Weltklimakonferenz in Polen:Im Zeichen des Taifuns

Death Toll Rises in Philippines Following Impact Of Super Typhoon *** BESTPIX ***

Zerstörungen in der Provinz Leyte auf den Philippinen: Der verheerende Taifun Haiyan verschafft der UN-Klimakonferenz neue Brisanz

(Foto: Getty Images)

Das Ausmaß der Zerstörung durch den Taifun "Haiyan" schockiert die Welt - und verleiht der heute beginnenden Weltklimakonferenz neue Brisanz. Die Diplomaten müssen einen Weg finden, um klimabedingte Schäden zu bewältigen. Die Frage ist heikel, denn die Industriestaaten schrecken vor jeder Festlegung zurück.

Von Michael Bauchmüller und Christopher Schrader

Was Ag Ayad Inanchanan in seinem langen Leben so alles erfahren hat, das ist mehr als Pech: Inanchanan, 76, ist seit mehr als vier Jahrzehnten Bauer in Burkina Faso, und so lange schon kämpft er.

Das erste Mal schlug das Schicksal 1973 zu. Damals hatte er 135 Rinder, 87 Schafe und 45 Ziegen, dann kam die Dürre. Drei Viertel der Tiere verendeten. 2004 kamen mit einer erneuten Trockenheit die Heuschrecken; das kostete ihn 20 seiner damals 30 Kühe. 2011 ertranken 165 seiner Schafe und Ziegen, als ein Fluss nach gewaltigen Regenfällen plötzlich anschwoll. 2012 pickte eine Invasion von Vögeln die Körner von seinem Hirsefeld.

Laut Wetteraufzeichnungen ist die Regenmenge in Inanchanans Heimat seit den Siebzigern deutlich zurückgegangen, die Intensität der Niederschläge aber hat zugenommen. Auch wenn sich die Klimaforschung schwertut nachzuweisen, dass solche lokalen Veränderungen von der globalen Erwärmung ausgelöst werden - sie passen ins Bild des erwarteten Wandels.

Gestern Burkina Faso, heute die Verwüstungen auf den Philippinen - es gibt Tausende Inanchanans auf der Welt. Manchmal geht dies mit dramatischen Bildern einher wie nun vom Taifun Haiyan, oft aber verläuft der Prozess schleichend. "Loss and damage", so heißt das in der Sprache der Klimadiplomatie: Verlust und Schaden. Während der Kohlendioxid-Ausstoß nahezu ungebremst wächst, rückt dieses Thema Jahr für Jahr weiter nach oben.

Industriestaaten in der Pflicht

Nun bekommt es besondere Brisanz: Unter dem Eindruck der Bilder von den Philippinen treffen an diesem Montag in Warschau die Klimadiplomaten aus 195 Staaten zusammen, zur 19. Klimakonferenz der Vereinten Nationen. Seit ihrer letzten Zusammenkunft vor einem Jahr in Katar haben sie einen Auftrag zu erfüllen, dessen Dringlichkeit unübersehbar ist: Sie sollen einen Weg finden zur Bewältigung jener klimabedingten Schäden, die ein Taifun oder eine Dürre nach sich ziehen. Die Frage ist heikel, denn vor allem die Industriestaaten schrecken vor jeder Festlegung zurück, die sie dereinst zu Kompensationen für Naturkatastrophen zwingen könnte.

Umgekehrt pochen gerade die am wenigsten entwickelten Länder auf eine Entschädigung. "Das ist das Stöckchen, über das die Industrieländer springen müssen", sagt Thomas Hirsch, Klimabeauftragter bei Brot für die Welt. "Für afrikanische Länder und die Inselstaaten ist das die entscheidende Frage." Warschau könnte damit zum Schauplatz einer universellen Gerechtigkeitsdebatte werden. Die Inanchanans gegen den reichen Rest.

