Nahostkonflikt:Der Geist von Jassir Arafat

Nahostkonflikt: Auch neun Jahre nach seinem Tod ist Jassir Arafat eine Ikone (Archivbild aus dem Jahr 2009)

Auch neun Jahre nach seinem Tod ist Jassir Arafat eine Ikone (Archivbild aus dem Jahr 2009)

(Foto: AFP)

Kampf prägte sein Leben, Streit herrscht auch neun Jahre nach seinem Tod: Die Spekulationen über eine Ermordung von Palästinenserführer Jassir Arafat reißen nicht ab. Die wichtigsten Theorien, Akteure und Reaktionen im Überblick.

Von Hannah Beitzer

Auch neun Jahre nach seinem Tod haben viele Palästinenser ein Porträt von ihm in ihrer Wohnung hängen: Palästinenserführer Jassir Arafat starb 2004 unter nie geklärten Umständen in einem französischen Krankenhaus. Rapide hatte sich damals sein Gesundheitszustand verschlechtert - und ebenso rasch hatten sich Gerüchte verbreitet, der israelische Geheimdienst habe Arafat vergiftet.

Seitdem hält sich die These hartnäckig und sorgt in regelmäßigen Abständen für Verstimmung zwischen den Kontrahenten im ohnehin schon schleppenden Friedensprozess im Nahen Osten. So auch jetzt wieder, nachdem Schweizer Ärzte einen Bericht veröffentlicht haben, der auf eine Polonium-Vergiftung Arafats hindeutet. Die wichtigsten Hintergründe im Überblick.

Arafats Krankheit gibt Rätsel auf: Der 75-jährige langjährige PLO-Vorsitzende saß bereits seit zweieinhalb Jahren von den Israelis belagert in seinem Hauptquartier in Ramallah fest, als er relativ plötzlich erkrankte. Arafat soll schon länger an chronischen Krankheiten gelitten und Medikamente genommen haben, hieß es damals. Als unmittelbare Ursache nannten die Ärzte des Krankenhauses eine "massive Hirnblutung". Bereits damals wurde gemutmaßt, dass Fremdverschulden im Spiel sein könnte. Eine Autopsie gab es jedoch nicht. Bald stand der Verdacht im Raum, dass Arafat ähnlich wie 2006 der russische Regierungskritiker und Ex-Agent Alexander Litwinenko in London mit einer radioaktiven Substanz umgebracht worden sein könnte: Polonium. Wie der getötete Agent Litwinenko habe auch Arafat unter Durchfall, Gewichtsverlust und Erbrechen gelitten, heißt es.

Allerdings gibt es auch Experten, die bezweifeln, dass Arafat auf diese Weise ums Leben kam. Sie verweisen darauf, dass sich sein Zustand während seiner Erkrankung vorübergehend besserte. Außerdem habe er nicht sämtliche Haare verloren. Seinerzeit war von einer Lebensmittelvergiftung war die Rede, eine Weile machte sogar das Gerücht die Runde, der Palästinenserführer habe das HI-Virus in sich getragen.

Wissenschaftler widersprechen sich: 2012 hatten Wissenschaftler des Instituts für Radiophysik des Universitätsklinikums in Lausanne (CHUV) Kleidungsstücke untersucht, die Arafat kurz vor seinem Tod getragen haben soll. Daran hatten sie erhöhte Werte von Polonium-210 festgestellt. Auch an Arafats Zahnbürste sowie an den Haaren waren Spuren des radioaktiven Isotops gefunden worden. Daraufhin wurde Arafats Grab geöffnet, der Leichnam exhumiert. Neben dem Schweizer Ärzteteam hatten auch französische und russische Wissenschaftler Proben entnommen. Die russischen Experten hatten nach eigenen Angaben keine Spuren des radioaktiven Gifts gefunden. Wenig später erklärte das Labor jedoch, der Leiter habe gar nicht offiziell Stellung genommen. Jetzt ist der Bericht aus Lausanne erschienen, wonach die Gewebeproben 18-mal mehr Polonium enthalten als normal. Das französische Gutachten steht noch aus.

