Ermittlungen wegen Kinderpornografie:BKA-Chef Ziercke sagte nicht alles

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BKA-Chef Jörg Ziercke: Ungereimtheiten bei seinen Erklärungen. (Foto: dpa)

Ein hoher BKA-Beamter hat kinderpornografisches Material beim selben Anbieter gekauft wie der SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy. Behördenchef Jörg Ziercke hat den Innenausschuss des Bundestages nicht darüber informiert. Der Grund? Bleibt vorerst sein Geheimnis.

Von Hans Leyendecker

Zweimal hat der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, im Februar vor dem Innenausschuss des Bundestages zum Vorgehen seiner Behörde im Fall des ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy gesprochen. Zunächst auf einer regulären Sitzung, dann auf einer Sondersitzung des Gremiums am 19. Februar. Zumindest bei der Sondersitzung hat er so getan, als beschreibe er exakt die Abläufe in seinem Haus. Aber die Ermittlungen gegen einen hochrangigen Beamten des BKA erwähnte er nicht - dabei hätte es reichlich Gelegenheiten dazu gegeben.

Bei der Sitzung am 19. Februar beispielsweise war Ziercke den Abgeordneten als Experte vorgestellt worden, der "einen wirklichen Beitrag zur Aufklärung" leisten könne. Man freue sich, dass er gekommen sei. Der Ausschussvorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU) hatte ihm dann das Wort erteilt: "Herr Ziercke, bitte".

Eine solche Einführung ist eigentlich eine Aufforderung, alles Wesentliche zu berichten. Der BKA-Präsident referierte über die Mühen bei der Aufarbeitung solcher Verfahren. Er erklärte, warum die Auswertung des kanadischen Materials, das im Oktober 2011 in Wiesbaden eingetroffen sei, einige Zeit gedauert habe.

Seine Behörde habe zunächst noch einen anderen Fall, "die Operation Tornado" mit etwa 1000 Tatverdächtigen und Beschuldigten bearbeiten müssen, dann habe es noch eine weitere Operation "Downfall" gegeben und erst im Sommer 2012 habe man sich dann um das kanadische Material kümmern können.

Schon 2012 fiel einer Kollegin der Name auf

Wörtlich sagte er: "Der Beginn der zielgerichteten Auswertung und Aufbereitung dieser Daten war erst ab Juli 2012 im BKA per se möglich". Der Begriff "per se" stammt aus dem Lateinischen und meint "an sich", "von selbst". Wenn ein deutscher Beamter schon mal sagen will, dass es keinen Grund gebe, an Berichten zu zweifeln, fügt er gern ein "per se" ein.

In jedem Fall war Zierckes Erklärung der Abläufe per se ungenau, ungenügend. Was er mit keinem Wort erwähnte: Eine BKA-Beamtin hatte sich am 10. Januar 2012 die Unterlagen aus Kanada angeschaut. Bei dieser Grobsichtung fiel ihr der Name eines Kollegen auf. Den Namen Edathy kannte sie offenbar nicht, was nachvollziehbar ist. Bevor Edathy dem später eingerichteten NSU-Ausschuss vorstand, wird seinen Namen nicht mal mancher Sozialdemokrat gekannt haben, obwohl er von 2005 bis 2009 den Innenausschuss leitete.

Der BKA-Kollege arbeitete in der Abteilung Organisierte Kriminalität und soll eine leitende Funktion gehabt haben. Der Beamte hatte, anders als Edathy, kinderpornografisches Material bestellt. Nicht die Kategorie 2 wie Edathy, die strafrechtlich eigentlich irrelevant ist, sondern Filme der Kategorie 1: Hartes Material.

Ein solcher Fall rüttelt eine Behörde durch. In diesem Fall leitete die BKA-Spitze sofort verdeckte Ermittlungen gegen den Kollegen ein, was vermutlich eine Telefonüberwachung einschließt, und übergab im Februar 2012 den Fall der Staatsanwaltschaft Mainz. Im April wurde der Beamte aufgefordert, nicht mehr im Dienst zu erscheinen. Ende 2012 soll er einen Strafbefehl in Höhe von mehreren tausend Euro akzeptiert haben. Der Beamte wurde vom Dienst suspendiert. Er soll dagegen geklagt haben, durfte wohl nicht mehr zurückkehren. Ende 2013 schied er aus. Warum hat Ziercke den Abgeordneten nicht über diese Abläufe berichtet? "Ich habe offen und ehrlich alle informiert" , sagte der Präsident am Samstag. Er könne aber nur über Dinge informieren, nach denen er gefragt werde. Das sei im Fall des Beamten nicht der Fall gewesen.

"Genau solche Antworten", sagt Bosbach, der auch Anwalt ist, am Sonntag der Süddeutschen Zeitung "stören jeden Richter, jeden Vernehmer". Ziercke sei nach Auffälligkeiten in der Kanada-Liste befragt worden, er habe umfassend berichten sollen und er habe das nicht getan. "Natürlich war der BKA-Fall eine Auffälligkeit", sagt der CDU-Innenexperte. Ähnlich argumentieren auch Mitglieder des Innenausschusses, die zur Opposition gehören.

Ob das BKA das Bundesinnenministerium über den Fall des Beamten informiert hat, lässt sich derzeit nicht feststellen. Sowohl das Ministerium als auch die Polizeibehörde verweigern auf Anfragen die Auskunft und antworten gleichlautend, es handele sich um eine Personalangelegenheit.

Die Erklärung Zierckes, er sei nicht nach dem Beamten gefragt worden, hakt noch an einer anderen Stelle. In der Sondersitzung des Innenausschusses hatte er, etwas umständlich, erklärt, warum das BKA erst im Oktober 2013 durch einen Anruf einer Polizeiinspektion vom Fall Edathy erfahren habe: "Daraus kann man schließen, dass wir alle Fälle gleich behandeln. Einen Promibonus gibt es nicht. Hier hat niemand gesucht, ist da jemand, der besonders bekannt ist, sondern hier ist jeder gleich behandelt worden".

Nun ist ein Kriminalbeamter kein Promi, aber fest steht, dass eben nicht alle Fälle gleich behandelt wurden, sondern dass es zumindest eine Ausnahme gab.

Nicht nur Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter legt Ziercke einen Rücktritt nahe, was dieser bislang ablehnt. Der BKA-Präsident, der Mitglied der SPD ist, steht seit zehn Jahren der Behörde vor. Er dient schon unter dem vierten Innenminister, hätte eigentlich im Dezember 2012 in Ruhestand gehen sollen, doch die Amtszeit wurde verlängert. Im Juli wird er 67 Jahre alt, nach bisheriger Planung soll er auf der Herbsttagung seiner Behörde verabschiedet werden.

Ziercke ist schon einmal durch Ungenauigkeiten bei Auftritten vor einem Ausschuss aufgefallen. In einer außerordentlichen Sitzung des Innenausschusses im November 2011 zum NSU hatte er im Zusammenhang mit der Ermordung der Polizistin Michele Kiesewetter Spekulationen verbreitet, die sich später als falsch erwiesen. Vielleicht war er deshalb dieses Mal vorsichtiger.

"Habe ich jetzt noch etwas übersehen?", fragte er auf der Sondersitzung des Innenausschusses im Februar. "Nicht dass Sie hinterher sagen, ich hätte nicht vollständig Auskunft gegeben."

© SZ vom 03.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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