Israel:Angst vor einer dritten Intifada

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Palästinensische Steinewerfer sind Alltag für die israelischen Sicherheitskräfte. Gegen die neuartige Bedrohung aber fehlt ihnen bislang ein Rezept. (Foto: dpa)

"Keiner gibt Befehle, keiner zieht die Strippen": Palästinensischen Einzeltätern gelingt es immer wieder, das Radarsystem der Israelis zu unterlaufen. Deren hochgerüstetes Militär scheint machtlos gegen die diffuse Bedrohung. Politiker warnen vor einer neuen Intifada.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Steinwürfe sind der Alltag, Molotow-Cocktails sind normal. Im besetzten Westjordanland hat Israels Armee reichlich Erfahrung damit, den Widerstand der Palästinenser zu brechen. Doch in jüngster Zeit zeichnet sich ein neues, sehr diffuses Muster von Angriffen ab, gegen die das hochgerüstete Militär noch kein Rezept gefunden hat. Manche Politiker sehen darin bereits die Vorboten einer neuen, dritten Intifada.

Davon will die Armeeführung zwar nichts wissen. "Aber die Situation ist nicht leicht für uns", sagt ein hochrangiger israelischer Offizier, dessen Name nicht genannt werden darf. "Wir stehen vor einer neuen Ära in der palästinensischen Arena."

Auf dem altbekannten Kampfplatz tummeln sich neue Kräfte - und zumeist sind das Einzelgänger oder isolierte Gruppen. "Keiner gibt Befehle, keiner zieht die Strippen", sagt der Offizier und zeichnet ein Profil der Täter, die oft von "persönlichen Problemen geleitet" seien. Manche fühlten sich plötzlich aufgerufen, einen vor vielen Jahren erschossenen oder inhaftierten Angehörigen zu rächen.

Andere seien schlicht lebensmüde und versuchten eine Art erweiterten Suizid mit der Garantie eines posthumem Heldengedenkens. "Es klingt vielleicht wie ein schlechter Witz", sagt der Offizier, "aber gibt es eine bessere Art sich umzubringen, als einen israelischen Checkpoint anzugreifen?"

Die meisten dieser Attacken werden, wenn sie nicht tatsächlich mit dem Tod des Angreifers enden, schnell aufgeklärt. Doch auch dann bleiben viele Rätsel: Was zum Beispiel bewegte jene beiden palästinensischen Brüder, die im September den jungen israelischen Soldaten Tomer Hazan in das Westjordanland lockten, um einen weiteren Bruder aus dem Gefängnis freizupressen? Eine solche Geiselnahme ist spätestens seit dem Drama um den von der Hamas mehr als fünf Jahre lang festgehaltenen Soldaten Gilad Schalit der absolute Albtraum der Armee. "Doch diese Männer wussten nicht, was sie mit ihm machen sollten, da haben sie ihn erschlagen und sich zu Hause schlafen gelegt", sagt der Offizier.

Ähnlich schnell geklärt wie dieser Fall war auch die Messerattacke eines 21-jährigen Palästinensers, der in der Siedlung Psagot ein neun Jahre altes Mädchen verletzte. Gesucht wird dagegen noch nach dem Schützen, der in Hebron einen israelischen Soldaten mit einem gezielten Schuss aus großer Entfernung tötete.

All diese Taten haben Ängste geschürt in Israel - und dann kam auch noch die Busbombe von Bat Jam, der Vorstadt von Tel Aviv, am 22. Dezember. Niemand wurde verletzt, weil die abgestellte schwarze Tasche mit dem Sprengstoff rechtzeitig entdeckt wurde und der Fahrer den Bus räumte. Aber der Vorfall bringt die alten Traumata aus Intifada-Zeiten wieder ans Licht. Verhaftet wurden bislang 14 Palästinenser, die den Anschlag geplant und ausgeführt haben sollen. "Aber auch das war eine isolierte Zelle", sagt der Gesprächspartner.

"Für uns ist das schwer zu kontrollieren"

All solche Täter können viel leichter als die üblichen Verdächtigen das Radarsystem der israelischen Aufklärung unterlaufen. "Für uns ist das schwer zu kontrollieren", klagt der Offizier, "wir versuchen noch, irgendeine Art von Frühwarnsystem zu finden." Das bisherige System von Geheimdienstüberwachung, Kollaborateuren und einer Kooperation mit den Sicherheitskräften der palästinensischen Autonomiebehörde von Präsident Mahmud Abbas hilft wenig. Die einzig gute Nachricht in diesem neuen Gestrüpp ist für die Israelis die Erkenntnis, dass die alten Feinde, vor allem die Kämpfer der Hamas, ermattet wirken.

"Sie versuchen alles, aber sie sind im Westjordanland derzeit zu schwach", sagt der Offizier. Auch der regierenden Fatah gelänge es nicht mehr, die Leute zu mobilisieren. Trotz aller Aufrufe gäbe es "keine Energie", um die Massen zum Protest gegen die israelische Besatzung zu bewegen. Er macht dafür eine "Kombination von Gründen" verantwortlich: Die Westjordanland-Palästinenser wollten keine Zustände wie im Gazastreifen oder in Syrien und Ägypten. Zum andern seien sie von der Hamas und der Fatah mehr als enttäuscht. "Beide haben nicht geliefert", sagt der Offizier, "es gibt keine Ideologie mehr, die die Leute bewegt. Vielleicht kommt eine dritte Kraft."

Eine solche "dritte Kraft" könnten die Salafisten sein, die nach Einschätzung der israelischen Sicherheitskräfte auch im Westjordanland Zulauf haben. Ende November wurde eine Zelle in Hebron ausgehoben, dabei starben drei Salafisten in einem Gefecht mit israelischen Truppen. Unruhe könnte zudem von außen hineingetragen werden - aus Syrien vor allem. "Wir wissen, dass auch Palästinenser aus dem Westjordanland in Syrien kämpfen", sagt der Offizier. Wie viele, könne er allerdings nicht sagen.

Eine Verbesserung der Sicherheitslage durch die Friedensverhandlungen erwartet er nicht. "Gewalt gibt es immer", sagt er, "und wir müssen die ganze Zeit unser Bestes geben, um Terroranschläge zu verhindern."

© SZ vom 11.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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