Proteste in Istanbul:Türkische Polizei vertreibt Tausende Regierungsgegner

Demonstrators run away from tear gas during an anti-government protest in central Istanbul

Demonstranten versuchen im Zentrum Istanbuls dem Tränengas der Polizei zu entkommen.

(Foto: REUTERS)

Wasserwerfer, Tränengas und Plastikgeschosse: Die türkische Polizei ist am Samstag gewaltsam gegen regierungskritische Demonstranten in Istanbul vorgegangen, Dutzende Protestierende wurden festgenommen. In der Nacht hat sich die Lage zwar beruhigt - doch die Polizisten bleiben auf ihren Posten.

In Istanbul und Ankara hat sich die Lage in der Nacht zum Samstag nach einem gewaltsamen Polizeieinsatz gegen Demonstranten beruhigt. Polizisten blieben jedoch auf ihren Posten.

Die türkische Polizei war am Freitagabend mit großer Härte gegen Tausende regierungskritische Demonstranten im Zentrum von Istanbul vorgegangen. Die Sicherheitskräfte hatten schon vor dem geplanten Beginn einer Kundgebung Wasserwerfer, Tränengas und Plastikgeschosse eingesetzt.

Demonstranten forderten in Sprechchören den Rücktritt der Regierung im Zuge des Korruptionsskandals. Sie skandierten außerdem wie bereits bei den Protesten im Sommer: "Überall ist Taksim, überall ist Widerstand." Einzelne bewarfen die Wasserwerfer mit Steinen.

Die Polizei verwehrte den Demonstranten den Zugang zu dem in Teilen abgeriegelten Platz, auf der zum Taksim-Platz führenden Einkaufsmeile gingen die Einsatzkräfte gegen Gruppen von Demonstranten vor und verfolgte sie in Seitengassen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft gab es in Istanbul mehr als 30 Festnahmen.

Grund für die Proteste ist ein Korruptionsskandal, der die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan seit mehr als einer Woche erschüttert. Mehrere hohe Regierungsmitglieder sollen in illegale Geschäfte mit dem Iran verwickelt sein. Erdoğan tauschte daraufhin zehn Minister aus. Gleichwohl werden wegen des Skandals die Rufe nach einem Rücktritts des Regierungschefs selbst immer lauter. Das oberste Verwaltungsgericht hatte am Freitag einen Erlass der Regierung gekippt, mit dem Ermittler dazu gezwungen werden sollten, Vorgesetzte über ihre Untersuchungen zu informieren.

Der für die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara zuständige EU-Kommissar Stefan Füle begrüßte die Entscheidung des Gerichts. Die von der Regierung beschlossenen Vorschriften für die Polizeiarbeit hätten "die Unabhängigkeit der Justiz und deren Handlungsfähigkeit untergraben", hieß es in einer Erklärung Füles. Er erinnerte die Türkei an ihre Pflichten als Beitrittskandidat und forderte die Regierung auf, "alle nötigen Schritte zu unternehmen, damit die Vorwürfe von Rechtsverletzungen ohne Benachteiligung oder Bevorzugung transparent und unparteiisch aufgeklärt werden".

Erdoğan; Türkei; Proteste; Korruptionsaffäre; Regierungskrise

Der türkische Premier Erdoğan am Freitag bei einem Auftritt auf dem Atatürk-Flughafen in Istanbul

(Foto: dpa)

Vom Gezi-Park am Taksim-Platz waren schon im Sommer Proteste gegen Erdoğans Regierung ausgegangen, die auf weitere Landesteile übergriffen. Auslöser damals war ein umstrittenes Bauprojekt in Istanbul. Die Wut vor allem junger Leute richtete sich aber auch gegen das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte und die als autoritär kritisierte Regierungsführung Erdoğan.

Erdoğan selbst warb am Freitag bei öffentlichen Auftritten in Ankara und Istanbul um die Unterstützung seiner Anhänger. Vor den anstehenden Kommunalwahlen forderte er sie auf, mit ihrer Stimme für Erdoğan ein Zeichen zu setzen - gegen die nach seinen Worten aus dem Ausland gesteuerte Verschwörung gegen ihn.

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