditionen einstellen, haben damit eigentlich ein Anrecht auf seine volle Arbeitskraft. Und dazu gehört eben nicht nur, dass er während seiner Anwesenheit erledigt, was gerade so ansteht, sondern dazu gehören auch seine Kreativität, seine Meinung, sein Widerspruch. Dazu gehört die Chuzpe, in einer Teamsitzung auch mal gegen die vermeintliche Mehrheitsmeinung zu argumentieren und die eigene Überzeugung einzubringen - ob sie sich nun am Ende durchsetzt oder nicht. Mitarbeiter der Sorte Schleimer tun das nicht. Sie agieren taktisch, fühlen sich nur ihrer Karriere verpflichtet, nicht einer Überzeugung und nicht dem Unternehmen. Man muss also feststellen, dass diese Mitarbeiter zumindest einen Teil ihrer Gehälter zu Unrecht beziehen. Sie enthalten ihrem Arbeitgeber ein gutes Stück dessen, was sie zum Unternehmenserfolg beitragen könnten, vor, vielleicht sogar das Wichtigste.

Eigene Ideen zu wagen und zu versuchen, sie durchzusetzen, ist dagegen deutlich anstrengender, als einfach immer an der richtigen Stelle zu nicken und zu lächeln, keine Frage. Aber natürlich, und da liegt der unmittelbare persönliche Nutzen für die Arbeitnehmer, schärft der Diskurs auch die eigenen Vorstellungen. Oder deutlicher ausgedrückt: Streiten macht uns besser. Und damit auch besser gerüstet für alle höheren Aufgaben, die vielleicht noch kommen mögen.

Zudem hat die Schleimer-Strategie noch andere Nachteile - etwa die Auswirkungen auf den Rest der Belegschaft. In einer repräsentativen Umfrage des Hamburger Gewis-Instituts, einer Einrichtung für Sozialforschung, vor ein paar Jahren gaben 77 Prozent der Befragten an, sie würden sich durch Opportunisten und Schleimer im Job "gestresst" fühlen. Kein anderes Ärgernis wurde häufiger genannt. Nicht einmal launische oder inkompetente Chefs wurde als so störend empfunden. Man muss wohl davon ausgehen, dass dieser Stress nicht nur damit zu tun hat, dass viele Menschen die Schleimer in ihrer Umgebung nervig finden - sondern auch damit, dass deren Taktik nur allzu häufig funktioniert. Das führt, Variante eins, zu Frustration, schlechterer Leistung, im schlimmsten Fall zur emotionalen Abkoppelung von der Firma: zur inneren Kündigung, wie Experten das nennen. Oder, zweite Möglichkeit, die anderen Mitarbeiter nehmen sich die Schleimer zum Vorbild und gehören fortan auch zur Gruppe der Rückgratlosen, die somit immer stärker die Kultur in der Firma prägen.

"Wer möchte dem Alten jetzt widersprechen?"

Es ist schwer zu sagen, wann genau der Vormarsch dieses Typs Mitarbeiter begonnen hat, wann diese Spielart des menschlichen Charakters von einem kleinen Ärgernis zu einem versteckten wirtschaftlichen Risiko geworden ist. Aber klar scheint zumindest, dass unsere Zeit den Schleimern entgegenkommt. Die Ressourcen sind knapp, in vielen Unternehmen wurden in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten schon alle Puffer wegrationalisiert. Wo also vorher zwei oder drei Kollegen gearbeitet haben, jongliert jetzt nur mehr einer - und der hat, kurz gesagt, keine Zeit für irgendwelchen Ärger. Und in manchen Fällen vielleicht auch einfach keine Energie mehr. Querköpfe aber verursachen tendenziell Unruhe; es wäre die Aufgabe ihrer Vorgesetzten, daraus einen kreativen Prozess zu formen. Das aber ist, genau, anstrengend. Besprechungen, in denen Vorschläge nicht einfach nur abgenickt werden, sind weniger steuerbar, sie verlangen weitaus mehr geistige Anstrengung, am Ende muss man ein Projekt, das man schon durchgeplant glaubte, womöglich noch einmal völlig neu überdenken. Schleimer dagegen sind, vermeintlich, die personifizierte Problemlosigkeit: Kein Ärger, kein Gemaule, keine komischen Ideen und folglich kein zusätzlicher Betreuungsaufwand.

