Klimawandel:Umweltverbände boykottieren den Klimagipfel

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Vertreter unabhängiger Umweltgruppen verlassen aus Protest den Klimagipfel in Warschau (Foto: AFP)

Das gab es noch nie: Die Umweltgruppen haben den Klimagipfel in Warschau aus Protest gegen den Einfluss der Wirtschaftsverbände auf den Klimaschutzprozess verlassen. Tatsächlich ist nirgends in Europa Kohle so wichtig wie in Polen. Und nun wird ausgerechnet dieses Land zum Schauplatz des Widerstands.

Von Michael Bauchmüller, Warschau

Am Nachmittag dann waren die Umweltschützer weg. Einfach herausgegangen aus der Klimakonferenz in Warschau. "Mit unserem Boykott wollen wir auf den in dieser Form noch nie da gewesenen Einfluss der Wirtschaftsverbände auf den Klimaschutzprozess aufmerksam machen", sagt Hubert Weiger, Chef des deutschen Umweltverbandes BUND. "Die fossile Industrie hat die Klimakonferenz okkupiert." Speziell der Kohlelobby werde "der rote Teppich ausgerollt".

Ein kollektiver Boykott großer Umweltverbände - auch das ist in dieser Form noch nie da gewesen. Ein bemerkenswerter Vorgang - dabei dürfte auch die Kohlelobby alles andere als zufrieden sein. Denn in Warschau gerät sie unverhofft in die Defensive.

Da wäre etwa die jüngste Ankündigung des britischen Umweltministers Ed Davey. Großbritannien, so erklärte er in Warschau, werde in Zukunft im Ausland keine Kohlekraftwerke mehr mit öffentlichen Mitteln unterstützen.

Das liegt auf der Linie der Weltbank und Europäischen Investitionsbank, die ebenfalls nur noch emissionsarme Kraftwerke unterstützen wollen, und selbst auf jener der USA: Dort gelten selbst im Inland bald so hohe Standards für neue Anlagen, dass Kohlekraftwerke sie nahezu unmöglich einhalten können. Und für die Förderung im Ausland auch.

Bisher galt die Unterstützung beim Bau von Kohlekraftwerken in vielen Industrieländern als selbstverständliche Entwicklungshilfe. Doch nun gerät ausgerechnet die deutsche Staatsbank KfW in die Defensive. Sie ist im Ausland an mehreren Kohlekraftwerken und Kohleminen beteiligt - darunter ein Riesen-Kraftwerk in Südafrika.

Auflagen für den Ausstoß klimaschädlicher Gase gibt es nicht. "Es wird in den nächsten Monaten eine Schlüsselfrage, ob Deutschland solche Projekte weiter unterstützt", sagt Jennifer Morgan vom Washingtoner World Resources Institut. "International ist Deutschland damit inzwischen weitgehend isoliert, zusammen mit Japan." Weltweit gerate die Kohle immer stärker unter Druck.

Die Kohle unter Druck - das hatte sich Gastgeber Polen ganz anders vorgestellt. Nicht von ungefähr platzierte das Wirtschaftsministerium neben die Klima- noch eine kleine Kohlekonferenz. Schließlich werden gut 90 Prozent des polnischen Stroms damit erzeugt. Zur Förderung erneuerbarer Energien werden allenfalls Holz und Reststoffe mitverfeuert - in konventionellen Kraftwerken.

Dabei hatte sich in jüngsten Umfragen eine Mehrheit für den stärkeren Ausbau der Öko-Energien ausgesprochen. "Unsere Regierung regiert am Volk vorbei", sagt Zbigniew Karaczun, Energieexperte der polnischen Klimakoalition. "Die einzige Erklärung dafür ist der Einfluss der großen Kohlekonzerne". Dabei ist der jüngste Plan, die Erweiterung eines Kohlekraftwerks bei Oppeln, selbst beim Bauherrn umstritten, dem Stromkonzern PGE.

Polens Ministerpräsident Donald Tusk erklärte das Projekt zu einem Vorhaben nationalen Interesses - PGE-Chef Krzysztof Kilian trat daraufhin zurück, just vorigen Dienstag. "Auch die Unternehmen merken, dass die Kohle in Polen keine ewige Zukunft hat", sagt Karaczun. Zumindest hofft er es.

Eine am Donnerstag veröffentlichte Studie bestärkt die Kritiker noch. Danach lassen sich zwei Drittel aller klimaschädlichen Emissionen auf 90 Firmen zurückführen, teils staatliche, teils private.

Große Mineralölkonzerne wie ChevronTexaco, ExxonMobil und BP finden sich darunter, aber auch staatliche Kohlekonzerne wie in Polen, Russland, China. "Die Entscheidungsträger", befindet Studienautor Richard Heede im britischen Guardian, "passen letztlich in ein oder zwei Greyhound-Busse." Freilich gab es für die fossile Energie auch stets die entsprechende Nachfrage.

Die Umweltlobby jedenfalls will, Boykott hin oder her, nicht so schnell aufgeben. "Nächstes Jahr werden wir alle wieder da sein", sagt Greenpeace-Chef Kumi Naidoo. "Dann mit noch mehr Rückhalt als bisher."

© SZ vom 22.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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