Rolle von Arafat-Witwe Suha: Unklar ist auch die Rolle, die Arafats Witwe in der Aufklärung des Todes ihres Mannes spielt. 2004 hatte sie eine Autopsie des Leichnams noch abgelehnt, 2012 schließlich einer Exhumierung zugestimmt. In enger Zusammenarbeit mit dem Sender Al Jazeera, der auch die Nachricht über den Schweizer Bericht veröffentlichte, verfolgt sie seitdem die Vergiftungstheorie.

SZ-Korrespondent Peter Münch schrieb 2012: "Fast acht Jahre nach dem Tod des Palästinenser-Präsidenten Jassir Arafat ist sie nun also in die Rolle ihres Lebens geschlüpft: die Witwe als Rächerin. Und vermutlich ist das auch ihre letzte Chance, ihren eigenen Ruf aufzupolieren."

Die gebürtige Christin war von den Gefährten ihres 35 Jahre älteren Mannes nie akzeptiert worden. Sie, die Luxus und schöne Kleider liebte, lebte seit Beginn der zweiten Intifada 2001 mit ihrer Tochter in Paris. Angeblich erhielt sie monatlich 100.000 US-Dollar von ihrem Mann, um ihren ausschweifenden Lebensstil zu finanzieren. Arafat selbst hatte seine Stellung dazu genutzt, ein undurchschaubares Finanznetzwerk zu knüpfen, allein sein Privatvermögen soll 300 Millionen US-Dollar umfassen. Gegen seine Witwe wurde nach seinem Tod wegen Geldwäsche ermittelt, sie musste Paris daraufhin verlassen.

Israel bestreitet Vorwürfe: Israel hat eine Verstrickung in den Tod von Jassir Arafat stets zurückgewiesen - so auch dieses Mal. Bei dem Fund ungewöhnlich hoher Spuren der radioaktiven Substanz Polonium-210 in Gewebeproben Arafats handele es sich "eher um eine Seifenoper als um Wissenschaft", zitierte die Zeitung Jerusalem Post den Sprecher des Außenministeriums in Jerusalem, Jigal Palmor. Gerne verweist die israelische Seite auf die (tatsächlich vorhandenen) Machtkämpfe innerhalb des Lagers der Palästinenser.

Palästinenser wollen abwarten: Die Palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah wollte zu den Berichten zunächst keine Stellung nehmen. Sie hatte am Vortag bekräftigt, dass sie die Ergebnisse der Untersuchungen erst öffentlich kommentieren werde, wenn alle drei Gutachten vorlägen. Ein Führungsmitglied der PLO hat allerdings bereits die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission gefordert. "Die Untersuchungsergebnisse haben bewiesen, dass Arafat mit Polonium vergiftet wurde - und diese Substanz wird von Staaten besessen, nicht von Einzelpersonen", sagte Wasel Abu Jussef. "Das Verbrechen wurde also von einem Staat begangen", so das Mitglied des Exekutivkomitees der Palästinensischen Befreiungsorganisation.

Wenn feststünde, dass Arafat tatsächlich durch Polonium vergiftet wurde, wäre immer noch einiges unklar. Zum Beispiel, wie das Gift in seinen Körper kam und wer dahintersteckt. Für viele Palästinenser ist bereits jetzt klar, dass nur Israel hinter der plötzlichen Erkrankung und dem schnellen Tod ihres ehemaligen Anführers stecken könne.

Allerdings hatte Arafats wegen seines autoritären Führungsstils und wuchernder Korruption innerhalb der Palästinenserführung auch im eigenen Lager viele Feinde. Für viele ist jedoch der Einsatz des Giftes an sich schon Beweis genug für die Schuld Israels. Polonium wird in Atombomben benutzt, Israel ist eine gar nicht mal besonders heimliche Atommacht - Ende der Beweiskette.

Mehr über die Wirkung von Polonium finden Sie in diesem Artikel.

Mit Material von dpa, Reuters und AFP.

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