Kampf um den Arbeitsplatz:Von Amt und Hürden

Kampf um den Arbeitsplatz: Zwei Klagen hat der Münchner R. (hier im Spiegelbild) bereits beim Münchner Arbeitsgericht eingereicht, entschieden ist noch über keine davon.

Zwei Klagen hat der Münchner R. (hier im Spiegelbild) bereits beim Münchner Arbeitsgericht eingereicht, entschieden ist noch über keine davon.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ein schwerbehinderter Mann wird nach 21 Jahren in derselben Firma einfach ausgesperrt. Sein Chef hält ihn für arbeitsunfähig, kündigt ihm aber nicht. Dann stellt die Presse kritische Fragen - und eine groteske Geschichte beginnt.

Von Bernd Kastner

Als führte Kafka Regie. Ein Mann, nennen wir ihn R., darf nach 21 Jahren in derselben Firma plötzlich nicht mehr arbeiten. Ihre Gesundheit!, sagt der Chef. R. ist schwerbehindert und bekommt fortan keinen Lohn mehr, gekündigt wird ihm aber auch nicht. Ein Jahr hält dieser Zustand an, dann erfährt die Süddeutsche Zeitung davon, stellt Fragen an die Firma. Nun handelt der Chef, kündigt R., fristlos, wegen der SZ-Fragen. Die Kündigung aber ist nur wirksam, wenn ein Amt, zuständig für die Integration von Schwerbehinderten, zustimmt. Das tut das Amt: R. habe den Betriebsfrieden gestört, lautet das Urteil der Behörde. Das Arbeitsgericht, eigentlich für Urteile zuständig, sagt bisher nichts.

Diese Geschichte könnte ein absurder Roman sein. Weil sie es nicht ist, wirft sie grundsätzliche Fragen auf: Wer schützt schwerbehinderte Menschen, die wegen ihrer angeschlagenen Gesundheit einfach ausgesperrt werden? Und kann es ein Kündigungsgrund sein, wenn die Presse kritische Fragen an eine Firma richtet?

R., heute 55 Jahre alt, vor Jahrzehnten nach Deutschland zugewandert, ist bei einer mittelständischen Münchner Familienfirma aus der Kfz-Branche angestellt, um die 100 Mitarbeiter hat sie. Zuletzt arbeitete R. zwölf Jahre als thermischer Spritzer. Im August 2012 erhält er einen Brief seines Abteilungsleiters: Auf Weisung der Geschäftsleitung dürfe er R. nicht mehr arbeiten lassen, ehe dessen Gesundheitszustand vollständig geklärt sei.

Tatsächlich ist R. gesundheitlich angeschlagen. Er hat einen Behinderungsgrad von 50 Prozent und, laut Firma, in dreieinhalb Jahren knapp 300 Tage gefehlt. Aber ganz arbeitsunfähig? R. war auf Reha, er will wieder arbeiten. Doch die Firma präsentiert ein ärztliches Attest, der Betriebsarzt bescheinigt, dass R. in seinem Arbeitsbereich nicht mehr arbeiten dürfe. Einen anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz habe man nicht.

Attest widerspricht Attest

R. sagt, der Betriebsarzt habe ihn gar nicht untersucht. Seinerseits legt er ein Attest eines Arztes vor, der ihn für arbeitsfähig hält. Wer hat recht? R. sitzt seit August 2012 zu Hause, es passiert - vorerst nichts. R.s Anwalt Wolfgang Ertel vermutet, dass die Firma eine Schutzlücke gefunden habe: Wer einem Schwerbehinderten kündigen will, braucht die Zustimmung des Integrationsamtes. Wird er aber einfach nicht mehr reingelassen, ist das Amt gar nicht zuständig, ihm wurde ja nicht gekündigt. "Die Firma entledigt sich ihres Mitarbeiters auf kaltem Wege", stellt der Anwalt fest. Im Oktober 2012 reicht er Klage beim Arbeitsgericht ein auf Lohnfortzahlung und Weiterbeschäftigung. Es passiert - weiter nichts.

Man trifft sich im Dezember vor Gericht, Gütetermin, keine Einigung. Monat um Monat vergeht. Die zuständige Richterin wird für drei Monate ans Landesarbeitsgericht abgeordnet, doch das, so versichert das Gericht, habe das Verfahren nicht verzögert. Die Anwälte vereinbaren, einen medizinischen Gutachter zu engagieren, der aber doch nicht beauftragt wird, weil man sich nicht auf die Art und Weise der Beauftragung einigt. Erst ein Jahr nach dem Rauswurf beauftragt das Gericht einen Gutachter. Ansonsten passiert - nichts.

August 2013: Es hat R. Mühe gekostet, die Arbeitsagentur davon zu überzeugen, ihm, der einen gültigen Arbeitsvertrag hat, Arbeitslosengeld zu zahlen. Dafür muss er sich auf freie Stellen bewerben, während er vor Gericht um die Rückkehr auf seinen Arbeitsplatz kämpft.

Unangehmene Fragen - und keine Antworten

Als die Süddeutsche Zeitung von dieser absurden Geschichte erfährt, stellt sie der Firma die naheliegenden Fragen. Stimmt es, dass der Betriebsarzt R. gar nicht untersucht hat? Gibt es für R. keinen alternativen Arbeitsplatz in der Firma? Ist der Rauswurf vereinbar mit der Fürsorgepflicht eines Arbeitgebers nach 21 Jahren Betriebszugehörigkeit? Der Chef lässt seinen Anwalt mitteilen, dass man nicht antworte.

