Osteuropa und die Krim-Krise:Zittern mit den Ukrainern

Ist die Krim nur der Anfang? Viele Menschen in Osteuropa fürchten aus historischen Gründen eine neue Expansionspolitik Moskaus. Brisant ist die Lage in Georgien und der Republik Moldau: Beide haben bereits Territorialkonflikte mit dem großen Nachbarn und russische Soldaten auf ihrem Staatsgebiet.

Von Frank Nienhuysen

Russische Truppen im eigenen Land, die Abspaltung eines Gebiets? Was derzeit die Ukraine erlebt, das kennt die Republik Moldau (auch Moldawien, Anm. d. Red.) bereits seit 20 Jahren. Aber es könnte demnächst noch ernster werden: Das kleine europäische Land zwischen der Ukraine und Rumänien schleppt sich mit einer Wunde Richtung EU. Der prorussische Landesteil Transnistrien hat sich nach einem blutigen Konflikt 1992 einseitig für unabhängig erklärt und wird von Moskau am Leben erhalten; dazu sind dort 1250 russische Soldaten stationiert, die offiziell Teil einer Friedenstruppe sind und Munition aus Sowjetbeständen bewachen. Nicht nur die Moldauer sehen das mit wachsender Nervosität.

"Nach der Ukraine wird es die Moldau-Republik sein, und danach weitere Länder", befürchtet Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaitė. Einen Vorgeschmack auf ein Szenario ähnlich dem auf der Krim lieferte in der Moskauer Duma die Fraktion der nationalistischen Partei LDPR. Mit Blick auf mehr als 200 000 Russen, die in Transnistrien leben, sinniert die Partei bereits über die Anerkennung des abtrünnigen Moldau-Gebiets als unabhängiger Staat - mit anschließendem Beitritt zu Russland.

Das mag Rhetorik sein. Doch die Führung in der Moldau-Hauptstadt Chişinău muss zumindest mit schwierigen Monaten rechnen.

Spätestens im August will die Europäische Union mit Moldau und Georgien genau jenes Assoziierungsabkommen unterzeichnen, das in der Ukraine die Eskalation ausgelöst hat. In Chişinău regiert eine proeuropäische Koalition, aber der Westkurs des Landes ist umstritten. Vor der Parlamentswahl im November wächst die Stimmung zugunsten der oppositionellen Kommunisten. Und Moskau hat zudem einige Hebel, um erheblichen Druck auszuüben. Zum einen ist die Republik Moldau von russischen Energielieferungen abhängig, zum anderen vom Geld moldauischer Wanderarbeiter. Und die arbeiten meistens: in Russland. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds machen deren Geldüberweisungen in die Heimat ein Drittel des dortigen Bruttosozialprodukts aus. Moskau kann dies leicht ausnutzen. Im Januar hat Russland bereits das Visarecht für Gastarbeiter eingeschränkt.

Proeuropäischer Kurs braucht Zwischenerfolge

Russland hat seinen mächtigen Einfluss in der früheren Sowjetrepublik schon spielen lassen, als es im vergangenen Jahr die Einfuhr von Wein aus der Republik Moldau verbot. Woraufhin Brüssel im Gegenzug seine Einfuhrquote erhöhte. Im Februar musste die Regierung in Chişinău sogar hinnehmen, dass in dem prorussischen Landstrich Gagausien fast 99 Prozent der Bewohner in einem Referendum für die von Russland dominierte Zollunion stimmte. Es geht also auch bei diesem Staat darum, ob er den Kurs Richtung Europa weitergeht und ob Russland dies hinnehmen würde.

Mit Argwohn beschreibt der Wirtschaftsexperte Gheorghe Costandachi, wie russisches Kapital zunehmend den Finanz- und Bankensektor in Moldau dominiert und über die Flughafen-Konzession an Einfluss gewinnt. "Von einem bestimmten Moment an kann Moldau so auf seinem europäischen Weg blockiert werden", schreibt er in einem Aufsatz. Dem Westen ist dies sehr bewusst - spätestens seit der Ukraine-Krise. "Wenn die Regierung der Bevölkerung nicht bald Erfolge zeigen kann, wird es schwierig werden, den pro-europäischen Kurs fortzusetzen", heißt es in westlichen Diplomatenkreisen. Nach einer Empfehlung der EU-Kommission dürfen Moldauer deshalb womöglich schon im Sommer ohne Visum in die EU einreisen.

Auch für Georgien geht es in den nächsten Monaten um viel, nicht nur um den Assoziierungsvertrag mit der EU. Tiflis will die schwere Ukraine-Krise nutzen, um die Westintegration zu beschleunigen. Was in den Worten von Außenministerin Maja Pandschikidse heißt: "eine klare Perspektive für eine EU-Mitgliedschaft".

Georgien hat seine Erfahrungen mit Russland. Georgiens hitzköpfiger Ex-Präsident Michail Saakaschwili hatte sich 2008 zu einem Krieg mit Russland hinreißen lassen, was faktisch zu einem Verlust von Abchasien und Südossetien führte. Vor wenigen Tagen erst beklagte Tiflis wieder "russische Provokationen" durch einen Hubschrauber- und Drohnenüberflug, auf etwa tausend solcher Flüge kommt die georgische Führung seit dem Kriegsende. Und doch hält sie selbstbewusst ihren EU-Kurs für unantastbar. Auch weil sie sich wirtschaftlich befreit habe von russischen Abhängigkeiten. Das Parlament hat sich in einer Resolution ganz auf die Seite von Kiew gestellt.

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