Menschen erfahren dramatische Klimaveränderungen

Wie häufig der Klimawandel mittlerweile Tribut fordert, dazu liefert eine zweiteilige Studieder UN-Universität (UNU) Zahlen. In insgesamt neun Ländern haben die Forscher gut 3600 Haushalte befragt, wie sich ihre Lebensumstände verändert haben. Nach Bangladesch, Bhutan, Gambia, Kenia und Mikronesien im vergangenen Jahr hat die UNU vor wenigen Tagen Daten zu Burkina Faso, Äthiopien, Mosambik und Nepal vorgelegt. Das Ergebnis: Zwischen 87 und 100 Prozent der befragten Menschen haben dramatische Veränderungen erlebt, die sich bei fast allen auch im Einkommen bemerkbar gemacht haben.

Die UNU-Wissenschaftler stießen auf Familien, die weniger essen, ihr Vieh verkaufen, auswandern. Auf der Insel Kosrae in Mikronesien schleiften Bewohner die Ruinen einst stolzer Festungen, um mit den Steinen einen Damm gegen das steigende Meer zu bauen. Selten nur kommen diese Betroffenen in der globalen Klimapolitik zu Wort.

Nun aber lässt sich das Thema nicht länger umschiffen. Die Konferenz, die eigentlich auch einen groben Fahrplan für die weiteren Klimaverhandlungen skizzieren soll, kann die Zusagen aus dem vergangenen Jahr nicht mehr zurückholen. "Das Thema hat das Potenzial, die gesamte Verhandlungsdynamik zu verändern", sagt Christoph Bals, Klimaexperte bei Germanwatch.

Denn die Klimaverhandlungen leben stets auch von Allianzen aus Staatengruppen. Als 2011 die Konferenz in Durban den Weg bahnte für neue Verhandlungen über ein Klimaabkommen, war es eine Allianz aus Europäern, Afrikanern und Inselstaaten, die auch China und die USA zum Einlenken zwang.

Auswege aus dem Klima-Dilemma

Nun aber steht China auf Seiten der Ärmsten beim Kampf gegen die ersten Klimaschäden. Peking muss nicht befürchten, schon zahlen zu müssen. Dafür aber wären die Europäer isoliert - zusammen mit den USA. Die EU könnte gegenhalten, indem sie sich wieder stärker für Klimaschutz engagiert. Doch darauf deutet im Augenblick wenig hin.

Derweil tüfteln die Diplomaten an Auswegen, denn der Handlungsauftrag aus dem vorigen Jahr lässt sich nicht wegdiskutieren. Um das völlige Scheitern zu verhindern, wäre ein Formelkompromiss denkbar, der die Frage in irgendeine Expertengruppe auslagert - für Klimaverhandlungen wäre das nicht untypisch.

Oder aber, das ganze Thema ließe sich auf 2015 verschieben. Dann soll in Paris gelingen, was 2009 in Kopenhagen so dramatisch scheiterte: ein globales Klimaabkommen, das neben den Industriestaaten auch große Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien in die Pflicht nimmt. Ohne eine Lösung dieser Gerechtigkeitsfrage allerdings dürfte das schwer werden.

Dabei gäbe es durchaus Lösungen für Bauern wie Ag Ayad Inanchanan. Denkbar wären etwa Versicherungen gegen Klimaschäden, die immer dann einspringen, wenn Stürme oder Dürren das Hab und Gut zerstören. Einzahlen aber müssten in diese Versicherungen nicht nur die Versicherten, sondern vor allem die reicheren Länder, die mit ihren Treibhausgas-Emissionen den Klimawandel angeheizt haben und weiter anheizen. Beispiele dafür gibt es. Auch könnte Geld aus dem Klimafonds stammen, der bis 2020 auf 100 Milliarden Dollar jährlich anwachsen soll.

Doch von den Milliarden fehlt bisher fast jede Spur. Nach Recherchen der Entwicklungsorganisation Oxfam haben die Industriestaaten bislang bestenfalls 16,3 Milliarden Dollar zugesagt. Statt aber anzuwachsen, gingen die Mittel in vielen Ländern nun wieder zurück. Das Geld soll nicht nur helfen, die Opfer zu entschädigen, sondern auch, vorzusorgen - sofern dies bei Dürren und Taifunen geht.

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