Christoph Waltz inszeniert "Rosenkavalier":Prominenz wird zum Fluch

The Knight of the Rose at the Vlaamse Opera Antwerp

Oscar-Preisträger Christoph Waltz: Kein geborenes Opernregietheatergenie.

(Foto: dpa)

Intendanten versuchen allerorten, die absterbende Oper durch Prominente wieder ins allgemeine Bewusstsein zu bringen. So auch in Antwerpen, wo Oscar-Preisträger Christoph Waltz den "Rosenkavalier" inszeniert. Und krachend scheitert.

Von Reinhard J. Brembeck, Antwerpen

Der joviale Onkel hat sich im Tumult des Familientreffens den Oberarm geritzt. Er macht zwar viel Getue um den Piekser, glaubt aber selbst nicht, dass der sein Leben enden wird. Hauptsache er steht im Mittelpunkt. Doch jetzt liegt er "selig lächelnd wie ein satter Säugling" (Morgenstern) im mattbeigen Beiselinterieur auf einem mattgrünen Sofa und schwadroniert wie immer selbstverliebt vor sich hin.

Matt sind sie alle in Antwerpens Opernhaus. "Der Rosenkavalier" steht auf dem Spielplan, und Albert Pesendorfer, ein eleganter österreichischer Riese mit balsamischem Bass, gibt diesen Onkel, den Ochs. Doch weder als schräge Karikatur in der Hans-Moser-Nachfolge noch als jenen Widerling, als den ihn Librettist Hugo von Hofmannsthal gezeichnet hat: geiler Sexist und Macho, gesellschaftlich unnütz wie alle Adligen, arrogant die Menschheit verachtend und zudem bettelarm. Weshalb er dringend Geld auftreiben muss und dafür sogar die Ehe mit einer Bürgerlichen in Kauf nimmt. Das ist ein Patriarch, der unterm Deckmantel des Schmähs, den Richard Strauss mit subtiler Ironie komponiert, die Welt und vor allem die Frauen betrügt, belügt, ausbeutet.

Aber Hofmannsthals böse Abrechnung mit Adel und Patriarchat hat in Antwerpen keinen Platz. Weil der zweifache Oscar-Preisträger Christoph Waltz erstmals Opernregie macht und dabei auf keinen Fall einen "Inglourious Basterd" geben und auch keinen zeigen will. Also ist Pesendorfers Ochs unendlich edel, brav und fad. Wenn die melancholisch fein verhuschte Marschallin der Maria Bengtsson dessen Erstauftritt mit den Worten "Da geht er hin, der aufgeblasene schlechte Kerl" kommentiert, kann sie auf keinen Fall diesen gut situierten Rentner meinen. Der nur gegen das Ende zu, da war dann Waltz die eigene Regie wohl zu aseptisch, einen täppischen Vergewaltigungsversuch unternimmt, der ganz eindeutig nicht den charmierenden Routinier in grapschender Anmache verrät.

Verschiedene Spielarten von Liebe

Hofmannsthal zeigt im "Rosenkavalier" die verschiedensten Spielarten von Liebe, deren Opfer immer die Frauen sind. Zwangsverheiratung, heute im Islam angeprangert und lange Standard in Europa, traf die Marschallin und soll jetzt die junge Sophie treffen. Aber die Zeiten haben sich geändert. Christiane Karg zeigt eine junge Bürgerliche, durchaus nicht auf den Mund gefallen, aber hinreißend charmant. Wie Bengtsson als Marschallin gibt auch Karg ihr Rollendebüt, und bei beiden fällt eine Frische und pochende Neugier auf, die ihnen eine zarte Verzweiflung und subtile Erotik ermöglicht. Kargs Sophie lässt sich also den Ochs nicht gefallen, sie fällt lieber auf den Rosenkavalier Octavian herein. Der hat ihre Altersklasse, sieht gut aus, hat Geld und scheint, nun ja, ihre Liebe mehr oder weniger zu erwidern. Soweit das Männern möglich ist.

