"Saving Mr. Banks" im Kino:Fit machen für die Ewigkeit

Kinostarts - 'Saving Mr. Banks'

Tom Hanks als Walt Disney und Emma Thompson als Pamela ´P.L." Travers.

(Foto: dpa)

Superkalifragilistischexpiallegetisch: Der Film "Saving Mr. Banks" erzählt, wie die strenge britische Kinderbuchfigur Mary Poppins disneyfiziert wurde - gegen den Willen ihrer nüchternen Schöpferin.

Von Susan Vahabzadeh

Von Helmut Dietl stammt der schöne Satz, in Los Angeles scheine die Sonne so viel, dass man anfängt, vom Regen zu träumen. Auf jeden Fall ist diese Stadt keine artgerechte Umgebung für griesgrämige Engländer. Wer der ursprünglichen Mary Poppins einmal begegnet ist - der aus den Büchern, nicht der Filmfigur, die Disney aus ihr machte - kann sich lebhaft vorstellen, dass ihrer Schöpferin Pamela Lyndon Travers dieses Kalifornien als Gesamtkonzept suspekt war. Keiner kann Abstand halten. Viel zu sonnig. Und bonbonfarben.

John Lee Hancock ("The Blind Side") erzählt nun also, wie diese P. L. Travers 1961 nach Los Angeles fährt, in die Disney-Studios. Emma Thompson spielt sie, noch viel übellauniger und zickiger als Ms. Poppins selbst es ist. In den Studios arbeiten die Komponisten Richard und Robert Sherman und der Autor Don DaGradi daran, aus Mary Poppins einen Musical-Star zu machen. Warum ihnen Oberboss Walt Disney (Tom Hanks) diese Frau ins Nest setzt, ist ihnen nicht ganz klar. Sie kriegen es aber bald heraus: Zwanzig Jahre lang hat er die Schriftstellerin verfolgt, weil er unbedingt ihre Kinderbücher verfilmen wollte - und sie hat immer noch nicht den Vertrag unterschrieben.

Kitschige Mäuse

Warum? Sie findet Zeichentrick im Allgemeinen und Disneys Mäuse im Besonderen widerlich kitschig, Musicals sind ihr ein Graus, und überhaupt geht ihr die gesamte zuckersüße Disney-Tour gegen den Strich. Und nun hat Walt Disney einfach schon mal losgelegt, ihr zugesagt, all ihre Einwände würden berücksichtigt, und sie hat sich im Gegenzug aufgemacht, DaGradi und die Shermans zu nerven - und auch das nur, weil sie pleite ist.

Das ist die Versuchsanordnung, in der die Disney-Jungs versuchen, der ältlichen Dame vom anderen Ende der Welt ihre Version der perfekten Gouvernante schmackhaft zu machen. Die Original-Mary-Poppins, die bei der Familie Banks auftaucht, hat einen Draht in magische Welten und sie weiß immer ganz genau, was Kinder brauchen - aber nett ist sie nicht. In der Disney-Variante wird sie lieblicher, sogar richtig charmant. Disney und seine drei Mitstreiter pirouettieren nun vor Travers, säuseln, singen, schieben ihr doch die eine oder andere Trickfigur in einem Realfilm unter, geben nach - und es ist eine Freude, dabei zuzusehen.

Was schon daran liegt, dass Hanks und Thompson gute Arbeit leisten, befeuert von all den kleinen Verweisen auf das Film-Musical, das Disney dann tatsächlich 1964 mit Julie Andrews drehen ließ, und, wie die Disney-Mary sagen würde, den superkalifragilistischexpiallegetischen Melodien, die den Film durchziehen.

Konsequenter Anti-Realismus

Ob es sich alles so zugetragen hat? Eher nicht. Es ist schwer zu sagen, ob es P. L. Travers nur darum ging, ihre eigene Phantasie intakt zu bewahren, und ihr dazu jede Sabotage recht war. Oder ob hier, so wie es John Lee Hancock zeigt, tatsächlich unterschiedliche Weltanschauungen aufeinanderprallten. Zudem ist dies ein Disney-Film über Walt Disney, da ist eine Abrechnung mit den bekannten Charakterschwächen des Meisters eher nicht zu erwarten. Auch die reale P. L. Travers hinterließ kaum jemanden, der etwas Nettes über sie zu sagen gehabt hätte.

Es geht hier also nicht um die echten Menschen, sondern um das, wofür sie stehen - und darum, was dieses Zeichentrickuniversum wirklich ausmachte: konsequenter Anti-Realismus. Die Fähigkeit, das wahre Leben niederzuknutschen und alles mit einem Zauber zu belegen. Das trifft hier auf Travers' Überzeugung, dafür sei das Leben einfach zu hart - in den Rückblenden, die ihre Jugend in Australien zeigen, taucht eine Tante auf, die alles ordnet, als der Vater schon im Sterben liegt: eine strenge Mary Poppins, die herbeischwebt und die Familie vor dem Abgrund rettet, in den Papi sie, liebevoll träumend, fast geschubst hätte.

Disneys schreckliche Kindheit

Walt Disney wird Travers im großen Showdown entgegenschleudern, dass seine Kindheit auf andere Art genauso schrecklich war. In ihrer Familie funktionierte nichts - aber er musste schon als kleiner Junge funktionieren, ans Arbeiten denken. Und so kommt es, dass die Banks-Kinder lieber bei einer alten Frau Vogelfutter kaufen wollen, als ihre Pennies zur Bank zu tragen, bei der der Vater arbeitet. "Saving Mr. Banks" ist der Erklärfilm zum Mäuse-Imperium. Und vielleicht hat Disney mit seiner Philosophie von der ansteckenden Idylle ja recht. Wir sind vom Glauben an die Analyse geprägt, und dabei verlieren wir die Heilkraft der Verdrängung vielleicht manchmal aus dem Blick. Eskapismus ist ein Grund, ins Kino zu gehen - und nicht der schlechteste.

Denn die Wahrheit über die unzerstörbare "Mary Poppins" ist: Ohne die Disneyfizierung hätte sie nicht überlebt. Erst die Mäuse-Künstler haben sie fit für die Ewigkeit gemacht - all die Shermans und DaGradis, die wussten, wie eine Tonfolge klingt, die man ein Leben lang nicht vergisst, und wie man die Kamine von London für immer verzaubern kann.

Saving Mr. Banks, USA 2013 - Regie: John Lee Hancock. Buch: Kelly Marcel, Sue Smith. Kamera: John Schwartzman. Mit: Tom Hanks, Emma Thompson, Paul Giamatti, Colin Farrell. Disney, 120 Minuten.

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