Erdoğan in Brüssel:Effektiv ergebnislos

Recep Tayyip Erdoğan während einer Pressekonferenz anlässlich seiner Visite in Brüssel EU Türkei

Recep Tayyip Erdoğan während einer Pressekonferenz anlässlich seiner Visite in Brüssel

(Foto: REUTERS)

Er poltert nicht, aber er bleibt bei seiner harten Linie: Der türkische Premier Erdoğan verteidigt während seines Besuchs bei der EU in Brüssel den brüsken Umgang mit der Justiz und unliebsamen Beamten in seinem Land. Am Ende erlaubt er sich, auf eine Verschwörungstheorie anzuspielen.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Ganz am Ende, als eigentlich alles gesagt war, fand es Recep Tayyip Erdoğan wichtig, die Europäer noch einmal an eine Zahl zu erinnern. "Die Türkei steht auf Platz 18 der größten Ökonomien der Welt", sagte der Ministerpräsident. Es könne durchaus sein, dass dies nicht jedem gefalle.

Da war sie wieder, die Verschwörungstheorie. Während seines Besuchs bei der Europäischen Union in Brüssel trat der Türke zwar nicht polternd auf, aber er wiederholte sein Lied von der Missgunst, die hinter der Kritik an ihm und seiner Führung stecke.

Erdoğan habe seine Analyse der Lage in der Türkei präsentiert, so formulierten es EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und der Chef der EU-Kommission, José Manuel Barroso, im Anschluss an die Gespräche. Es sei eine "offene und ehrliche Diskussion" gewesen, sagte Barroso. Erdoğan sprach von einem "effektiven Treffen". Im Klartext: Der Ministerpräsident ist nicht abgerückt von seiner Linie. Er hat keine Fehler eingeräumt und schon gar nicht versprochen, seinen Umgang mit der Justiz oder unliebsamen Beamten wesentlich zu ändern.

"Falschinformation und Desinformation"

So ist während des Besuchs des Türken bei der EU auch kein neues Kapitel aufgeschlagen worden. Im Gegenteil: Sowohl die Spitzen der Union als auch die Besucher aus Ankara waren bemüht, wenigstens so weiterzumachen wie bisher. Während der Pressekonferenz beschwor Van Rompuy die gemeinsamen Interessen. Für die Union sei die Türkei ein außenpolitischer Schlüsselpartner.

Der EU-Beitrittsprozess müsse ein "Anker der Reformen in der Türkei" bleiben. "Die EU und die Türkei sind enge Verbündete und es ist von größter Wichtigkeit, dass wir unsere Beziehung weiter vertiefen", sekundierte Barroso. Und auch er wartete mit einer Zahl auf: 75 Prozent der Investitionen in der Türkei kämen doch aus der EU.

Das alles musste so ausführlich betont werden, gerade weil die 2005 begonnenen Beitrittsverhandlungen von tiefer Verunsicherung geprägt werden. Im vergangenen November war es zum ersten Mal seit mehr als drei Jahren wieder gelungen, ein Beitrittskapitel zu eröffnen. Im Dezember folgte ein Rücknahmeabkommen und der Beginn von Verhandlungen über Reiseerleichterungen. Aber die Korruptionsaffäre und die Verfolgungswelle in der Türkei stellen - nicht zum ersten Mal - nun wieder den Willen Erdoğans infrage, sich europäischen Normen zu unterwerfen.

Der Beitrittsprozess und der Respekt vor Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit seien zwei Seiten einer Medaille, betonte Van Rompuy. "Jede Demokratie glaubt an die Gewaltenteilung", sagte Erdoğan in seiner Entgegnung. "Wenn die Justiz aber ihre Macht in einer nicht unabhängigen Weise einsetzt, kann das Probleme verursachen", fügte er hinzu. Hier sei der Gesetzgeber gefragt, denn die Macht gehe nun einmal vom Volke aus. Mische sich die Justiz in die Belange der anderen Gewalten ein, gefährde das "die Qualität der Demokratie". Nur darum gehe es. Was ansonsten berichtet werde, sei "Falschinformation und Desinformation".

"Wir wollen keine Last für die EU sein, sondern ein Motor"

Am ungebrochenen Willen zur EU-Vollmitgliedschaft wollte Erdoğan trotzdem keinen Zweifel lassen. "Wir sind uns einig im Wunsch, den Beitrittsprozess voranzutreiben", versicherte der Ministerpräsident. Und auch Van Rompuy betonte, Ziel der Verhandlungen sei keine privilegierte Partnerschaft, sondern die Vollmitgliedschaft.

Es bleibe beim Wunsch, möglichst bald neue Verhandlungskapitel zu eröffnen. Dabei geht es um die besonders heiklen Kapitel 23 und 24, die sich um Justiz, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung drehen. Erdoğan wiederum mahnte Fortschritte bei den Visa-Erleichterungen an, die für die Menschen in der Türkei von großer Wichtigkeit seien. In diesem Bereich tritt Deutschland traditionell als Bremser auf, was auch während eines Besuchs Erdoğans in Berlin in Kürze wieder zur Sprache kommen dürfte.

Keinesfalls will der türkische Ministerpräsident als Bittsteller auftreten. "Als ein potenzielles künftiges Mitglied kann die Türkei einen positiven Beitrag zur globalen Stellung der Europäischen Union leisten", sagte er. "Wir wollen keine Last für die EU sein, sondern ein Motor."

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