Welthandelsorganisation WTO:Was der Bali-Pakt für die Welt bedeutet

Welthandelsorganisation WTO: WTO-Entscheidung auf Bali: Indonesische Jugendliche protestieren gegen die Welthandelsorganisation.

WTO-Entscheidung auf Bali: Indonesische Jugendliche protestieren gegen die Welthandelsorganisation.

(Foto: AFP)

Die Einigung auf Bali wird als großer Durchbruch gefeiert. Doch während die Wirtschaft über die vereinbarte Liberalisierung des Welthandels jubiliert, reagieren NGOs mit Kritik. Wie Deutschland profitiert, was ein Scheitern bedeutet hätte - Antworten auf die wichtigsten Fragen zum WTO-Abkommen.

Es ist das erste große Abkommen zur Liberalisierung des globalen Handels seit fast zwei Jahrzehnten: Die Welthandelskonferenz WTO hat sich auf Bali auf ein weitreichendes Abkommen zum Abbau von Handelsschranken, den Abbau von Agrarsubventionen und Hilfen für Entwicklungsländer geeinigt.

"Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hat die WTO geliefert", erklärte WTO- Generaldirektor Roberto Azevêdo. Zuvor war tagelang gestritten und um Details gefeilscht worden. Indien, Kuba und andere Länder drohten mit einer Blockade. Jetzt wurde eine Einigung erzielt. Doch was bedeuten die Beschlüsse genau?

Was wurde auf Bali vereinbart?

159 Staaten haben das sogenannte Bali-Paket im Konsens verabschiedet. Es ist das erste weitreichende multilaterale Freihandelsabkommen, das seit der WTO-Gründung verabschiedet wurde. Die Einigung beinhaltet Aspekte der 2001 in Doha gestarteten Verhandlungsrunde. Mit dem Paket von insgesamt zehn Einzelvereinbarungen sollen unter anderem weltweit Zollabwicklungen im grenzüberschreitenden Warenverkehr vereinfacht werden. Die ärmsten Entwicklungsländer sollen bessere Zugänge zu den Märkten der Industrie- und Schwellenländer erhalten. Die Entwicklungshilfe im Bereich des Handels soll verstärkt werden. Außerdem ist der Abbau von Agrarsubventionen vorgesehen.

Warum sprechen alle von einem Durchbruch?

Mit Tränen in den Augen dankte WTO-Generaldirektor Roberto Azevêdo in der letzen Sitzung allen, die den Erfolg ermöglicht hatten. Die Rührung kommt nicht von ungefähr: Einer der ganz großen Gewinner von Bali ist schließlich die WTO selbst. Sie war in Gefahr, bei einem Scheitern der Konferenz ihre Reputation als internationaler Schlichter in Handelsstreits und als Architekt und Wächter eines freieren Welthandels zu verspielen. Das hätte die 1995 gegründete Organisation in eine Existenzkrise gestürzt. Der US-Handelsbeauftragte Michael Froman erklärte, ein Misserfolg wäre "ein lähmender Schlag für die WTO als Forum multilateraler Verhandlungen"gewesen.

Was bringt die Vereinbarung?

Die Einigung auf das Bali-Paket wurde insbesondere von den Industriestaaten und Unternehmensverbänden begrüßt. Sie versprechen sich durch den Abbau von teuren bürokratischen Handelshindernissen neuen Schwung für den globalen Handel. Die von der Wirtschaft unterhaltene Internationale Handelskammer (ICC) sprach von einem "historischen Abkommen". Allein durch die nun beschlossenen Maßnahmen zur Vereinfachung der Zollabwicklung könnten Unternehmen weltweit zehn bis 15 Prozent ihrer Kosten für den grenzüberschreitenden Warenverkehr einsparen. Insgesamt seien durch das Bali-Paket Wachstumsimpulse im Umfang von bis zu einer Billion Dollar möglich. Dadurch könnten 21 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen, die meisten in Entwicklungsländern, hieß es.

Wie kann Deutschland von der Einigung profitieren?

Ein richtiges und wichtiges Signal für den Freihandel nannte der Außenhandelschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, das Abkommen. Wenn alle nun beschlossenen Änderungen zum Tragen kommen, könne die deutsche Wirtschaft mit einem Wachstumsimpuls von 60 Milliarden Euro im Jahr rechnen, sagte er.

