Enthüller Greenwald beim CCC:"Sie wollen die Privatsphäre eliminieren"

Ein Reporter auf Mission: Snowden-Enthüller Glenn Greenwald hält die Hauptrede beim Hackerkongress des CCC in Hamburg - und bekommt Beifall von Tausenden, als er zum Kampf um die digitale Freiheit aufruft. Er hofft jetzt auf neue Whistleblower.

Von Hakan Tanriverdi, Hamburg

Wie heißt eigentlich das Gegenteil des berüchtigten Nullsprech? Das Gegenteil jener Sprache, die so inhaltsleer ist, kaum mehr als heiße Luft, aber so weit verbreitet in der Welt der Kongresse und öffentlichen Auftritte?

Vielleicht sollte man sie Einsersprech nennen, zumindest an diesem Freitagabend beim Kongress des Chaos Computer Clubs (CCC) in Hamburg, der sich ja eben um eine Welt von Nullen und Einsen dreht. Der Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald hält hier, auf der 30C3 getauften Jahrestagung, per Skype zugeschaltet die Hauptrede. Er spricht über den von ihm mit aufgedeckten Snowden-Skandal, und er tut es in Einsersprech. Tausende klatschen ihm am Ende der Rede stehend Beifall.

Als der einstige Guardian-Reporter an diesem Freitagabend aus seiner Wahlheimat Brasilien zugeschaltet wird, ist die Haupthalle mit ihren 3000 Sitzen voll bis auf den letzten Platz. In Halle zwei wird er ebenfalls übertragen, auch dort: 1500 Sitze besetzt. Der CCC sieht Greenwald in einer zentralen Rolle im Skandal um die NSA und die anderen Geheimdienste, natürlich neben Whistleblower Edward Snowden, und das gigantische Interesse gibt den Organisatoren recht. "Greenwald ist der Aufbereiter der Daten. Er ist die Person, die den Skandal für die Öffentlichkeit fassbar gemacht hat", sagt ein Veranstalter, und an diesem Abend demonstriert der Journalist in seiner Rede (hier zum Nachhören, hier zum Nachschauen), wie er dabei vorgeht.

Wehe dem, der PGP nicht beherrscht

Greenwald spricht gern in Hammerschlägen und achtet auf sein Publikum. In diesem Fall richtet er sich an Nerds, also beginnt er mit technischen Anekdoten. "Ich habe die Snowden-Story fast aus der Hand gegeben (frei übersetzt: 'almost lost the story'), weil ich PGP zu lästig fand." Mit der PGP-Technik kann man E-Mails verschlüsseln. Mittlerweile sei die Hälfte aller seiner E-Mails verschlüsselt, sagt Greenwald, und wenn ein Mailpartner da mal nicht mitmache, sei dem das bisweilen peinlich.

Greenwald ist vor allem deswegen so beliebt unter Hackern, weil er sie mit allem Ernst behandelt. Ende Oktober riet ihm etwa der Kryptografie-Experte Matthew Green, auf TrueCrypt zu verzichten: eine Software zum Verschlüsseln von Festplatten, die zumindest zeitweise auch für die Snowden-Dokumente benutzt wurde. Green will den öffentlich einsehbaren Code der Software erst überprüfen, er hat dafür 46.000 US-Dollar an Spenden eingesammelt - solange die Software nicht einwandfrei als sicher gelte, solle Greenwald eine andere benutzen und einige Tipps befolgen, riet Green. Der Journalist spricht darüber, dass die Tipps schrecklich umständlich seien, aber: "Falls es notwendig ist, werde ich das machen."

Diese Haltung, eine Mischung aus Dankbarkeit und Wertschätzung, zieht sich durch Greenwalds Rede vor der Hackern. "Ich denke, letztlich können die Leute hier und die Fähigkeiten, die sie besitzen, eine Art Gegenwehr sein gegenüber der Regierung", sagt er. Das hören die Hacker gern, aber der Satz ist nicht bloße Schmeichelei. Er ist auch eine Aufforderung. Der Kampf für Freiheit und Demokratie im Internet, für einen zuverlässigen Schutz vor Repression durch den Staat, werde ein technischer Kampf sein, sagt Greenwald. Die Frage sei, wie technisch kompetente Menschen ihre Fähigkeiten einsetzen.

Welche Seite wählen Hacker - die des Staates oder die der anderen?

Arbeiten Hacker daran, die Privatsphäre im Netz zu verbessern? Oder basteln sie Codeschnipsel für eine Überwachungstechnologie, mit der es möglich ist, ganze Völkergruppen zu überwachen? Für die NSA arbeiten schließlich ebenfalls versierte Experten, Snowden war dort nur einer von vielen.

Greenwald bekommt für seine präzisen Sätze zuverlässig Applaus; er ist beim CCC mit seiner Botschaft angekommen. Hier in diesem Saal und unter diesen Menschen könnte er zu Hause sein. Man merkt das an seinem Gesichtsausdruck. Während er in den vielen Interviews im vergangenen halben Jahr immer einen kritischen Blick im Gesicht hatte, allzeit darauf gefasst, angegriffen zu werden, wirkt er jetzt gelassen. Seine Geschichte, die er erzählt, ist bekannt und im Kern nur einen Satz lang: "Die NSA will - und ich betone, dass ich das nicht metaphorisch, sondern im wahrsten Sinne des Wortes so meine - die Privatsphäre auf globaler Ebene eliminieren."

Bisweilen wirkt Greenwald, als hätte man ihm eine Trophäe überreicht, auf die er nun mit einer Dankesrede antwortet. Auf seiner Dankesliste, die er tatsächlich verlautbart, stehen: Laura Poitras, mit der er Snowden in Hongkong besucht hat; Snowden selbst; Sarah Harrison von Wikileaks; dazu Wikileaks als Organisation, Chelsea Manning und mit ihr alle andere Whistleblower, insbesondere sein "politischer Held" Daniel Ellsberg. Das ist jener Mann, der einst Kopien eines 7000-Seiten-Geheimberichtes zum Vietnam-Krieg ("Pentagon Papers") an die Öffentlichkeit gebracht hat.

Hoffnung auf den nächsten Whistleblower

Greenwald wirft der US-Regierung vor, allem voran potentielle weitere Whistleblower abschrecken zu wollen und nur deshalb so hart gegen Manning und Snowden vorzugehen. Bei vielen Menschen wirke diese Einschüchterung. Aber die Sache habe auch eine "süße Ironie", denn es gebe eine Gegenreaktion - bei Menschen, die durch diesen Missbrauch der Regierungsmacht erst recht zum Geheimnisverrat angestiftet würden. Allmählich baue sich eine Unzufriedenheit auf, und irgendwann könnten diese Menschen es nicht länger mit ihrem Gewissen vereinbaren, noch zu schweigen.

Die USA züchten ihre eigenen Whistleblower, und Manning und Snowden waren nur die Ersten - das hofft Greenwald. Was immer man von dieser Prognose hält, Nullsprech ist es nicht.

Hier spricht ein Mann auf einer Mission.

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