Krim-Krise:Welches Völkerrecht darf's denn heute sein?

Krise auf der Krim

Milizionär vor dem Parlament in Simferopol auf der Krim

(Foto: Hannibal Hanschke/dpa)

Aggression oder Hilfe in der Not: Russland bricht auf der Krim das Völkerrecht und rechtfertigt sich damit, die Nato habe das im Kosovo-Krieg auch getan. Damals war alles anders, heißt es im Westen. Sicher ist: Diese Diskussion ist gefährlich.

Eine Analyse von Markus C. Schulte von Drach

Als Bundeskanzler erklärte sich Gerhard Schröder überzeugt davon, Wladimir Putin sei ein lupenreiner Demokrat - und wurde zu Recht heftig kritisiert. Kürzlich verteidigte der Altkanzler auch noch das völkerrechtswidrige Vorgehen des russischen Präsidenten auf der Krim mit dem Hinweis, auch die Nato-Staaten hätten im Kosovo-Krieg das Völkerrecht gebrochen. Damit hat er erneut einen Sturm der Empörung ausgelöst.

Diese Gleichsetzung von Verstößen gegen das Völkerrecht, die vor allem von Putin selbst und im Westen von der Linkspartei immer wieder bemüht wird, lehnt die überwiegende Mehrheit der Politiker und Journalisten im Westen vehement als falsch ab. Dafür gibt es nachvollziehbare Gründe. Es lohnt sich allerdings, sich diese noch einmal genauer anzuschauen. Denn es geht hier um nichts weniger als die heikle Frage, ob Staaten gegen das Völkerrecht verstoßen dürfen, wenn es ihnen als gerechtfertigt erscheint.

1998 begann in der damaligen Provinz Serbiens innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien die albanische paramilitärische "Befreiungsarmee des Kosovo" (UÇK) ihren Kampf gegen serbische Polizisten und Soldaten. Dabei kam es zur Zerstörung von Hunderten kosovo-albanischen Ortschaften durch die Serben und zur Vertreibung und Flucht von Hunderttausenden Menschen. Der UN-Sicherheitsrat inklusive Russland forderten Verhandlungen. Doch als diplomatische Bemühungen und Sanktionen nichts brachten, entschieden sich die Nato-Mitgliedsstaaten für Luftangriffe auf Jugoslawien. Die Angriffe wurden gerechtfertigt mit Menschenrechtsverletzungen der Serben und der Angst vor einem Genozid an den Albanern.

Kritik auch im Westen

Russland allerdings verurteilte die Nato-Angriffe. Und auch in Europa gab es Kritik. So blieb Ex-Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) der Abstimmung im Bundestag über die Beteiligung der Bundeswehr aus Protest fern. Auch Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt hielt die Angriffe für einen Bruch des Völkerrechts. Unter dem Bombardement der Nato nahm Jugoslawien schließlich einen Friedensplan der G-8-Staaten an. Die serbischen/jugoslawischen Truppen wurden aus dem Kosovo abgezogen.

Worauf im Westen weniger häufig hingewiesen wird: Es waren die UÇK-Kämpfer, die den Konflikt durch den offenen Angriff auf Ordnungskräfte Serbiens - eines russischen Verbündeten - eskalieren ließen. Die Nato hatte die Luftschläge insbesondere mit Massakern an Albanern in den Orten Rogovo und Račak gerechtfertigt - von denen eines allerdings nie stattgefunden hatte, und beim anderen ist noch immer umstritten, ob es ein Massaker war. Es war demnach damals nicht alles ganz so eindeutig, wie es heute häufig noch dargestellt wird.

2008 erkannten die USA und die meisten EU-Staaten die Unabhängigkeit des Kosovo an. Und 2010 kam der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag in einem Gutachten zu dem Schluss, dass die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nicht gegen das Völkerrecht verstoße. Zum Status des Landes selbst äußerte sich das Gericht nicht. Und Russland widersprach ausdrücklich.

Aber genau auf dieses IGH-Gutachten verweist Putin nun, um die Unabhängigkeitserklärung der Krim zu rechtfertigen. Was Russland dem Kosovo noch immer verweigert, fordert es also für die ukrainische Halbinsel.

