Europaliste der Grünen:Ein Schubs zur richtigen Zeit

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Rebecca Harms hat auf dem Europa-Parteitag der Grünen die Delegierten überzeugt. (Foto: dpa)

Rebecca Harms hat die Kampfkandidatur um den ersten Platz auf der grünen Europaliste gewonnen. Neben ihr wirkte Ska Keller wie eine fleißige Rhetorikstudentin kurz vor der Prüfung. Das reichte nicht, um wirkliche Emotionen auszulösen. Dennoch hat die Partei Keller viel zu verdanken.

Ein Kommentar von Stefan Braun, Dresden

Ska Keller hat nicht gewonnen. Aber die junge EU-Abgeordnete hat ihrer Partei einen großen Dienst erwiesen. Mit ihrer Kampfkandidatur gegen die Favoritin Rebecca Harms hat die 32-jährige dem Europa-Parteitag der Grünen eine Spannung verpasst, die kein Sachthema hätte erzeugen können. Und ihrer Konkurrentin Harms hat sie jenen Schubser verpasst, der die 57-Jährige zum Kämpfen zwang.

Harms hat in Dresden die bessere Rede gehalten. Sie hat von den pro-europäischen Demonstrationen in Kiew geschwärmt, die sie selbst erlebte. Sie hat die sterbenden Flüchtlinge im Mittelmeer beklagt, und man spürte, dass es ihr ernst ist mit der Schande für Europa. Sie hat gegen die gebremste Klimapolitik der EU gewettert, und sie hat am Ende erklärt, dass sie schon lange keine 30 mehr sei, aber die Welt immer noch verändern wolle. Harms redete authentisch über sich und ihre Motive, das spürten alle und belohnten sie mit einem Sieg und riesigem Beifall.

Keller hielt die schlechtere Rede. Sie brachte nicht so viel Erfahrung auf die Waage. Auch sie sprach über Flüchtlinge und die Pflicht der EU, sich mehr für diese einzusetzen. Aber es wirkte anders als bei Harms nicht wie ein echtes Gefühl, sondern wie ein klug ausgewählter Baustein für einen möglichst guten Auftritt.

Keller hat von Harms noch manches zu lernen

Keller trat auf wie eine fleißige Rhetorikstudentin kurz vor der Prüfung. Das reichte nicht, um wirkliche Emotionen auszulösen. Und sie war so sehr daran interessiert, ihr Alter als Trumpf auszuspielen, dass sich viele im Saal plötzlich selbst ein bisschen alt fühlen mussten. Keller, die sich sehr erfolgreich in den sozialen Medien bewegt, hat vor knapp zwei Wochen die "Green Primaries", das Online-Voting für die Spitzenkandidatur in Europa, gewonnen. In Dresden hat sie gezeigt, dass sie im persönlichen Auftritt von Harms noch manches zu lernen hat.

Für die Grünen ist Keller trotzdem ein Geschenk. Die Partei, ihre Spitzenkandidatin und ein großer Teil des Establishments haben - von Keller herausgefordert - bewiesen, dass sie trotz aller Nachwehen von der verlorenen Bundestagswahl noch leben. Mit Leidenschaft und einem Thema, das viele von ihnen verbindet: ein weltoffenes und solidarisches Europa.

Dass im Anschluss nicht nur der frühere Attac-Sprecher Sven Giegold, sondern auch der wegen der Green Primaries in die Kritik geratene Reinhart Bütikofer gewählt wurden, verhindert zudem, dass auf diesem Parteitag Geschlagene das Feld verlassen.

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