Zu den perfiden Aspekten des "Rosenkavaliers" zählt, dass Hofmannsthal in Octavian bereits den künftigen Ochs ahnen lässt. Beide gehen gleicherweise rüde mit den Frauen um, beiden sind sie bloß Lustobjekt. Wie Octavian die Marschallin en passant und im Beisein seiner neuen Flamme abserviert, demütigt nicht nur beide Frauen. Das hat emotional die Größe eines GAUs. Aber offensichtlich ist Stella Doufexis' leicht steifem Octavian die ganze Geschichte, wenn nicht die ganze Oper peinlich. Ihre Sache ist das alles nicht. So befremdet läuft sie zumindest herum.

Schwach inszeniert, schwach dirigiert

Auch scheint sich in Antwerpen niemand allzu viele Gedanken darüber gemacht zu haben, warum hier eine Frau einen Adligen spielt, der sich am liebsten als Dienstmädchen verkleidet. Dass Ochs von diesem ständig die Geschlechter und Identitäten wechselnden Wesen fasziniert und abgestoßen wird, versteht sich. Blitzt doch durchs hermaphrodit Androgyne ein schwuler Zug, der einem gestandenen Macho Angst und Schrecken einjagen muss. Aber für die Unter- und Zwischentöne dieses raffinierten und hinterhältigen Stücks hat Waltz kein Händchen.

Genauso wenig wie sein Dirigent Dmitrij Jurowski, Musikchef des Hauses und Spross einer bekannten Musikerfamilie. Von Anfang an lässt er das Orchester zu laut, zu direkt, zu massiv spielen. Trauer, Melancholie, Ironie, impressionistische Schleier, Weltschmerz und Walzerseligkeit, und sei sie noch so verlogen, sind an diesem Abend Mangelware. Der Höhepunkt der Indifferenz, ja der Unsensibilität wird mit der ersten Begegnung von Octavian und Sophie erreicht.

Einfach deftig weiter

Das ist die ganz große Liebe auf den allerersten Blick, ein die Welt aus den Angeln hebender Moment der Theatergeschichte. Dass der Regiedebütant Waltz das Außergewöhnliche nicht inszenieren kann: geschenkt. Dass Jurowski das nicht dirigieren kann, ist fatal. Hier müsste sich im Orchester das Paradies auftun, hier müsste es Licht werden wie bei der Schöpfung, hier müsste mindestens die Hälfte, und nicht nur die weibliche, des Publikums ohnmächtig werden. Strauss hat die Stelle anschaulicher und verführerischer komponiert als alles sonst. Jurowski aber macht so deftig weiter, wie er angefangen hat. Weil der Dirigent nicht abhebt, bleiben auch die Sänger auf dem Boden von Annette Murschetz' karg gezeichnetem Salon. Das ist keine weltensprengende Liebe, sondern nur eine Kleinbürgerromanze. So wie eben der ganze Abend ein Meisterwerk auf veredeltes Heurigentheater herunterhandelt.

Es ist nur zu verständlich, dass ein kleines Haus wie die Vlaamse Opera einem weltberühmten Schauspieler wie Christoph Waltz die Möglichkeit für sein Operndebüt einräumt. Schließlich versuchen alle Intendanten, die von Vorurteilen wie finanziellen Engpässen bedrohte Oper durch Prominente wieder ins allgemeine Bewusstsein zu bringen, aus dem sie unaufhaltsam verschwindet. Meist kommen dann Cineasten zum Zug, Regisseure, Produzenten, Schauspieler. Auch wenn Michael Haneke mit seinen beiden Mozart-Arbeiten Sensation gemacht hat, geht das in der Regel schief. Aus dem einfachen Grund, weil Opernregie ein höchst schwieriges Handwerk sui generis ist, das gelernt sein will - selbst gewiefte Opernmacher sind vor Pleiten nicht gefeit.

Der Glaube ans geborene Opernregietheatergenie, der hinter solchen Entscheidungen steckt, ist schlicht naiv. Geradezu fahrlässig aber ist es, einem Neuling ein so vertracktes Stück wie den "Rosenkavalier" anzuvertrauen, das alles andere als ein Selbstläufer ist. Denn das leicht Scheinende in der Kunst ist irrsinnig schwer zu machen. So aber wird Prominenz zum Fluch für die absterbende Oper, da sie durch Selbstüberschätzung und mangelnde Kompetenz ihren Niedergang befördert.

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