Dazu kommt: Die Zeiten sind spannend wie selten, aber eben auch unberechenbar. Das verunsichert viele Menschen, verständlicherweise. Und das verunsichert auch viele Menschen, die bei ihrem Arbeitgeber zufällig eine gehobene Position inne haben. Chefs also gieren mitunter genauso oder gar noch stärker nach Unterstützung und Anerkennung wie ihre Mitarbeiter - und da kommen ihnen die Huldigungen der Schleimer gerade recht, wie offensichtlich strategisch die auch sein mögen. Einer, der versichert, dass man in dieser komplexen, sich ständig verändernden Welt alles richtig macht, fühlt sich da schnell an wie ein Verbündeter, auch wenn er objektiv betrachtet eigentlich genau das Gegenteil ist. Das zeugt nicht unbedingt von Charakterstärke und geistiger Unabhängigkeit, aber es ist wohl menschlich. Blöd ist nur: Natürlich liegt für diese unsicheren Chefs dann die Versuchung nahe, gerade die Schleimer und Opportunisten bei nächster Gelegenheit zu befördern. Der Kollege sei immer positiv und motiviert, steht dann in der Jahresbeurteilung. So gelangen die Schleimer nach oben. Das ist für die Innovationskraft eines Konzerns fatal.

Es ist hoch an der Zeit, die Sinnlichkeit des Widerspruchs wiederzuentdecken, wieder lustvoll zu streiten: um die Sache, um Ideen, um das schönere Detail. Das ist, zum einen, natürlich die Sache jedes Einzelnen, der sich fragen könnte, ob er nicht auch so etwas wie eine "kreative Ehre" besitzt: ob es dem eigenen Selbstverständnis also vielleicht ganz gut täte, karrierestrategische Überlegungen gelegentlich hintan zu stellen und für seine Überzeugungen und Ideen einzustehen - oder sich wenigstens mal welche zuzulegen.

Neue Impulse durch Quereinsteiger

Aber weil es zwischen Idealismus und Naivität bisweilen ein schmaler Grat ist, muss man auch sagen: Natürlich müssen vor allem die Unternehmen die Lust am Diskurs etablieren, auch wenn das zusätzlichen Aufwand bedeutet. Sie müssen deutlich signalisieren, dass Ideen und Initiativen erwünscht sind, dass es erlaubt ist, Dinge auszuprobieren und, vielleicht, auch mal zu scheitern. Sie müssen deutlich machen, dass sie konstruktiven Widerspruch auch als Leistung zu schätzen wissen: und zwar nicht nur ideell, sondern gerade, wenn es um Beförderungen und Gehaltserhöhungen geht. Geld und Titel, das ist unterm Strich nun mal die einzige Währung, die das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer definiert.

In manchen Unternehmen und in manchen Branchen hat man zumindest das Grundproblem schon erkannt: Deshalb suchen etwa die Consultingfirmen gezielt nach Menschen, deren Lebenslauf vom klassischen Muster "Super-Abi, BWL-Studium in Rekordzeit, Auslandssemester" abweicht - in der Hoffnung, von Geisteswissenschaftlern und Quereinsteigern neue Impulse zu bekommen. Das ist nicht genug, aber zumindest mal ein Anfang.

Das Gleiche lässt uns in Ruhe, der Widerspruch ist es, der uns produktiv macht, soll Goethe mal gesagt haben. Wer möchte dem Alten jetzt widersprechen?

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