Die Argumente sind schwach. Es kann keine Rede davon sein kann, dass die Russen auf der Krim unter Menschenrechtsverletzungen leiden oder dass ihr Leben in Gefahr ist. Dass sie in ihren Rechten massiv unterdrückt oder durch eine faschistische Regierung in Kiew bedroht würden. Allerdings ist auch noch keine russische Bombe auf Kiew gefallen, auf der Krim sind noch keine Kämpfe ausgebrochen. Und wenn auch die Krimtataren und Ukrainer auf der Halbinsel dagegen sind - die Mehrheit der Bevölkerung dort will offenbar tatsächlich den Anschluss an Russland.

Die Gleichsetzung der Fälle Kosovo und Krim und der jeweiligen Verstöße gegen Völkerrecht ist deshalb tatsächlich unangemessen und billig. Sie dient Putin ganz offensichtlich als Feigenblatt für seine Selbstdarstellung als Patriot und Verteidiger der russischen Großmachtsinteressen.

Aber ist es gerechtfertigt, dass die meisten westlichen Politiker und Medien mit so viel Pathos auf die Unterschiede zwischen dem Kosovo und der Krim hinweisen?

Etwas Wichtiges wird übersehen

Es wird dabei nämlich etwas Wichtiges übersehen oder ignoriert. Um zu belegen, dass die Gleichsetzung nicht gerechtfertigt ist, kommt es zu einem Vergleich und einer Bewertung der Fälle. Und das Urteil fällt eindeutig aus: Es war 1999 eher gerechtfertigt, dass die Nato-Staaten das Völkerrecht gebrochen haben, als es das für Putin jetzt ist. Diese Aussage erscheint völlig naheliegend. Selbst ein Philosoph wie Jürgen Habermas hatte das völkerrechtswidrige Eingreifen der Nato damals als eine Art Nothilfe verteidigt.

Aber in letzter Konsequenz akzeptieren wir damit Folgendes: Gegen das Völkerrecht zu verstoßen, darf von den Staaten grundsätzlich als legitimes Verhalten erwogen werden. Im Kosovo war es aus Sicht des Westens gerechtfertigt, aus russischer Sicht nicht. Auf der Krim ist es aus westlicher Sicht illegitim, Putin aber behauptet, es sei angemessen und viele Russen glauben ihm das.

Ost und West nehmen also grundsätzlich für sich in Anspruch, jeweils über die Deutungshoheit darüber zu verfügen, wann es angemessen ist, das Völkerrecht zu brechen und wann nicht. Wie das Urteil in Bezug auf das eigene Verhalten und das von anderen jeweils ausfällt, kann sich jeder selbst ausmalen. Und dass die Verhältnisse meist nicht ganz so eindeutig sind, wie es dargestellt wird, zeigt das Beispiel des Kosovo.

Beide Seiten relativieren ein wichtiges Dokument der Menschheitsgeschichte

Beide Seiten relativieren so die Vereinbarungen der UN-Charta und untergraben die immense Bedeutung dieses wichtigsten Dokumentes der Menschheitsgeschichte.

Wer sich auf das Völkerrecht beruft, sollte dies auch im Geiste des Völkerrechts tun. Dessen Ziel ist das friedliche Zusammenleben der Völker und letztlich der Menschen. Das Verhalten Putins entspricht diesem Geist nicht. Doch wenn Politiker und Medien auf ihre Deutungshoheit über die Legitimität von Verstößen gegen das Völkerrecht beharren und hier die Krim und den Kosovo vergleichen, entspricht das diesem Geist ebenfalls nicht. Diskussionen auf dem Niveau "Mein Völkerrechtsbruch war weniger schlimm als deiner" beschädigen nur immer weiter die UN-Charta.

Konkret in Bezug auf die Krim sollten sich Kiew und der Westen stattdessen die Frage stellen, ob ihre Politik während und nach dem Sturz der Regierung richtig war. Ob es nicht vernünftig gewesen wäre, anders mit dem Wunsch vieler Bewohner der Halbinsel, sich Russland anzuschließen, umzugehen, als ihn einfach für illegitim zu erklären. So wenig wir ihn auch nachvollziehen können.

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