Deutschland ist mit einem Anteil von derzeit 7,65 Prozent an allen Exporten weltweit Nummer Drei in der Welt nach China und den USA. Die Bundesrepublik ist deshalb stark daran interessiert, dass die Türen für ihre Güter und Dienstleistungen in der Welt so weit offen wie möglich sind. Auf knapp 1,1 Billionen Euro belief sich im vergangenen Jahr das deutsche Ausfuhrvolumen, neun bis zehn Millionen Arbeitsplätze hängen von den Exporten ab. Mehr als jedes andere große Land ist Deutschland vom Welthandel abhängig.

Wenn nun Bürokratie im grenzüberschreitenden Handel abgebaut wird, merken das die deutschen Außenhändler besonders stark. Weniger Belege, Nachweise, Formblätter, Zertifikate bedeuten für deutsche Unternehmer niedrigere Kosten. "Jedes Handelsgeschäft beschäftigt im Durchschnitt 25 Personen, erfordert 40 Dokumente und führt zu 200 Datensätzen", umriss Jens Nagel vom Handelsverband BGA den Aufwand kürzlich.

Wer kritisiert die Bali-Beschlüsse - und warum?

Worum ging es im Streit mit Indien?

Indien hatte sich mit Unterstützung von Entwicklungsländern geweigert, die Forderung nach einer Befristung seiner Agrarsubventionen zu akzeptieren. Der nun gefundene Kompromiss sieht vor, dass Indien in dieser Frage eine Ausnahmeregelung eingeräumt wird. Indien darf weiterhin die Landwirtschaft mit staatlichen Käufen zu festgelegten Preisen unterstützen, wenn es um die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung für große Teile der Bevölkerung geht. Viele andere Länder hatten darin marktverzerrende Subventionen gesehen, die ihre Exporte schädigen könnten. Indien setzte durch, dass solche Programme gegen den Hunger nicht zeitlich beschränkt werden dürfen.

Die Einigung sieht eine Zwischenlösung vor, die in vier Jahren in einen neuen Vertrag münden soll. Gibt es bei der nächsten WTO-Konferenz aber keine Einigung, bliebe die Interimslösung weiter gültig. Die Einigung setzt den indischen Agrarhilfen jedoch auch enge Grenzen. So darf das Land seine Käufe nicht auf eine größere Zahl von Lebensmitteln ausweiten. Die Ausnahmeklausel gilt außerdem nur für bereits bestehende Programme.

Wer kritisiert die Bali-Beschlüsse - und warum?

Vertreter der Zivilgesellschaft kritisieren, dass die ebenfalls beschlossenen Finanz- und Entwicklungshilfen für die ärmsten Staaten weder verbindlich noch ausreichend seien. Mehrere Nichtregierungsorganisationen geißelten die Bali-Vereinbarung als Beeinträchtigung der Interessen von Entwicklungsländern. So sei "schwer nachvollziehbar, warum in Zukunft kein weiteres Land umfassende staatliche Maßnahmen zur Stützung von Kleinbauern und zur Bekämpfung von Hunger ergreifen darf", erklärte die kirchliche Hilfsorganisation Brot für die Welt. "Der Beschluss von Bali zeigt, dass die WTO der falsche Rahmen ist, um globale Regelungen zur Ernährungssicherheit zu vereinbaren", hieß es. Die Globalisierungskritiker von Attac monierten, dass vor den Verhandlungen massiver Druck auf die südlichen Länder der Welt ausgeübt wurde.

Was wäre passiert, wenn die Verhandlungen gescheitert wären?

Wären die Verhandlungen ergebnislos geblieben, hätte das die WTO stark beschädigt. Schließlich gibt es bereits viele Alternativen zur Welthandelsorganisation. Immer häufiger schließen Länder bilaterale Abkommen. Derzeit verhandeln etwa Europa und die USA über ein transatlantisches Freihandelsabkommen. In anderen Fällen verhandeln große Handelsmächte mit schwächeren Ländern. Solche Abkommen haben oft den Nachteil, dass sich Entwicklungsländer allein am Verhandlungstisch nicht gegen Forderungen der Industrieländer wehren können.

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