Verbot der Muslimbrüder in Ägypten:Volksfeind Nummer eins

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Eine 80 Jahre alte Gruppierung wird verboten: Wer jetzt in Ägypten Muslimbruder ist oder mit ihnen symphatisiert, der muss um seine Freiheit, vielleicht sogar sein Leben fürchten. Den neuen Machthabern geht es damit nicht um Versöhnung, sondern um die Sicherung ihrer Herrschaft. Das wird zu noch mehr Gewalt im Land führen.

Ein Kommentar von Tomas Avenarius, Kairo

Vor dem Polizeihauptquartier einer ägyptischen Provinzstadt explodiert eine Autobombe, drinnen die Beamten, draußen Passanten, Anwohner, Frauen, Kinder. Die Bilanz des Attentats von Mansura sind mehr als 130 Verletzte. Zwei Tage später geht eine Bombe in einem Linienbus in Kairo hoch, vor einer Universität, wieder werden Menschen verletzt. Das nächste Attentat wird nicht lange auf sich warten lassen, ob in der Hauptstadt oder in der Provinz: Der Terror nimmt Ägypten in seinen Griff.

Das war absehbar. Ein halbes Jahr nach dem Sturz des gewählten Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär hat das neue Regime keine Antwort darauf geliefert, wie es die Spaltung des Landes in zwei Lager überwinden, wie es die entmachteten Islamisten und ihre Anhängerschaft in den politischen Prozess einbeziehen will. Stattdessen hat es allen Andersdenkenden den Krieg erklärt: Die Muslimbruderschaft wurde jetzt als Terrorgruppe gebrandmarkt.

Jeder Symphatisant riskiert seine Freiheit

Die Organisation also, aus deren Reihen der im Sommer 2012 immerhin frei gewählte und ein Jahr später von der Armee gestürzte Präsident stammte, sie ist nun der Volksfeind Nummer eins. Wer der Bruderschaft angehört, mit ihr sympathisiert oder auch nur an einer von ihr organisierten Demonstration teilnimmt, riskiert seine Freiheit, möglicherweise sein Leben. Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Die meisten Anhänger der Islamisten werden sich aus Angst von den Muslimbrüdern abwenden. Ein kleinerer Teil wird sich radikalisieren: Neuer Terror wird zwangsläufig folgen. Nicht dass ein Außenstehender den ägyptischen Islamisten viel hätte abgewinnen können während ihrer Herrschaft. Sie waren politisch inkompetent, ideologisch verblendet.

Schutz der eigenen Herrschaft

Ein Teil ihrer Führer hat sich möglicherweise wirklich mit Terroristen eingelassen, das müssen die Gerichte klären. Das Verwerflichste an der Herrschaft der Islamisten aber war, dass sie die Gesellschaft bewusst gespalten hatten: Nicht umsonst hat der größere Teil des enttäuschten Volkes den Putschisten zugejubelt.

Nur: Deshalb kann der Staat nicht einfach einen Teil der Bürger unbesehen kriminalisieren. Der mehr als 80 Jahre alten Gruppierung gehören Tausende Ägypter an, Millionen sympathisieren mit ihr, weitere Millionen wurden von den Brüdern über Jahrzehnte sozial unterstützt, in Krankenhäusern umsonst behandelt, in Schulen ausgebildet, in Universitäten geschickt, politisch geprägt.

Aber Versöhnung ist kaum das erste Anliegen der neuen Machthaber. Ihnen geht es um den Schutz der eigenen Herrschaft.

Dafür müssen alle Muslimbrüder vor Gericht, ins Gefängnis. In einem Land, das der Geburtsort des politischen Islam ist, wird das mit Sicherheit nicht funktionieren: Es wird immer Islamisten geben in Ägypten, alle einsperren kann man nicht.

Islamismus ist Teil der ägyptischen Gesellschaft

Frühere Herrscher - vom Volksidol Abdel Nasser bis zum Durchschnittsdiktator Hosni Mubarak - hatten es erfolglos versucht. Der Islamismus ist Teil der ägyptischen Gesellschaft. Man kann ihn nicht ausrotten, sondern bestenfalls politisch geschickt bekämpfen.

Aber die Hardliner im Kairoer Regime haben sich durchgesetzt. Kluge Politik ist ihre Sache nicht. Der Polizeistaat aus Nassers und Mubaraks Zeiten besinnt sich lieber auf sich selbst: In der Repression aller politisch Andersdenkenden liegt seine Kernkompetenz. Deshalb werden nicht nur Islamisten vor Gericht gestellt, sondern auch die Jugendaktivisten von 2011: Dissens und Demonstrationen sind unerwünscht im neuen, alten Ägypten.

Auf Terror folgt Gewalt

Eine mindestens so große Gefahr kommt inzwischen allerdings von anderer Seite: von den wirklich Militanten. Zu dem Autobombenanschlag in der Provinzstadt Mansura bekannt hat sich eine Untergrundgruppe, die bisher nur auf der abgelegenen Sinai-Halbinsel aktiv war: "Die Unterstützer Jerusalems" sprechen von Vergeltung für "das Blut unschuldiger Muslime, das die Ketzer-Regierung vergossen hat". Das innenpolitische Klima der Ausgrenzung, die seit dem Mursi-Sturz anhaltende Repressionswelle gegen jede Art von Opposition liefert den Bombenlegern nun den billigen Vorwand für ihre Verbrechen.

Auf Terror folgt neue staatliche Gegengewalt: Der Kreislauf schließt sich und die Regierung hat mit dem Antiterrorkampf zugleich die Entschuldigung für ihr Versagen in der praktischen Politik, wo sie weder Arbeitsplätze schafft, noch Zukunftsperspektiven eröffnet. Vor diesem Hintergrund bereitet Ägypten sich auf den Übergang zur Demokratie vor: neue Verfassung, freie Wahlen. In einem Umfeld aus staatlicher Repression und dem Terror der Militanten kann dies, wenn es denn von den Machthabern beabsichtigt sein sollte, nach menschlichem Ermessen nicht gelingen.

© SZ vom 27.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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