Einen Tag später geht beim Integrationsamt Oberbayern ein ausgefülltes Formular ein. Darin beantragt die Firma, den Schwerbehinderten fristlos und zugleich ordentlich kündigen zu dürfen. R. habe sich mit Aussagen an die Presse gewandt, die den Ruf des Unternehmens schädigen könnten. Plötzlich geht alles ganz schnell.

Nächstes Kapitel: Hartz IV

Das Integrationsamt ist dem Sozialministerium untergeordnet. Es "fördert die berufliche Eingliederung von schwerbehinderten Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt" und "ist für den besonderen Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen zuständig".

Die Selbstdarstellung klingt, als wäre das Amt eine Art Schutzbehörde für Behinderte. Anwalt Ertel weist für seinen Mandanten den Vorwurf zurück, R. habe bei der Presse seinen Arbeitgeber schlecht gemacht. Es steht Aussage gegen Aussage, zwei Beamte des Integrationsamtes treffen zwei Entscheidungen am selben Tag.

Erstens: Der Beamte D. entscheidet nicht über die fristlose Kündigung, sodass die sogenannte Zustimmungsfiktion eintritt. Das geschieht automatisch nach dem Ablauf einer Frist von zwei Wochen. Das Amt, erklärt dessen Chefin, entscheide meist dann nicht, wenn es eigentlich zustimmen würde, sich aber Schreibarbeit ersparen will.

Zweitens: Der ordentlichen Kündigung des schwerbehinderten R. stimmt der Beamte G. ausdrücklich zu. Für diese Entscheidung hätte man mindestens vier Wochen Zeit gehabt, für das Amt aber ist die Sache klar. Zwar sei es nicht Aufgabe des Integrationsamtes, eine zweite arbeitsgerichtliche Prüfung vorzunehmen, sagt seine Chefin. De facto ist die amtliche Prüfung aber eine Art erste Instanz, und der Duktus des Bescheids erinnert an ein Urteil: R. habe gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, die "Vorkommnisse" könnten "auch nicht mit seiner Behinderung entschuldigt werden". R. wird angelastet, dass die SZ Fragen gestellt hat.

Zweifel am Integrationsamt

Die Tatsache, dass R. ein Jahr lang ohne Lohn und Brot war, und zwar ungekündigt, erwähnt der Beamte nicht. Auch kommt im Amt offenbar niemand der Gedanke, dass sich die SZ allein wegen dieses ungewöhnlichen Zustands für die Geschichte R.s interessiert. Und könnte man seine Aussperrung nicht als Folge der Schwerbehinderung sehen? Das Integrationsamt aber stellt fest, dass die Behinderung nichts mit der Kündigung zu tun habe und stellt sich auf die Seite des Arbeitgebers.

Jetzt drängen sich auch Fragen ans Integrationsamt auf, aber die Behörde schweigt: Man dürfe leider nichts sagen zu dem Fall, weil die Firma die Behörde nicht von der Schweigepflicht entbunden habe. Nur allgemein äußert sich die Amtschefin: Dass man sich streng an die Gesetze halte; dass man zwar keine Ermittlungsbehörde sei, einen strittigen Sachverhalt aber sehr wohl aufklären müsse.

Beispiel: Ein Chef behauptet, ein Mitarbeiter habe geklaut und werde deshalb entlassen. Der Mitarbeiter bestreitet das, es steht Aussage gegen Aussage. Dann müsse das Amt ermitteln: Dieb oder nicht Dieb? In der Causa R. bleibt offen, wie das Amt ermittelt hat. Woher will es wissen, ob R. mit der SZ kommuniziert hat? Und wenn ja, wie? Vor allem aber möchte man wissen, was das amtliche Plazet zu dieser Kündigung in der Konsequenz bedeutet: Muss jeder Schwerbehinderte, für dessen Arbeitsverhältnis sich ein Journalist interessiert, damit rechnen, dass das Integrationsamt seinem Rauswurf zustimmt?

Und wieder passiert - nichts

Beim Arbeitsgericht reicht R. eine zweite Klage ein, jetzt auf Kündigungsschutz. Man trifft sich im November, nun ist eine andere Richterin zuständig. Wieder ein Gütetermin, in den fünf Minuten aber passiert - nichts. Das Gericht bestimmt nur den nächsten Termin: März 2014.

Wenig später, im 14. Monat des ersten Verfahrens, geht das Gutachten eines Arbeitsmediziners der Universität ein. Ist R. tatsächlich arbeitsunfähig? Nein, urteilt der Arzt, er ist arbeitsfähig, zumindest als thermischer Spritzer, der er zwölf Jahre lang war. Nächster Termin in diesem Verfahren: Februar.

Und jetzt? R. weiß es nicht. Er ist gefangen in einem Dreieck der Lähmung, zwischen seiner Firma, dem Integrationsamt, dem Arbeitsgericht. In ein paar Wochen läuft sein Arbeitslosengeld aus. Das nächste Kapitel in dieser Geschichte wäre dann überschrieben mit Hartz IV.

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