Große Koalition:Gabriels Mondlandung

Die SPD hat ihre Wahlniederlage in einen Erfolg verwandelt. Mit der Mitgliederbefragung hat sich Parteichef Gabriel Respekt in und außerhalb der SPD erworben - und sich als Kanzlerkandidat für 2017 empfohlen. Doch für eine richtige Erneuerung braucht es mehr.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Den Chinesen gelang soeben die Mondlandung. Den deutschen Sozialdemokraten gelang sie auch; jedenfalls fühlt und geriert sich Parteichef Gabriel so. Der Mond, auf den er wollte, ist zwar nicht so weit entfernt wie der Erdtrabant; Gabriels Mond ist nur die große Koalition. Aber niemand wusste wirklich, ob die SPD ihre Parteispitze bis dahin trägt. Gabriel hat den Mitgliederentscheid wie eine Trägerrakete gezündet - ohne zu wissen, ob der Treibsatz reicht. Die Rakete hat ihren Dienst getan, mit überraschend großer Schubkraft. Gabriel landet weich als Vizekanzler auf dem Trabanten GroKo, im Mare Crisium.

Respekt. Am Beginn der großen Koalition steht für die SPD nun nicht mehr die Tristesse der Wahlniederlage vom 22. September, sondern der Stolz auf die Mitgliederbefragung. Man kann daran zweifeln, ob das Motiv für die Zustimmung der Mitglieder durchweg Überzeugung war; die Zustimmung war geboren auch aus der Schwäche der Partei, die keine Alternativen zu Gabriel, Steinmeier und Co. hat - und Angst hatte, das Gesicht zu verlieren. Die SPD ist eine disziplinierte Partei.

Gabriel und Co. haben ihre Wahlniederlage mit einiger Finesse und kluger Anstrengung in ihren Erfolg verwandelt. Sie haben Stroh zu Gold gesponnen. Das war nicht unbedingt Ergebnis ihrer Genialität, sondern der vertrackten Konstellation, in die das Wahlergebnis die große Wahlsiegerin Merkel gebracht hatte. Gleichwohl: Gabriel hat sich in den vergangenen Wochen Respekt erworben in und außerhalb der Partei. Das ist nicht wenig, weil das Wort Respekt seit Längerem nur noch dann in Verbindung mit der SPD gebracht wurde, wenn es um deren Geschichte ging. Die Mitgliederabstimmung war wohl ein SPD-Kanzlerkandidatengesellenstück. Das Werk, das den Meister loben kann, muss erst noch kommen.

Womöglich war die Abstimmung der Anfang vom Ende des Agenda-2010-Traumas, auch wenn Protagonisten von damals immer noch an der Parteispitze stehen. Vielleicht hat die Abstimmung das Ende der rosaroten Weinerlichkeit eingeleitet. Vielleicht. Die Träume des Sigmar Gabriel fliegen jedenfalls hoch. Er sieht im Mitgliederentscheid so etwas wie die Gründungsgeschichte einer erneuerten SPD.

Aber: Erneuerung ist nicht nur eine Sache von drei Wochen guter Debatte mit Abstimmung. An eine solche Erneuerung hat die SPD schon einmal geglaubt nach einer Urwahl; das ist zwanzig Jahre her. Damals wählten die SPD-Parteimitglieder in einer Abstimmung Rudolf Scharping zum Parteichef; Schröder unterlag; die Euphorie hielt damals nicht lang. Nun mag Gabriel stärker sein, als Scharping es war. Aber es ist nicht schon Erneuerung einer Partei, wenn die Zeit ihrer Erniedrigung zu Ende geht. Die großen Dinge geschehen still. Der laute Gabriel muss zeigen, ob er die stille Disziplin beherrscht.

Die Kabinettsbildung gehört noch zur lauten Zeit, sie gehört zur Zeit des lauten Ah und Oh, in der eine personelle Überraschung der bloßen Überraschung wegen noch als besonders gute Leistung goutiert wird. So manche Personalie der neuen Bundesregierung - auf Seiten der SPD der rechtspolitisch völlig unbeleckte Heiko Maas als Justizminister, auf Seiten der CDU die Militärnovizin Ursula von der Leyen als Verteidigungsministerin - scheint vorderhand eher in ein Kuriositätenkabinett, als ins Bundeskabinett zu passen.

Man sollte auch nicht von "Superministerien" reden, nur weil da und dort der Zuschnitt eines Ministeriums verändert wurde. Selbst Sigmar Gabriel steht nicht an der Spitze eines "Superministeriums", nur weil zur Zuständigkeit für die Wirtschaft noch die für die Energiepolitik hinzukam. Den Titel Superminister verdient sich, wer superbe Arbeit macht.

Die Mitgliederabstimmung hat die innerparteiliche Demokratie der SPD demokratisiert. Es wäre bitter, wenn daraus nun ein Leiden des Parlamentarismus erwüchse. Diese große Koalition ist nämlich viel zu groß für eine lebendige parlamentarische Demokratie; die lebt vom Ringen im Parlament. Union und SPD sind schon während der Koalitionsverhandlungen dem Parlament gegenüber selbstherrlich und selbstgefällig aufgetreten.

Es wäre gut, wenn sich die große Koalition als großzügige Koalition erwiese und die Grünen und Linken nicht an den parlamentarischen Katzentisch verwiese. Es wird dieser Koalition guttun, wenn sie nicht nur im eigenen Saft schmort, es also im Parlament nicht nur Rede, sondern auch Gegenrede gibt - und wenn diese Gegenrede nicht nur ein paar Minuten dauert. Gleichwohl: Ein Parlament, dessen Vitalität von der Gnade der Regierung abhängt, ist ein Gnadenparlament.

Eine Minuten-Opposition ist keine Opposition. Und eine Opposition, die keinen Untersuchungsausschuss einsetzen und keine Klage in Karlsruhe erheben kann, ist ein Oppositiönchen. Eine Demokratie aber, die nur ein Oppositiönchen hat, ist nur eine halbe Demokratie.

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