Winterspiele in Russland:Menschenrechtler loben Gauck für Olympia-Boykott

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Kritische Linie gegenüber Russland: Bundespräsident Joachim Gauck wird nicht nach Sotschi reisen. (Foto: Jens Schlueter/Getty Images)

Bundespräsident Joachim Gauck reist nicht zu den Olympischen Winterspielen nach Sotschi. Menschenrechtler werten seine Absage als starkes politisches Zeichen. Ein russischer Deutschland-Experte kritisiert die Entscheidung.

Menschenrechtler haben die Entscheidung von Bundespräsident Joachim Gauck gegen einen Besuch der Olympischen Winterspiele in Sotschi gelobt. "Weil wir uns nicht für einen Olympia-Boykott der Sportler aussprechen, die sich über Jahre auf ihre Wettkämpfe vorbereiten, sehen wir die Absage des Bundespräsidenten für seinen Sotschi-Besuch als besonders starkes Zeichen", sagte der Sprecher von Human Rights Watch, Wolfgang Büttner, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Gaucks Entscheidung lenke das Augenmerk auf Menschenrechtsverletzungen in Russland und die Probleme in der Olympiastadt Sotschi. Das Bundespräsidialamt hat der russischen Regierung bereits mitgeteilt, dass Gauck nicht nach Sotschi reisen wird. "Das ist ein gutes Signal. Mit seinem Besuch der Spiele in Sotschi würde er das System nur aufwerten", sagte die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Europäischen Parlament, die Grünen-Politikerin Barbara Lochbihler, der FAZ. Gauck zeige mit seinem Entschluss Haltung. Der Bundespräsident hatte in der Vergangenheit wiederholt mehr Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit in Russland angemahnt.

Spitzenfunktionäre des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) warnten erneut davor, Gaucks Entscheidung als Boykott zu werten. Der Bundespräsident habe einen Besuch nie wirklich im Terminkalender gehabt, sagte Athletensprecher Christian Breuer im Deutschlandfunk. Gauck setze aber ganz sicher ein Zeichen. In einer Mitteilung hatte der Verband zuvor darauf hingewiesen, dass Gauck die deutsche Olympia-Mannschaft bei ihrer Rückkehr in München begrüßen werde.

DOSB-Generaldirektor Michael Vesper betonte, der deutsche Sport werde in Sotschi auf die Wahrung der Grundwerte der Charta des Internationalen Olympischen Komitees achten. "Wir sind natürlich auch nicht unpolitisch. Wir wissen um die Menschenrechtsrechtsverletzungen in Russland. Wir sehen die Probleme auch der Olympischen Spiele in Sotschi", sagte Vesper im ARD-"Morgenmagazin". "Der Sport ist nicht in der Lage, Regierungspolitik grundlegend zu ändern. Aber er kann deutlich machen, was unsere Prinzipien sind, und es ist zugesichert worden, dass diese Prinzipien während der Spiele auch eingehalten werden."

Der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Anton Hofreiter, forderte von der deutschen Politik erhöhten Druck auf Russland zur Einhaltung von Menschen- und Minderheitenrechten. "Die deutsche Politik sollte die Olympischen Winterspiele in Sotschi boykottieren", sagte er im Deutschlandradio. Ob und wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) das Sportereignis besuchen wird, blieb zunächst offen.

Systematische Korruption und demokratische Defizite

Gauck möchte seine Absage nicht als Geringschätzung der Athleten gewertet wissen. Er wolle die deutschen Olympia-Teilnehmer am 24. Februar bei ihrer Rückkehr in München empfangen. Mit diesem Schritt bleibt der Bundespräsident seiner distanzierten Haltung gegenüber Russland treu. Seit seinem Amtsantritt im März 2012 hat er dem Land noch keinen offiziellen Besuch abgestattet; mehrmals kritisierte er rechtsstaatliche Defizite sowie eine Behinderung kritischer Medien in dem Land. Ein für Juni 2012 geplantes Treffen mit Gauck ließ Präsident Wladimir Putin platzen, angeblich aus Termingründen.

Der stellvertretende Vorsitzende der deutsch-russischen Parlamentariergruppe, Lars Klingbeil (SPD), sagte, ein Besuch Gaucks hätte auch die Möglichkeit geboten, um Gespräche mit Reformkräften in Russland zu führen und ihren Anliegen in der politischen Debatte mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Als "Fehler" bezeichnet den Verzicht von Gauck auch der Deutschland-Experte Wladislaw Below. Als Staatsoberhaupt habe er nicht seine persönlichen Interessen zu vertreten, sondern eine Politik für alle Deutschen, sagte Below in Moskau. "Es ist wohl die Entscheidung des Bürgers Gauck, aber nicht die des Bundespräsidenten. Als Staatsoberhaupt muss er über den Dingen stehen. Er ist in seinem Amt immer noch nicht angekommen", sagte der Direktor des Zentrums für Deutschlandforschung bei der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau.

© Süddeutsche.de/dpa/sks/schma - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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