Talk bei Maybrit Illner:Glauben an ein Fußball-Wunder

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Ex-Fußballspieler Thomas Hitzlsperger auf einer Aufnahme von 2010. (Foto: dpa)

Das Coming-out von Hitzlsperger? In der Talkshow von Maybrit Illner finden es alle klasse. Dennoch tasten sich Sportexperten und -funktionäre seltsam verzagt an das Thema heran. Nur die anwesenden Schwulen reden Klartext.

Eine TV-Kritik von Hannah Beitzer

Wann hat es das zuletzt gegeben, dass eine Talkshowredaktion vor einer Diskussion beschließt: Lassen wir heute mal ausnahmsweise keine Gegner und Befürworter, möglichst in Gestalt von Vertretern besonders kruder Thesen, aufeinander los? Wenn da eine Runde sitzt, in der sich prinzipiell alle einig sind?

So passiert bei Maybrit Illner: Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes, Willi Lemke, Vorsitzender des Aufsichtsrates beim Fußball-Bundesligisten SV Werder Bremen, und Manfred Breuckmann, Sportreporter, sitzen da und loben den Mann der Stunde: Thomas Hitzlsperger, ehemaliger Nationalspieler, Deutscher Meister 2007 mit dem VfB Stuttgart und seit kurzem: der erste prominente deutsche Fußballer, der über seine Homosexualität gesprochen hat. Ein wichtiger Schritt sei sein Coming-out, sagte Hitzlsperger, für den Fußball und für die Gesellschaft sowieso.

Nur was aus diesem wichtigen Schritt nun folgt, daran tasten sich die Sportfunktionäre und -experten bei Illner allenfalls heran. Die Vorstellungskraft jedenfalls, dass sich bald auch ein aktiver Spieler outen könnte, besitzen weder Breuckmann noch Vesper oder Lemke.

"Hochneurotisches Verhältnis zur Homosexualität"

Lemke gesteht freimütig, er würde Spielern davon abraten, sich zu outen - da sage doch jeder Trainer: "Da wackelst du dann durch 120 Talkshows." Sportreporter Breuckmann glaubt gar, dass ein Coming-out den "harten Kern" sowieso "nicht die Bohne" berühre: "Das ist ein hochneurotisches Verhältnis zur Homosexualität." Funktionär Vesper hingegen betont lieber, wie viel sich doch in den vergangenen Jahren getan habe in den Verbänden - Broschüren habe es gegeben und Kampagnen. Und hofft, dass sich dank solcher Aktionen "in einem künftigen möglichen Fall" die Mitspieler solidarisch hinter ihren Teamkameraden stellen würden. Noch aber sei "der Sport nicht so weit".

Auf die Fragestellung der Sendung - "Wie homophob ist der deutsche Fußball?" - gibt es keine richtige Antwort, dafür ein paar Fremdschäm-Momente, wenn Illner auf der Suche nach Pointen von der Homoerotik des Trikottausches, verschwitzter Umarmungen und der Dusche nach dem Spiel träumt. Wahrscheinlich deswegen, weil die Redaktion mit ihrer Leitfrage schlicht zu kurz gedacht hat. Das machen vor allem die beiden schwulen Diskutanten der Runde deutlich.

Das ist zunächst der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, der ja so etwas wie der Thomas Hitzlsperger der deutschen Politik ist, seitdem er mit seinem "Ich bin schwul und das ist auch gut so" das Tabu Homosexualität in der Politik brach. Homophobie, so stellte der SPD-Politiker völlig richtig fest, gebe es schließlich nicht nur im Fußball, sondern in der Gesellschaft allgemein. "Damit muss man leben, dass die sexuelle Orientierung bei Auseinandersetzungen, die nichts damit zu tun haben, thematisiert wird", sagt er etwa über seine eigenen Erfahrungen.

Wie diffus Homophobie sein kann, beschreibt der ehemalige Fußballer Marcus Urban, der 2007 sein Coming-out hatte. "Einerseits ist man sich so nah in verschiedenen Situationen, aber das ist eben auch das Problem", schildert Urban, der in der Jugend für Rot-Weiß Erfurt spielte und seine Karriere kurz vor dem Wechsel zu den Profis beendete. Sobald da Homosexualität als Thema aufkäme, würde das zu Verunsicherung führen: "Will der jetzt was von mir?" Das sei allerdings nicht nur bei Fußballern so, sondern auch bei Soldaten, Polizisten, Feuerwehrleuten.

Fünf Minuten für Sotschi

Beide, Urban und Wowereit, widersprechen Breuckmann, der viel Applaus bekommt für seinen Ausspruch: "Ist mir egal, ob der Regierende Bürgermeister von Berlin schwul ist." Genau das sei ja das Problem, sagt Wowereit. Es heiße immer: "Mach es, aber sag es nicht." Urban sieht das ähnlich: "Wenn man nicht darüber spricht, dann bekommt das etwas Anrüchiges." Eine Beziehung sei eben keine rein intime Angelegenheit, weil Heterosexuelle schließlich auch oft davon sprächen, etwa "wenn Sie mir sagen: Ich gehe mit meinem Mann ins Kino", erklärt er an Illner gewandt.

Die größte Schwäche der Runde ist es, dass einige wichtige Themen zwar angesprochen werden, aber nicht den ausreichenden Raum erhalten. Zum Beispiel die Frage: Warum ist eigentlich ein schwuler Fußballer eine Sensation, eine lesbische Fußballerin aber ganz normal? Darüber können die versammelten Herren nur mutmaßen - wäre nett gewesen, wenn tatsächlich eine Frau da gewesen wäre. Und der Riesenkomplex Sotschi, den Hitzlsperger in seinem wegweisenden Interview mit der Zeit extra erwähnt hat? Er wird in die letzten fünf Minuten der Sendung gepresst.

Liebe, Hoffnung, Glaube

Kein Wunder, dass da lediglich die alten Positionen - ja, nicht einmal diskutiert, sondern nur vorgetragen werden: Die einen sind für einen Boykott der Spiele, die anderen hoffen, dass dank der Spiele eine Diskussion und eventuell sogar ein Umdenken im homophoben Russland stattfindet.

Vor allem Urban ist es letztendlich zu verdanken, dass die Hitzlsperger-Talkshow ihre erhellenden Momente hat. Reflektiert und klar spricht er über seine Erfahrungen und Gefühle - ganz ähnlich wie Hitzlsperger selbst. An Urban wird auch deutlich, dass mit den Jahren die emotionale Angespanntheit nachlässt und die Gelassenheit kommt. Auf die Frage, ob ein Profi auch nach seinem Coming-out aufs Feld gehen und so spielen könne wie vorher, antwortet er als Einziger schlicht: "Doch, ich glaube, dass das passieren wird." Von der (homosexuellen) Liebe zur Hoffnung und schließlich zum Glauben - eigentlich ein schöner Schlusspunkt für einen langen Fernsehabend.

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