Ultraorthodoxe Juden in Israel:Sündenfall der Tugendhaften

Sie werfen Steine auf Schwulenparaden, sind in Schmiergeldaffären verwickelt und verachten die moderne Gesellschaft. Deshalb haben ultraorthodoxe Juden in Israel nun ihr Privileg verloren - die Befreiung vom Militärdienst. Die Mehrheit der Israelis hat lange darauf gewartet.

Von Ronen Steinke

Nur eine Autostunde von den Szenevierteln Tel Avivs entfernt lebt eine verschrobene Parallelgesellschaft. Mit Gewändern wie im 19. Jahrhundert. Mit einer Sprache wie einst im Schtetl. Und großteils ohne Job.

Jahrzehntelang hat diese kleine Minderheit der ultraorthodoxen Juden eine große Rolle spielen dürfen in der israelischen Politik. Als Zünglein an der Waage verhalf sie mal linken, mal rechten Regierungen an die Macht; und stets verlangte sie von der Regierung nur, ihr Privileg behalten zu dürfen: die Befreiung von der Wehrpflicht, um stattdessen die Thora zu studieren. Viele Israelis akzeptierten das aus Nachsicht. Wo auf dem Globus, wenn nicht hier, sollte dieser weltvergessene Lebensstil ein Refugium haben?

Das haben die Orthodoxen verspielt. Durch Steinwürfe auf Schwulenparaden, durch eine zunehmend offene Verachtung der modernen Gesellschaft, durch haarsträubende Fälle von Korruption. Schmiergeldaffären hat es viele gegeben in Jerusalem. Aber niemand hat es so weit getrieben wie die religiösen Tugendparteien. Dass ihre Leute sich vom Rest der Gesellschaft aushalten lassen, begründeten sie mit - moralischer Überlegenheit.

Genug, sagt nun die Netanjahu-Koalition und verpflichtet auch Ultraorthodoxe zum Wehrdienst. Sie kann das, da sie die erste Regierung seit 1948 ohne Orthodoxe ist. Die Mehrheit der Israelis hat lange darauf gewartet.

© SZ vom 13.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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