Junge Europäer im Bürgerkrieg:Bereit, in Syrien zu sterben

Fotos auf türkischsprachigen Webseiten erinnern an die toten Kämpfer. Immer mehr junge Türken stürzen sich im Nachbarland Syrien in den Bürgerkrieg. Auch aus anderen europäischen Ländern reisen Nachwuchs-Dschihadisten an - deren Heimatländer treibt eine konkrete Furcht um.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Der Türke Mehmet Tefik hat seinen Sohn wieder. Das macht den Vater überglücklich, schließlich hat er zwei Mal schon vergeblich nach ihm gesucht, in Syrien, zwischen Blut und Ruinen. Nun ist der 23-Jährige zurück in Adiyaman, im Südosten der Türkei. Nur wird er nicht bleiben. Der junge Türke will schon bald wieder kämpfen gehen, für einen syrischen Al-Qaida-Ableger. "Er hat gesagt, er ist nur auf Urlaub hier", erzählt Mehmet Tefik und klingt schon wieder verzweifelt.

Der Mann ist nicht der einzige Türke, der seinen Sohn an radikale Islamisten verloren hat. Ende September trat ein entnervter Vater in Ankara in einen Hungerstreik. Er wollte die Politiker dazu bringen, die jungen Kämpfer irgendwie aufzuhalten. Drei Mal, so klagte der Vater, habe sein Sohn die türkisch-syrische Grenze überschritten, ohne dass ihn türkische Sicherheitskräfte gestoppt hätten. Eine religiöse Stiftung habe sein Kind verführt, in den Krieg zu ziehen, klagte der Mann.

Das türkische Innenministerium nannte jüngst erstmals Zahlen, ohne nähere Quellenangaben. Rund 500 Türken hätten sich im Nachbarland den Islamisten- Organisationen Al-Nusra oder Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS) angeschlossen. Etwa 90 Türken seien schon ums Leben gekommen. Mehmet Tefiks Sohn hat seinem Vater gesagt, er sei bereit, "in Syrien zu sterben". Fotos auf türkischsprachigen Webseiten erinnern an tote Kämpfer.

"Syrien ist viel leichter zu erreichen"

Ein EU-Diplomat glaubt, die Zahlen aus Ankara seien zu niedrig. Laut der türkischen Zeitung Radikal kämpfen allein aus Adiyaman 200 Türken in Syrien für Islamisten-Gruppen oder auch auf Seiten des Assad-Regimes. Rekrutiert werde ebenso in anderen Südost-Provinzen. Neben den Türken seien schon Hunderte Dschihadisten aus Belgien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland über die Türkei in den syrischen Krieg gezogen, so der EU-Diplomat. "Nach Afghanistan war der Weg einst weiter, Syrien ist viel leichter zu erreichen." Die türkischen Behörden arbeiteten zu wenig mit den Europäern zusammen.

Außenminister Ahmet Davutoglu hält dagegen, für sein Land sei es unmöglich, unter 34 Millionen Türkei-Touristen pro Jahr die Al-Qaida-Sympathisanten herauszufischen. Er habe den Europäern gesagt, "wenn ihr die Leute kennt, dann haltet sie doch davon ab, das Land zu verlassen". Bei einem Treffen zwischen Polizeiexperten aus der Türkei und aus Deutschland seien jüngst vor allem Vorwürfe ausgetauscht worden, schreibt die türkische Zeitung Today's Zaman.

Das Blatt zitierte einen türkischen Sicherheitsexperten: "Wenn die Geheimdienstinformationen westlicher Staaten diesen für eine Festnahme der Dschihadisten nicht ausreichen, wie können sie dann erwarten, dass wir aufgrund derselben Infos handeln?"

Furcht vor Anschlägen der Rückkehrer

Der britische Botschafter in Ankara, David Reddaway, zeigt sich "tief besorgt", die jungen Krieger könnten in ihre Heimatländer zurückkehren und dort Anschläge verüben. Für seine Warnung nutzte Reddaway den Jahrestag der Al-Qaida-Anschläge von Istanbul, bei denen im November 2003 mehr als 50 Menschen starben.

Die türkische Regierung, allen voran Premier Recep Tayyip Erdogan, hat sich nach Beginn des Aufstands gegen Assad rasch auf die Seite der syrischen Opposition gestellt und unterstützt die Freie Syrische Armee. Erdogan hat aber immer wieder bestritten, dass sein Land auch islamistischen Kämpfern helfe, die in Syrien zunehmend an Boden gewinnen.

Türkische Sicherheitskräfte befestigen derzeit Teile der 911 Kilometer langen Grenze zum Nachbarland, aber vor allem dort, wo auf syrischer Seite die Kurden an einem eigenen Staatsgebilde bauen. Auch gegen die Milizen der Kurden hat der Sohn von Mehmet Tefik mit seiner Islamisten-Brigade schon gekämpft. Warum er überhaupt in den Krieg gezogen ist, hat der Vater den Sohn gefragt. Der sagte, er könne nicht mehr schlafen, wenn er sehe, "wie Assad Kinder tötet".

Firas Fayyad,30, ist Syrer. Der Filmregisseur war fünf Monate lang in Damaskus in Haft, weil er den Beginn der Revolution filmte. Danach floh er nach Istanbul. "Ich hätte mir nie vorstellen können", sagt Fayyad, "dass bei uns einmal Islamisten kämpfen würden." Muslime wie er - und dazu aus einem Land, das ihm nun Obdach und Schutz bietet.

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